Filmkritik

Ma Folie

| Roman Scheiber |
Ansprechendes Kinospielfilmdebüt um eine Liebe, die Leiden schafft.

Girl meets boy. Hanna (Alice Dwyer) trifft Yann (Sabin Tambrea) in Paris, und es geht sehr romantisch weiter: Als Liebesbotschaften schickt Yann seiner Adorierten selbstgebastelte Mashup-Clips mit Ausschnitten aus Filmklassikern, Found Footage und privaten Bildern aufs Handy. Hals über Kopf zieht er wegen ihr aus Paris nach Wien, schwört unsterbliche Liebe. Und wie es oft ist mit Frischverliebten: Man schleift einander eher ins Bett als an die anstehende Arbeit zu denken. Die Probleme beginnen, als Hanna einen wichtigen Termin verschläft; gerade erst wurde ihr eine neue kleine Patientin anvertraut, ihre Chefin im Kinderschutzzentrum ist nachhaltig verärgert.

So weit, so gut erzählt, nur für das Umschlagen der Anbetung in blanke Eifersucht nimmt Ma Folie sich zu wenig Zeit: Es reicht, dass Hanna mit ihrem Arbeitskollegen und Exfreund (Oliver Rosskopf) auf einen Kaffee geht. Mit der unausweichlichen Trennung kommt die Abwärtsspirale erst so richtig in Gang. Yanns Videoliebesbriefchen wandeln sich zu bedrohlichen Horror-Phantasien. Hanna, die den Verlust ohnehin schwer wegstecken kann und sich sogar von ihrer befreundeten Nachbarin (Gerti Drassl) abwendet, verliert zusehends den Boden unter den Füßen.

Um die Grenze zwischen Realität und Fiktion ging es schon in Andrina Mracnikars Kurzspielfilm Die Wand ist abgerissen. In Ma Folie unterläuft sie geschickt die Sehgewohnheit zumindest jenes Publikums, das vorher nichts über den Film weiß. Denn an einem nicht leicht bestimmbaren Punkt der Geschichte ist die Romanze weniger in ein Beziehungsdrama denn in einen Psychothriller gekippt. Produktiv verstärkt werden die aufkommenden Zweifel an der Realistik der Bilder, auch der raffiniert eingebundenen „lettres filmées“ von Yann, durch eine konkrete Lokalisierung an Originalschauplätzen (Zentrales wurde etwa am Wiener Donaukanal gedreht) bei gleichzeitig zunehmender „Verrücktheit“ von Hannas Innenleben.

Neben der überzeugenden Hauptdarstellerin Alice Dwyer ist das Interessante an Ma Folie, wofür auch schon die Dokumentarfilme Mracnikars Beachtung fanden: Zwischentöne und Auslassungen, die Subjektivität von Erinnerung, die Instabilität scheinbarer Gewissheiten. Mit dem ersten Treatment gewann die Regisseurin 2005 den Carl-Mayer-Drehbuchpreis. Die lange Arbeit an verschiedenen Drehbuchfassungen, zuletzt mit Kathrin Resetarits, hat sich schließlich ausgezahlt. Ma Folie ist ein ansprechendes Kinospielfilmdebüt geworden, das nicht weniger als die Vertrauensfrage an das eigene Medium stellt.