ray Filmmagazin » Themen » Biopics – Ausgewählte Beispiele
Biopics Maler

Biopics – Ausgewählte Beispiele

Maler am Werk

| Jörg Becker |
Federzeichnung oder klassischer Pinselstrich, Dripping-Technik oder Body-Painting, Exzess, Exzentrik, Manie, Genie und Wahnsinn, Klischees von Bohème und ausschweifendem Leben, Skandale und Affären, Maler und Modelle – in der Filmgeschichte ist die Malerei in allen Facetten präsent. Ausgewählte Beispiele.

Biopics über Künstlerleben galten den Hollywood-Studios bis in die fünfziger Jahre hinein nicht als profitable Projekte, bis hin zu John Hustons Prunkstück in Technicolor, dem Toulouse-Lautrec-Film Moulin Rouge (1952). Im Jahr 1955 verlieh eine Van-Gogh-Ausstellung in den USA ihrem Subjekt einschlägige Bekanntheit im Sinne von „madman or genius“. Zugleich öffneten sich die Major Studios Filmstoffen, die man heute als Beginn des Genres „moderne Biografien“ versteht, mit Interesse am privaten Drama, den inneren Dämonen, gebrochenen Figuren und ausgelebter individueller Nonkonformität. So entstand der Van-Gogh-Film Lust for Life (1956) mit einer der stärksten Rollen von Kirk Douglas, auch wenn es problematisch bleibt, dem Zerfall der Persönlichkeit eines so labilen wie fanatischen Introvertierten zu folgen, der von einem extrovertierten Akteur verkörpert wird.

Leidensdruck und Besessenheit
Die Briefbekenntnisse Vincents an seinen Bruder Theo, von der Off-Stimme Theos gelesen, halten den Film, der weitgehend on location in Europa entstand, zusammen. Reproduktionen von ca. 200 Gemälden mussten mit Museen, Galerien und Sammlern ausgehandelt, von Still Cameras mit geringer Beleuchtung aufgenommen und zu transparenten Drucken verarbeitet werden. Der erzählte Zeitraum zwischen Van Goghs 25. Jahr bis zu seinem Tod mit 37 ist in fünf distinkten Farbmodi gehalten, meisterlich ins Bild gesetzt vom verhinderten Maler Vincente Minnelli, der maximale Wirkung aus der Breitwand holte, ein Lehrstück in vertikaler und horizontaler Tiefenkomposition schuf. Im südfranzösischen Arles, Van Gogh hatte die Gruppe der Impressionisten schon kennengelernt, zieht Paul Gauguin (Anthony Quinn) zu dem Kollegen in das „gelbe Haus“, und mit ihm zugleich ein antagonistischer, weil systematischer, kontrollierter Zugang zur Malerei im Vergleich mit Van Goghs innerer Konfusion, die jener nicht ausstehen kann. „If there’s one thing I despise then it’s emotionalism in painting!“ So ist der Konflikt gesetzt, und der kunsttheoretische Streit, an Landschaftsschauplätzen, hinter ihren Staffeleien, eskaliert.

Nach Minellis Farborgie, nach Robert Altmans Bruderdrama Vincent and Theo (1988, mit Tim Roth und Paul Rhys), das eine Menge der bekannten Van-Gogh-Episoden enthält, aber mit dokumentarischem Material von einer Auktion 1987 bei Christie’s beginnt, auf der eines seiner Blumengemälde versteigert wird, und Akira Kurosawas Altersvision des berühmten Krähenbildes in Dreams (Yume, 1990; als Darsteller van Goghs fungiert Martin Scorsese) gelingt es Maurice Pialat mit seinem Van Gogh (1992) über dessen letzten drei Lebensmonate, alle vorgefassten Bilder jenes Künstlerlebens zu löschen und gleichsam neu zu grundieren. Der Pinselstrich auf der Leinwand ist vom Maler Pialat selbst. „Kein abgeschnittenes Ohr, keine Totenvögel auf dem Kornfeld. Kein Künstler, der Genie und Wahnsinn mit Ausdruck plausibel macht. Dieser Film kommt ohne den Zwang zum Mythos aus, nicht weil er das biografische Rätsel entzaubert, sondern weil er es als selbstverständlich annimmt. Die Kunst spielt hier die geringste Rolle. Kein besessenes Spachteln, keine Vision vom Ringen mit der Zeit. Im Gegenteil, die Kunst ist ein gewöhnlicher Beruf, und manchmal ist sie ein Fest“, so Karsten Witte 1992.

Das richtige oder das verlorene Licht
Das komplexe Bild einer exzentrischen Persönlichkeit zwischen Privatmann und Künstler vermittelt Mr. Turner (2014): Joseph Mallord William Turner (1775–1851) war bereits zu Lebzeiten einer der meistgeschätzten Maler Englands. Mike Leighs Porträt, die letzten zwei Jahrzehnte umfassend, fokussiert anfangs  gleichrangig neben der künstlerischen Praxis auf das Alltagsverhalten des Privatmanns Turner, seine bodenständigen Essgewohnheiten sowie teils bizarren persönlichen Verhältnisse, bis der Maler bei seiner ausdauernden Arbeit allmählich in den Vordergrund rückt: Man sieht Turner (Timothy Spall) unentwegt englische Landschaften in grandiosen Panoramen durchwandern auf der Suche nach dem richtigen Licht für seine Motive, um sodann alles penibel auf seinem Skizzenblock festzuhalten. Selbst sterbenskrank drängt es ihn noch, ein bestimmtes Licht auf einer am Strand gefundenen Wasserleiche zu skizzieren. Das Licht, die Sonne ist Gott, so seine letzten Worte.

Der Blick auf den Himmel, anfangs gewittrig aufgewühlt, wird in Jean-Luc Godards Film Passion (1982) ein wiederkehrendes, allgegenwärtiges Motiv, Sinnbild des Erhabenen – Himmel und Erde. Godard zitiert hier nicht mehr Gemälde im Rahmen ihrer Fiktion, er lässt sie für Dreharbeiten eines Films – unter der Regie von Jerzy (Jerzy Radziwilowicz) – als Tableaux vivants nachstellen: „Die Nachtwache“ von Rembrandt, „Die kleine Badende“ von Ingrès, „Die unbefleckte Empfängnis“ von El Greco, „Die Einnahme Konstantinopels durch die Kreuzritter“ und „Jakobs Kampf mit dem Engel“ von Delacroix sowie „Die nackte Maja“ und „Die Erschießung der Rebellen am 3. Mai“ von Goya. Das Filmbild verwandelt sich in ein Gemälde und wird unter dem Aspekt der Einteilung des Raums und vor allem der Setzung des Lichts („à la Sternberg und Boris Kaufman“) analysiert. Dabei streift der Kamerablick nicht über die Oberfläche des Bildes, sondern bewegt sich in das Tableau hinein und innerhalb des Tableaus. Doch die Beleuchtung, mit der Rembrandt und El Greco gearbeitet haben, ist für Jerzy nicht wiederzufinden. Für Godard wie für Jerzy, den diegetischen wie den außerdiegetischen Regisseur, hat Film in erster Linie mit Licht zu tun, und eines des bedeutendsten Beispiele ausgeklügelter Lichtdramaturgie in der Malerei, Rembrandts „Nachtwache“ (das Gemälde, um das der Maler und Regisseur Peter Greenaway in Nightwatching, 2007, eine verwickelte Kriminalgeschichte erzählt) dürfte Godard auch aus dem Grund gewählt haben, weil es so „unterbelichtet“ ist. Auf der Suche nach dem verlorenen Licht sei man dem „Erhabenen“ auf der Spur (Harun Farocki in: Silverman/Farocki, „Von Godard sprechen“, 1998).

Like a Rolling Stone
Wie so oft hat Martin Scorsese in Life Lessons, seinem Beitrag zum Triptychon New York Stories (1989), Beispiele seiner musikalischen Vorlieben angespielt: Zu Procol Harums „A Whiter Shade of Pale“ öffnet sich die Irisblende über einer farbstarken reliefhaften Bildlandschaft, eine Pinselstaffette, Farbtuben überall, ins Auge fällt eine Flasche (Courvoisier), daneben, stilgerecht, ein stumpf angeschmutzter Cognacschwenker. Es klingelt, der Maler Lionel Dobie (Nick Nolte) steht neben der Leinwand in übergroßem Breitformat. Ein Lastenfahrstuhl quält sich lautstark die Fabriketagen zu Lionels Atelier-Loft herauf. Es ist sein Galerist, der drei Wochen vor Ausstellungsbeginn vorbeischaut, neugierig. Doch der Maler steht unter Druck, ist blockiert, nervös: „There’s nothing to see … it’s the Emperor’s new clothes! … I’m gonna get slaughtered, man!“ – Nachdem er eine Ex-Freundin, Paulette (Rosanna Arquette), vom Flughafen abgeholt hat, stellt sich, zumal sie sich ihm entzieht, ein kreativer Schub ein, von Kassette von der Audioanlage dröhnt „Politician“ (Jack Bruce / Cream) in die Werkstatt und treibt eine rasante Montage von Pinselaktionen und Detailkadragen an, nachdem die Kamera an Lionel, vor der Großleinwand, vorüberfuhr. En face greift der Maler mit Pinsel und Palette ins Off ein, Leinwandtotalen und beschleunigte Schnitte auf Details wechseln einander ab, extreme Perspektivwechsel, vom Strich des Pinsels zur Rückenansicht des wie im Rausch vor seinem Tableau Agierenden.

Die Live-Aufnahme von Bob Dylans „Like a Rolling Stone“ scheint die produktive Action in wilder Bewegung zu pushen, gesehen teils aus der Perspektive der Frau, Zeugin der Entstehung, deren zusehends erleuchteter Blick vom Malprozess vor Augen gefesselt scheint. In zunehmender Rasanz schneidet der Film von der Materialität der Ölfarbe, deren Mischung der Farbtöne auf der Palette hin aufs Leinwanddetail, in dem sie aufgetragen werden, zoomt auf motivische Entdeckungen wie Augenmotive … Und zum Höhepunkt des Schlussakkords, einer finalen Soundschmelze, dem erschöpfenden Ausklang setzt er letzte figürliche, räumlich wirkende Linien hinzu … Die Rückfahrt der Kamera auf dem kreativen Schauplatz um das Bild kommt zum Halt, als die Kadrage aus dem unteren Off Paulette, die seine Arbeit verfolgt, in den Ausschnitt bringt. Scorsese hatte die Gestaltung seiner Künstlerfigur an den authentischen Fall des Malers Chuck Connelly angelehnt, dessen tumultuöser Lebensstil während seines künstlerischen Niedergangs nach anfangs durchschlagendem Erfolg von Einfluss war. (The Art of Failure: Chuck Connelly Not For Sale, US 2008, Jeffrey R. Stimmel)

Bruegel on Bluescreen
In Lech Majewskis The Mill and the Cross (Mlyn i krzyz˙, 2011) wird „Die Kreuztragung Christi“ (1564) von Pieter Bruegel (Rutger Hauer) als Erinnerungsraum, als Panorama der Zeit aufgefasst. Von Beginn an versenkt sich die Kamera andächtig in das raue Naturidyll Flanderns, durchmisst respektvoll Tableaus von Bauernstilleben und Nebellandschaften. Von den etwa 500 Personen, die Bruegels Gemälde bevölkern, werden im Film ein Dutzend zum Leben erweckt, ins Auge gefasst in allen Details und Perspektiven. Bruegels Tableau zeigt die Lage des Landes unter dem Terror der Inquisition; der Film scheint, unterschnitten mit dem überschauenden Fensterausblick mit Vordergrundfigur, in das Bild einzutauchen – sichtbar ist das Motiv der Leiden Christi, das mit der religiösen Verfolgung in den Spanischen Niederlanden zur Entstehungszeit des Bildes kontrastiert. Es ist die Erzählung eines Tages – vom Sonnenaufgang bis zur Kreuzigung Christi –, und Bruegels Bild liefert Thema und Drehbuch zugleich, langsam gleitet die Kamera entlang des Tableau vivant. Die Stelle Gottes nimmt der Müller ein – auf ein Handzeichen des Malers stoppt er das Mühlrad, das Weltgeschehen, und Bruegel greift ins Tableau ein, arrangiert sein Bild fertig, legt Hand an vor dem Gemäldehintergrund, auf dem vereinzelte Bewegung stattfindet. Die Hintergründe wurden Schicht für Schicht unter seine Figuren gelegt, wie eine Grundierung, die hier vom Bluescreen eingenommen wird. „Ich will wie eine Spinne arbeiten, die ich heute morgen ihr Netz weben sah – zuerst muss ich einen Ankerpunkt finden“ – Bruegel streicht sehr nah über den großen Papierbogen mit den Vorstudien – „…obgleich im Zentrum meines Bildes, muss ich Christus doch verbergen.“

Die Biografie von Andrej Rubljow – Andrej Tarkowskis gleichnamiger Film (1964/66) ist eine Parabel über Kunst, Macht und Volk – ist nur in Fragmenten bekannt: Der Ikonen malende Mönch (Anatolij Solonicyn) wird Zeuge der Geschehnisse im Russland des 15. Jahrhunderts. Ein schweigender Begleiter der Filmhandlung am Rande des Geschehens, durchschaut er die herrschenden Verhältnisse von Gewalt und Erniedrigung. Am Ende wechselt der Film vom strengen Schwarzweiß in die weichen Farben der Ikonen Rubljows, in fließenden Überblendungen gehen die harmonischen Kompositionen ineinander auf.

Dokumente der Schöpfung
Le Mystère Picasso (1956, Henri-Georges Clouzot) wurde von François Truffaut besonders geschätzt für seinen Respekt vor dem Künstler und seiner Materie. Zu verfolgen sei der reine schöpferische Akt, begleitet von einer protokollierenden Kamera, „ohne Intervention jeglicher pittoresker oder äußerlicher Elemente“. Dem Film ist es um die Ausschaltung jedes deskriptiven oder didaktischen Elements zu tun, unabgelenkt schaut der Betrachter auf das Arbeitsresultat, kann verfolgen, wie Bilder in der Zeit entstehen, auseinander hervorgehen oder wieder verworfen werden. Nur für wenige Augenblicke zeigt der Regisseur die Hand des Malers, die nie durch ein Close-up verklärt wird. Die Großaufnahme bleibt Picassos Augen vorbehalten. Clouzots Picasso-Film schaut dem Künstler nicht über die Schulter, was man aus Neugier, dem schöpferischen Akt beizuwohnen, zu tun geneigt ist. Gerade der Dokumentarfilm hat dieser Neugier häufig nachgegeben.

Was seit Stummfilmzeiten in den dokumentarischen Passagen von Werkstatt-, Atelier- bzw. Künstlerporträtfilmen enthalten ist, folgt dieser Neigung – in Deutschland bilden Künstlerfilme von Hans Cürlis zwischen 1923 und 1933 unter dem Titel Schaffende Hände (mit Werkaufnahmen von Lovis Corinth, Max Liebermann, Otto Dix u.a.) die Vorläufer des Genres. Zuletzt im Porträt Georg Baselitz (2013, Evelyn Schels) und Gerhard Richter – Painting (2011, Corinna Belz) werden entsprechend Arbeiten des Malers bis zur Fertigstellung verfolgt; eine eigene besondere Form der Betrachtung dieser Art vermittelt das Kurzfilmdokument zu Jackson Pollock, Pollock Painting (1951) von Hans Namuth, der Dripping-Prozess außen auf dem Boden, mit eingesprochenem Off-Kommentar des Malers. Im Close-up zeigt die Kamera die abstrakte Struktur, gleitet über die Leinwand, verstellt die Schärfe des Objektivs auf die Oberfläche. Die Unvereinbarkeit von Pollocks Arbeitsweise mit den kurzen Einstellungslängen der Aufnahmen ist bekannt. Erstmals benutzt er Glas als Medium, bottom up zeigt die Kamera sein Gesicht vor blauem Himmel hinter der Glasfläche, von seinen sich verdichtenden Dripping-Strichen allmählich verborgen, anwesend. Auf einmal wischt er die Farbe von der Glasfläche, macht einen neuen Ansatz: „I lost contact with my first painting on glass, then I started another one.“