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Filmkritik

Marshland / La isla mínima

| Jörg Schiffauer |
Eine Mordserie spiegelt eine Zeit des Umbruchs wider.

Im September 1980 wird der junge Kriminalbeamte Pedro Suárez aus Madrid in den tiefsten Süden Spaniens versetzt, um das Verschwinden zweier Schwestern aufzuklären, das sich in einem dort befindlichen Dorf zugetragen hat. Der Fall bietet zunächst kaum konkrete Ansatzpunkte, die örtliche Bevölkerung erweist sich als wenig kooperativ und die Zusammenarbeit mit seinem neuen Kollegen, dem erfahrenen Ermittler Juan Robles, der ebenfalls in diese abgelegene Gegend abkommandiert worden ist, muss sich auch erst einspielen. Als man die Leichen der beiden Mädchen findet, nimmt die Sache eine dramatische Wendung, denn die Polizisten finden im Lauf ihrer Ermittlungen heraus, dass in den Jahren davor schon weitere junge Frauen verschwunden waren und man es mit einem Serienmord zu tun hat. Doch als Pedro und Juan bei ihren Nachforschungen auf mögliche Verwicklungen von honorigen Bürgern und Behörden stoßen, wird den Kriminalisten klar, dass die Angelegenheit über einen gewöhnlichen Kriminalfall weit hinausreichen könnte.

Mit Marshland versteht es Alberto Rodríguez, die Tradition des Politthrillers klassischen Zuschnitts kongenial fortzuschreiben. Marshland bezieht seine Spannungselemente dabei nicht primär über das Verbrechen an sich, sondern durch den besonderen historischen und politischen Hintergrunds Spaniens, vor dem Rodríguez’ Inszenierung die Geschichte ablaufen lässt. Denn im Herbst 1980, kaum fünf Jahre nach dem Tod Francisco Francos erweist sich der Übergang vom autoritären Regime des Caudillos zu einer parlamentarischen Monarchie, die Phase der „Transición“, als höchst diffiziler Prozess, der sich in allen gesellschaftlichen Ebenen niederschlägt. Welche Reibungsflächen dabei jederzeit entstehen können, spiegelt sich in den Biographien der beiden Ermittler wider. Pedro, der zu jener Fraktion zählt, der die Demokratisierung des Landes nicht schnell genug gehen kann, muss selbst erfahren, dass dieser Vorgang ein reichlicher zäher ist – hat ihn doch seine zu forsch formulierte Kritik an den herrschenden Zuständen die Strafversetzung in die Provinz eingetragen. Sein Partner Juan hingegen ist ein typischer Vertreter des Ancien Régime, der – nicht zuletzt wegen seiner dunklen Vergangenheit in der Franco-Ära – der neuen Zeit eher verhalten gegenübersteht. Doch die beiden müssen ihre ideologischen Gegensätze überbrücken, um bei der Aufklärung der grausamen Mordserie voranzukommen, hinter der Seilschaften stecken, deren unheilvolle Macht in die Zeit der Franco-Diktatur zurückreicht. Marshland macht anhand des Kriminalfalls wie unter einem Brennglas deutlich, welche Schwierigkeiten das Spanien jener Tage auf seinem Weg in die Demokratie zu überwinden hatte.