Die 73. Berlinale verspricht ein toller Jahrgang zu werden
Wenn am 16. Februar Rebecca Millers neueste Regiearbeit She Came to Me seine Weltpremiere im Berlinale Palast feiert, bedeutet dies den Anfang vom Ende einer Durststrecke: Zum ersten Mal seit 2020 finden die Internationalen Filmfestspiele Berlin wieder im gewünschten Umfang statt. Vierhundert Filme, zahlreiche Stargäste, und natürlich abertausende Filmbegeisterte verschiedenster Kontexte endlich wieder ohne Abstriche dort, wo sie gehören: In die diversen Kinosäle und Veranstaltungsorte. In Punkto Spielstätten feiert die Berlinale diese Rückkehr auch mit erstmals bespielten Orten, wie etwa der Verti Music Hall in Friedrichshain.
Im Mittelpunkt der Filmfestspiele stehen natürlich die Wettbewerbe. Der Hauptwettbewerb um die begehrten Bären wartet mit einer vielseitigen Auswahl auf, die einiges an Spannung verspricht, darunter gleich drei Mal Berliner Schule: Christoph Hochhäuslers Kriminaldrama Bis ans Ende der Nacht, Angela Schanelecs Ödipus-Variation Musik und Christian Petzolds feuriges Beziehungsstück Roter Himmel (mittendrin: Thomas Schubert) konkurrieren mit Filmschaffenden aus aller Welt und Genres. Dabei ist mit Suzume (R: Makoto Shinkai) erstmals ein Animationsfilm vertreten, Regisseur John Trengove erzählt in Manodrome eine Coming-of-Age-Geschichte über Männlichkeit mit Jesse Eisenberg – und Adrien Brody als Sektenführer –, die in Südkorea geborene Celine Song zeigt mit Past Lives eine jahrzehntelange Liebesgeschichte, die soeben beim Sundance Film Festival bejubelt wurde. Österreiche Beiträge gibt es auch: Franz Rogowski spielt in Disco Boy von Giacomo Abbruzzese einen Fremdenlegionär, und mit Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste wurde ein Film der Amour Fou Filmproduktion in den Wettbewerb eingeladen, Regie führte Margarethe von Trotta, Vicky Krieps verkörpert Bachmann.
In der Sektion Encounters darf man sich wie nun bereits gewohnt auf besonders ungewöhnliche Werke freuen, eine belgisch-chinesische Doktoratsstudentin trifft in Bas Devos’ Here einen rumänischen Bauarbeiter, in der österreichisch-argentinischen Produktion Adentro mío estoy bailando – The Klezmer Project nutzt ein Mann einen Dokumentarfilm als Vorwand, Im Toten Winkel der deutsch-kurdischen Filmemacherin Ayşe Polat erzählt hoch politisch im Quasi-Found-Footage-Stil. Ebenfalls mit dabei die neuen Filme von Hong Sangsoo (in water) und der Debütfilm von Paul B. Preciado, eine ganz eigene Virginia Woolf/Orlando-Reverenz: Orlando, My Political Biography. Mit João Canijo ist ein Filmemacher sogar sowohl im Hauptwettbewerb als auch in Encounters vertreten. Ein Diptychon aus zwei Perspektiven – Mal Viver und Viver Mal behandeln im Setting eines Hotels einmal Spannungen zwischen den neuen Besitzerinnen und einmal Dramen von Gästen.
Das Bild der 73. Berlinale prägen auch zwei US-Stars verschiedener Generationen: Neben Jurypräsidentin Kristen Stewart ist es Steven Spielberg, der 2023 besonders im Rampenlicht steht. Mit dem 76-jährigen Oscar-Preisträger wird einem der größten Hollywood-Regisseure die Hommage gewidmet und der Goldene Ehrenbär verliehen. Das Festival-Publikum darf sich dabei auf absolute Klassiker wie Raiders of the Lost Ark, Jaws oder Schindler’s List ebenso freuen wie auf seinen großartigen, für Fernsehen produzierten Debütfilm Duel (Jahr der Erstausstrahlung: 1971). Stichwort Klassiker: In den Berlinale Classics gibt es unter anderem neue 4K-Restaurierungen von Charlie Chaplins A Woman of Paris – 100-Jahre-Jubiläum! – und David Cronenbergs Naked Lunch zu bestaunen. Und auch in der Retrospektive gibt es sowohl sehr berühmte als auch weniger bekannte Meisterwerke der Filmgeschichte (wieder) zu sehen: Unter dem Leitthema „Young at Heart – Coming of Age at the Movies“ ließ das Festival Filmgrößen aus aller Welt ein Programm der für sie selbst bedeutendsten Filme, die sich um das Erwachsenwerden drehen, zusammenstellen. Auf Wunsch von M. Night Shyamalan etwa wird Bogdanovichs The Last Picture Show gezeigt, Luca Guadagnino entschied sich für Cruel Story von Nagisa Ōshima und ein Kino-Revival von Agnès Vardas Vagabond verdankt man Maren Ade – um nur ein paar zu nennen.
Bei aller Liebe für das Alte und Zeitlose werden natürlich zu guter Letzt auch die neuen filmischen Positionen, darunter viele Weltpremieren, die in den Sparten Forum, Special, Panorama, Perspektive Deutsches Kino, Generation und natürlich Shorts mit Spannung erwartet. Erste vielversprechende Panorama-Glanzlichter hierbei: Dame Helen Mirren in Golda, dem neuen Film von Guy Nattiv; Brandon Cronenbergs nächster Sci-Fi-Horror Infinity Pool, Ira Sachs’ Passages (ebenfalls mit Franz Rogowski) oder Inside von Vasilis Katsoupis, in dem Willem Dafoe einen Kunstdieb spielt. Einem riesigen, pulsierenden Fest des Kinos – natürlich auch mit unglaublich vielschichtigem Rahmenprogramm – steht Anfang 2023 in Berlin absolut nichts im Wege.