Maria de Lourdes Villiers Farrow, kurz: Mia Farrow, im Februar 70 geworden, über ihr Leben, ihre Karriere, Frank Sinatra, tolle TV-Serien und über ihr humanitäres Engagement.
Interview ~ Thomas Abeltshauser
In Locarno wurden Sie voriges Jahr für Ihr Lebenswerk ausgezeichnet, gerade haben Sie 70. Geburtstag gefeiert. Worauf sind Sie in Ihrem Leben am meisten stolz?
Über so etwas mache ich mir keine Gedanken. Ich blicke nicht zurück, mein Leben passiert ja noch. Und ich versuche es so gut ich kann zu führen. Ich halte keine Fahne hoch und sage: das ist mein bester Moment. Wirklich nicht.
Dann vielleicht anders: Was war ein für Sie wichtiger Wendepunkt?
Ganz sicher Roman Polanskis Rosemary’s Baby. Ich hatte bis dahin noch keine Hauptrolle gespielt, nur kleinere Rollen und zwei Jahre in der Soap Opera Peyton Place. Die lief dreimal pro Woche und die Leute erkannten mein Gesicht und ich fühlte mich steinreich, weil ich 30.000 Dollar hatte. Dann kam Rosemary’s Baby, ein wahnsinnig intensiver Dreh, wir waren wie in einem Kokon, außer drei Tagen Außendreh verbrachten wir die ganze Zeit im Studio. In dieser Zeit brachen mein Privatleben und meine Ehe mit Frank Sinatra auseinander, Roman Polanski und Sharon Tate adoptierten mich quasi, Sharon wurde wie eine ältere Schwester für mich. Ich bin ihnen ein Leben lang dankbar und Sharons brutale Ermordung schmerzt mich bis heute. Der Film wurde ein unglaublicher Erfolg, doch so sehr ich mich darüber freute, musste ich erkennen, dass dieser Erfolg mich persönlich nicht glücklich macht. Ich musste diese Lektion sehr früh lernen, ich war gerade erst 21. So würde ich keine Zufriedenheit finden, ich musste nach einer sinnvolleren Art zu leben suchen. Deswegen habe ich immer wieder lange Pausen gemacht. Gleich nach Rosemary’s Baby habe ich noch einen Film gedreht, weil ich vertraglich dazu verpflichtet war, danach habe ich lange gar nicht vor der Kamera gestanden. Dabei wäre es für meine Karriere besser gewesen, den Erfolg zu nutzen und einen Film nach dem anderen drehen. Aber ich wollte ein sinnvolleres Dasein und ich dachte nie, dass ich ein langes Leben haben würde.
Wieso das?
Ich weiß gar nicht, warum. Vielleicht hat es mit meiner sehr strengen, römisch-katholischen Erziehung zu tun. Ich wollte meinem Leben eine Wendung geben, damit es etwas wert ist für andere und letztlich hoffentlich auch für mich.
Worin haben Sie Sinn für sich gefunden?
Zunächst ging ich nach Indien, weil ich dachte, ich sollte lernen zu meditieren. Später dachte ich, es macht mich glücklich, wenn ich aufhöre zu schauspielern. Ich heiratete den Komponisten André Previn und wir zogen in ein altes Haus in England und hatten Kinder. Ich habe schnell erkannt, dass man das Glück nicht suchen kann, man wird es nicht finden. Nur wenn man anderen hilft, wird einen das Glück finden. Deshalb habe ich über die Jahre zehn Kinder adoptiert, die meisten davon mit starken Behinderungen. Ich fühlte, dass dies meine Art ist, wie ich mich für andere einsetzen kann. Jetzt, da sie groß sind, arbeite ich mit UNICEF zusammen und drehe meinen eigenen Film, in dem ich die kulturellen Traditionen der Stämme in Darfur dokumentiere, die Tänze, die Zeremonien, die Agrikultur, wir gehen in die Flüchtlingscamps, um all die Dinge festzuhalten, die durch den Völkermord verloren gehen.
Und dieses Engagement gibt Ihrem Leben mehr Sinn?
Ach, manche Leute können gar nichts tun und dabei alles sein. Meine Schwester Prudence zum Beispiel, über die die Beatles den Song „Dear Prudence“ geschrieben haben, kann ausgezeichnet meditieren. Sie kann sich damit in völlig Zen-artige Zustände versetzen. Ich bin dazu nicht in der Lage, lasse mich dauernd ablenken und habe nur eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne. Und ich kann nicht ignorieren, dass unsere Geschichte eine ständige Folge von Kriegen ist. Erst voriges Jahr haben wir uns an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert, jetzt feiern wir 70 Jahre Ende des Zweiten. Und doch gibt es heute überall auf der Welt neue Krisengebiete. Ich frage mich wirklich, ob die Menschheit nicht in der Lage ist, sich weiterzuentwickeln, mitfühlender und verständnisvoller zu werden. Und wird es ihr überhaupt gelingen, bevor wir unsere Spezies ausgerottet haben? Ich weiß es nicht. Aber es sieht momentan nicht sehr hoffnungsvoll aus.
Sie sind eine sehr aktive Twitterin. Was hat Sie dazu gebracht?
Es ist so einfach, damit mit Menschen zu kommunizieren. Ich mache es auf dem Smartphone, auf dem Computer habe ich es noch nie ausprobiert. Mein Sohn Ronan hat es mir beigebracht, als wir eines Tages auf den Bus gewartet haben. Er machte einen Twitter-Account für mich auf und los ging‘s. Ich tweete über Dinge die mich interessieren. Ich lese viel und verlinke Artikel. Und vielleicht ist es ja für jemanden hilfreich. Ich sage meinen Kindern immer: Wissen verpflichtet zur Verantwortung. Leute brauchen Zugang zu Wissen. Es ist wichtig, über Dinge nachzudenken. Nur so wird ein friedlicheres Miteinander möglich sein.
Ist das nicht ein wenig hippiesk?
Sie tun doch als Journalist auch nichts anderes. Sie verbreiten Informationen, um Menschen aufzuklären. Sind Sie deswegen ein Hippie?
Antworten Sie auch auf Tweets Ihrer Follower?
Oh ja, und ich bereue es meist. Es ist fast immer ein Fehler zu antworten.
Am 12.Dezember wäre Frank Sinatra 100 Jahre alt geworden. Was haben Sie von Ihrer gemeinsamen Zeit in besonders guter Erinnerung?
Er war ein großartiger Schauspieler und meiner Meinung nach wären seine Songs ohne dieses Talent nur die Hälfte wert. Er hat seine Lieder wie kleine Theaterstücke gespielt. Als wir ein Paar waren, bin ich zu allen Aufnahme-Sessions mitgegangen. Sechs Wochen vor einer neuen Platte hörte er auf zu rauchen und zu trinken. In dieser Zeit führten wir ein sehr diszipliniertes Leben in Palm Springs, er machte nur Gesangsübungen, nichts weiter, bevor wir dann ins Studio fuhren. Und er bat alle Musiker seiner Band, ihre Ehefrauen, Freundinnen oder Freunde mitzubringen, weil Frank vor Publikum singen wollte. Es saßen also zwanzig, dreißig Leute da, er begrüßte alle, dann hängte er sein Jacket über die Stuhllehne, manchmal nahm er auch seinen Hut ab, und begann zu singen. Er konnte ein ganzes Album in einer einzigen Nacht einspielen. Er spielte jeden Song einmal durch. Nur wenn jemand hustete oder einen Bleistift fallen ließ, war er zu einer Wiederholung bereit. Wenn es ein technisches Problem gab, sagte er etwas nicht Druckfähiges. Er bezeichnete sich selbst als einen verlegenen Schauspieler, er konnte eine Szene immer nur einmal spielen, aber die hatte es dann in sich. Genauso war es mit Plattenaufnahmen, er machte nicht gern zwei Takes. Wenn er von Wochen „on the road“ nach Vegas oder Miami kam, hängte er seinen Smoking ins Badezimmer, drehte das heiße Wasser auf, um die Falten rauszubekommen und steckte seinen Kopf unter ein Handtuch, um mit dem Dampf seine Leitungen durchzupusten, wie er es nannte. Dann trat er vor sein Publikum und sang. Und es war immer großartig.
Schauen Sie sich manchmal Ihre alten Filme an?
Nie! Die meisten habe ich nicht einmal gesehen. Es ist einfach keine Freude.
Aber Rosemary’s Baby haben Sie doch gesehen, oder?
Nein, auch nicht.
Wie hat sich die Filmindustrie und Ihr Verhältnis dazu im Lauf der Jahre verändert?
Ich habe kein Verhältnis dazu, deshalb kann ich das schlecht beantworten. Aber es scheint mir, dass die guten Stoffe heute eher im Fernsehen zu finden sind. Großartige Serien wie Homeland, Game of Thrones oder andere im Pay-TV, als Streams online bei Netflix. Filme finden immer weniger im Kino statt, vor allem jüngere Leute schauen sich die Sachen lieber zuhause an.
Macht Sie das traurig?
Oh nein. Es gibt genug anderes in dieser Welt, was mich traurig macht. Da muss ich das nicht meiner Liste der Top-Million-Sad-Things hinzufügen.
Schauen Sie selbst Serien?
Homeland ist fantastisch! Ich bin kein Suchtcharakter, aber davon würde ich nie eine Folge verpassen.
Warum hat man Sie in den letzten Jahren so selten auf der Leinwand oder im Fernsehen gesehen? Gibt es keine interessanten Angebote mehr?
Ich habe komplett das Interesse verloren. Sehen Sie, ich habe drei Armbanduhren. Jede ist in einer anderen Zeitzone. Eine für mein Zuhause, eine für Zentralafrika, eine für Darfur. Weil ich dort viele liebe Menschen habe, die Freunde geworden sind und die sich in schrecklichen Situationen befinden. So bin ich immer in Gedanken bei ihnen, frage mich, was sie um eine bestimmte Uhrzeit gerade tun.
Wie viel Zeit haben Sie in Darfur verbracht?
Ich war zweimal dort, 2004 und 2006. Und dreizehnmal in verschiedenen Darfur-Flüchtlingslagern an der Grenze zum Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik. Und für mein Archiv drehte ich einen Monat dort.