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Migrantisches Kino

Es fehlen oft die Nuancen

| Gunnar Landsgesell |
Die gesellschaftliche Realität ist wohl bunter als sie auf der Leinwand und im Fernsehen erscheint. Migranten im Film, das kommt zuweilen wie ein Klischee. Arman T. Riahis „Die Migrantigen“ ist eine von zwei demnächst anlaufenden Produktionen, die damit brechen wollen.

Migranten – bei diesem Thema ist man schnell bei Stereotypen angelangt. Wie kaum eine andere populär verhandelte Figur hat man rasch ein Bild im Kopf. Von Pluralität keine Spur, im Gegenteil, es gibt geradezu einen Prototypen des „Ausländers“, dessen Profil die institutionelle Politik und der Boulevard in Österreich über Jahrzehnte „verfeinert“ haben. Auch im Film taucht der „Migrant“ in relativer Regelmäßigkeit auf. Da ist der „Migrant“ oft aus der Realität in sein fiktionalisiertes Gegenteil gekippt: statt arbeitsscheu ist er nun besonders fleißig, statt eines coolen Trainingsanzugs trägt er armselige Kleidung, doch ein Abziehbild bleibt er in den meisten Fällen. Migranten haben gerne auch einen Traum. In Philippe Liorets wohlmeinendem Drama Welcome (2009) möchte ein irakisch-kurdischer Flüchtling gar den Ärmelkanal von Frankreich nach England durchschwimmen, um seine Freundin wieder zu sehen. Der Fleiß, den er beim Training an den Tag legt, soll den Jungen in die Herzen des Publikums bringen. Migranten müssen sich oftmals erst charakterlich beweisen, um in der Mehrheitsgesellschaft angenommen zu werden. Liorets Dramaturgie ist voll von solchen Klischees, auch die Zwangsheirat darf, wenn auch nur als winzige Nebenhandlung, nicht fehlen.

In Österreich sind viel weniger Filme entstanden, die das Thema von Flucht und Migration aufgreifen, als man angesichts der medialen Präsenz und der Emotionalisierung vermuten würde. Einige davon wählen einen nüchternen Realismus, wie etwa Nachtreise (2002), in dem der Filmemacher Kenan Kiliç, aus den Eingeweiden der Stadt, den Kellern und verborgenen Orten heraus erzählt, um die Erfahrungen eines Flüchtlings in seiner illegalisierten Existenz nachvollziehbar zu machen. Ein anderer Film, Jugofilm (1996) von Goran Rebic, knüpft an die Kriegsgeschehnisse in Jugoslawien an und zieht die Linien der Vertreibung bis nach Österreich, wo sich einerseits familiäre Konflikte fortsetzen, und andererseits durch den Status des Exils und der Fremde verschärft werden. Einen schönen Perspektivwechsel versuchte das eigenwillige Roadmovie Suzie Washington (1998, Regie: Florian Flicker), in dem Birgit Doll eine Sowjet-Bürgerin spielt, die ohne gültige Aufenthaltspapiere Österreich durchquert. Die Migrantin präsentiert durch ihren „fremden“ Blick dem Publikum ein Land, das wie Österreich aussieht, sich aber irgendwie anders anfühlt. Und auch Barbara Albert gelang es, in oft mühelos wechselnden Vignetten, in Nordrand (1999) ein kleines Figurenensemble rund um Nina Proll (Mehrheitsösterreicherin mit Problemhintergrund) und Edita Malovcic zusammenzuführen, das von Fremde und Entfremdung erzählt, ohne dabei eindimensional zu werden. Es gab sogar einige spärliche Komödien, die sich auf den vielzitierten Kultur-Clash ihren eigenen Reim machten. Houchang Allahyari glich bereits 1991 in I Love Vienna den touristisch inszenierten K.u.K.-Glamour Wiens mit der ernüchternden Realität ab, auf die die hoffnungsfrohen Zuwanderer hier treffen. Der Film lebt von der Überzeichnung und nimmt die Klischees auf die Schaufel. All diese Filme sind frühe, rare Werke, die die Verschärfung des Migrationsdiskurses jeweils auf ihre Art vorwegnahmen. In den vergangenen Jahren verdichtete sich das Kinoschaffen scheinbar, mit Filmen von Umut Dag (Kuma, 2012; Risse im Beton, 2014), Nina Kusturica (Little Alien, 2009), Arash T. Riahi (Ein Augenblick Freiheit, 2008) oder Sudabeh Mortezai (Macondo, 2014) wurde die Frage nach den gesellschaftlichen Realitäten ganz offensichtlich vielschichtiger. Hier tauchen Momentaufnahmen aus verschiedenen Leben auf, die die Medien in ihren von der Polit-Agitation angefeuerten Themensetzungen so nur selten zu vermitteln in der Lage sind.

Die Migrantigen

Just diese Medienrealität nimmt einer der beiden Filme, die demnächst rund um das Thema Migration und Exil im Kino anlaufen, aufs Korn. Arman T. Riahi (Schwarzkopf, 2011) hat sich gefragt, wie es eigentlich zu „Ausländer“-Klischees kommt und hat mit Die Migrantigen eine Satire geschaffen, in der die Produktion des „migrantischen Habitus“ sogar zur ökonomischen Notwendigkeit wird. Der Film handelt von zwei Wienern mit so genanntem Migrationshintergrund: Benny (Faris Rahoma) und Marko (Aleksandar Petrovic) leben und arbeiten in einem der Außenbezirke so vor sich hin und sind eigentlich ziemlich unauffällig. Die Geschäfte gehen nicht wirklich gut, aber man wurschtelt sich durch. Als eines Tages eine Fernsehredakteurin (Doris Schretzmayer) auftaucht und nach „Migranten“ für eine Doku-Soap im Problembezirk sucht, fällt ihr Blick auf Bennys schwarze Haare. Die beiden wittern eine Chance, erfolgreiche Protagonisten im Fernsehen zu werden und geben der Reporterin, was sie sucht. Sie recherchieren in Kneipen und bei migrantischen Cliquen, legen sich eine Kunstsprache zu und billige Kleidung, erzählen von Drogenlieferungen und dem Leben auf der Straße und schon läuft die Authentizitätsmaschine wie geschmiert. Die Reporterin glaubt, sie sei einem ganz großen Ding auf der Spur. Während Die Migrantigen seine teils bitteren Schmähs verströmt, läuft das Geschehen nie ohne eine zweite Erzählebene ab. Besondere Pointe: Selbst der etwas derbe Migrant Juwel (Mehmet Ali Salman) mit seinem straßenerprobten Outfit, den Benny und Marko zufällig getroffen haben, und der sie nun coacht, hat sich den „Ausländer-Habitus“ nur angeeignet, weil er den beiden einfach helfen will. Am Ende platzt alles wie ein billiger Hoax, der mit den schwarzen Haaren von Benny begann. Woher die Lust am Exotismus bei Menschen, die längst hier leben oder geboren sind? Arman T. Riahi: „Darüber haben wir uns auch schon lange gewundert. Bei Migranten oder Österreichern mit Migrationshintergrund fehlen oft die Nuancen. Auch im Film hat es eigentlich fast nie Stoffe über komplexe, migrantische Figuren in Österreich gegeben. Wir dachten, warum sieht man die Leute nicht, die integriert sind? Muss man ihnen immer doch noch irgendwas etwas „ausländisches“ andichten, damit sie „verkaufbar“ werden? Man hat das Gefühl dass man als „Migrant“ immer noch aussehen muss wie ein Südländer, dass man in der Öffentlichkeit als erfolgreiches Integrationsbeispiel wahrgenommen wird.“ Das wollten Arman und seine Ko-Drehbuchautoren Petrovic und Rahoma auch dramaturgisch durchbrechen. „Wir wollten nicht das gleiche Betroffenheitskino, das ständige Sozialdrama bedienen, wie es oft vorkommt. Wir wollten uns dem Thema über Humor nähern. Ich glaube, dass man sich anders als in Deutschland, wo es Komödien wie Kanak Attack oder Kebab Connection gab, in Österreich nicht so richtig über dieses Thema drüber getraut hat. Anders als im Kabarett, man denke an Niavarani oder Lukas Resetarits. Es ist fast wie ein Tabu, weil man sonst gleich in einen rassistischen Verdacht geraten könnte. Uns, wo wir selbst Migrationshintergrund haben, sind die Leute vielleicht nicht so schnell böse. Denn in Die Migrantigen wird jeder durch den Kakao gezogen.“ Beim Schreiben habe man sich an Komödien wie Brassed Off oder Ziemlich beste Freunde orientiert: Komödien mit einem ernsten Kern, aber kein Ulk, wie Fack ju Göhte. Mit seinem Film will Arman aber auch im gelebten Alltag intervenieren: „Uns war wichtig, Leute auf die Leinwand zu bringen, die so wie wir sind. Es geht um Diversität, um Inklusion von Menschen, die wie meine Hauptdarsteller Alexander Petrovic und Faris Rahoma, hier geboren sind. Sie bekommen immer nur Rollenangebote für Kriminelle und Gewalttäter – und Taxifahrer. Alles Ausländerklischee-Rollen. Wir aber wollten die integrierten Menschen zeigen, die einen ganz normalen Job haben und eben nicht „ausländisch“ wirken. Das Potenzial dieser Leute sehen Drehbuchautoren offenbar nicht. Warum weiß ich nicht.“

Spalt zwischen Realität und Medien

Die Migrantigen wurde durch eine Initiative gefördert, die es seit 2009 gibt: Das Projekt „Diverse Geschichten“ hat zum Ziel, kreative Autor/innen mit interkulturellem Hintergrund u.a. in Workshops von der Stoff-Idee zum Drehbuch zu begleiten. Robert Buchschwenter, Ursula Wolschlager und Senad Halilbasic betreuen die Projekte dramaturgisch. Halilbasic: „Es gibt relativ wenige Filme von Filmemachern mit migrantischem Hintergrund. Einer der Gründe ist sicher, dass es nur wenig strukturelle Möglichkeiten gab, Leute zu fördern. In Deutschland gab es Fatih Akin als bekannten Namen, bei uns war das anders. Das wollten wir ändern.“ Eine Prämisse sei gewesen, das Projekt nicht inhaltlich einzuschränken, also auf das Thema Migration zu reduzieren. Es ging v.a. darum, Leuten eine Hürde zum Film zu erleichtern. Seit den Jahren, in denen „Diverse Geschichten“ besteht, sei zu beobachten, so Halilbasic, wie sich die Themen und Interessen verschoben haben: „Vergangenes Jahr wurden mehr Projekte mit arabischem Hintergrund eingereicht, sehr authentische Geschichten.“ Das habe auch mit dem Zuzug von Flüchtlingen zu tun, die nun ihre Erlebnisse verarbeiten. Nun finden sich auch angehende Filmemacher etwa aus dem Sudan und aus Syrien bei der Initiative. Komödien sind bei den Stoffen eher selten, Die Migrantigen sei insofern ein Ausnahmeprojekt. Woran das liegt? „Das könnte mit bestimmten Kinotraditionen zu tun haben, die das Kino in Österreich bestimmen. Oder auch am Abstraktionsvermögen, eine Geschichte eben in einer bestimmten Form zu erzählen“, mutmaßt Halilbasic. Bemerkenswert sei, dass mit der zweiten Generation von Migranten nun auch Geschichten erzählt würden, in denen der Migrationshintergrund nicht länger als Konflikt benutzt wird, sondern selbstverständlich werde. Ein Anliegen, das sich mit jenem von Arman T. Riahi trifft. Neben Die Migrantigen entstand mit Home Is Here ein weiterer Spielfilm im Rahmen von „Diverse Geschichten“.Home Is Here, inszeniert von Tereza Kotyk, arbeitet sich aber weniger an den Rassismen des öffentlichen Diskurses ab, sondern spürt einem bestimmten Gefühl der Entwurzelung nach. Die Protagonistin Hannah (Anna Åström) wohnt mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder nach einer Emigration in Innsbruck in einem Plattenbau. Sprache wird hier zum Hindernis und verstärkt das Gefühl der Isolation. Eines Tages entdeckt Hannah in der Nähe ein Designer-Wohnhaus, dessen Ästhetik und Lebensstil wie aus einer fremden Welt erscheinen. Es gehört dem Finanzexperten Max (Stipe Erceg), der sich zwischen Arbeits- und Freizeitsport-Routinen das Haus nur spärlich angeeignet zu haben scheint. Anders Hannah, die während Max’ Abwesenheit dort ein zweites, stark von Imaginationen und der attraktiven Fremdheit des Hauses ein zweites, verborgenes Leben beginnt. Auch wenn sich beide vielleicht nie treffen sollten, entsteht eine Verbindung, die wohl auf ganz unterschiedlichen Gefühlen fußt. Home Is Here ist als österreichisch-tschechische Koproduktion entstanden. Kotyk wählte Tirol als Handlungsort, wohl auch wegen dessen besonders starker Identitätspolitik, die etwa auf Wintersport u.a. besteht. Im Kern der nur über Symbole und Gegenstände hergestellten Beziehung zwischen Hannah und Max ging es Kotyk jedoch um das Thema des „Zuhause-Seins“, wie sie sagt: „Es gibt die Sehnsucht nach einem Ankommen in einem anderen Leben, in einer Beziehung oder im „richtigen“ Beruf. Diese Sehnsucht lässt uns individuelle Grenzen überschreiten, um emotionale Nähe oder ein persönliches Ziel zu finden.“ Home Is Here wählt einen ungewohnten Zugang, der sich gegen den Dialog und für eine starke visuelle Ebene entscheidet, um diese Geschichte zu vermitteln. Das Moment der Abtrennung von der Umwelt, wie es bei Kotyk vorkommt, führt zurück zur grundsätzlichen Frage, ob Menschen mit Migrationshintergrund es schwerer haben, ihren Weg zu gehen. Sicherlich, Film stellt als teures Medium eine höhere Hürde dar als andere Kunstformen, zu denen man vielleicht leichter Zugang findet. Sudabeh Mortezai, die Regisseurin des Flüchtlingsfilms Macondo, dessen kleiner Protagonist auf wundersame Weise als vollständiger Mensch aus Fleisch und Blut auf der Leinwand erscheint, hat selbst nicht die Erfahrung gemacht, dass ihr als Filmemacherin Steine in den Weg gelegt wurden. Oder, dass sie es schwerer hatte. Sie glaubt aber, dass man die Frage von einer höheren Ebene betrachten muss: „Es gibt ein gesamtgesellschaftliches Problem, das Leute hindert, ein Gefühl zu entwickeln, dass sie selbstversändlich zu einer Gesellschaft gehören. Und das ihnen auch ermöglicht, sich zu trauen, so etwas zu sein, wie ein Künstler. Wenn man aus migrantischen Verhältnissen kommt, ist es oft wichtiger, zu überleben, einen Job zu haben, usw. Das Prekariat in der Kultur muss man sich ja erst einmal leisten können, man muss sich als Künstler, die Freiheit nehmen können, genau das zu tun.“ Mortezai, teils in Wien, teils in Teheran aufgewachsen, hat einige Jahre auch in den USA gelebt. Dort habe man eine viel größere Offenheit, es ginge weniger um Herkunft, als um das, was man tun möchte. Die Gesellschaft in Österreich ist, kein Zweifel, weniger diversifiziert, auch wenn sich das seit einiger Zeit ändere. Mortezai: „Dennoch habe ich das Gefühl, dass Österreich gesellschaftlich viel bunter ist als auf der Leinwand. Wir sind vielleicht schon viel weiter als es viele klischeehafte Darstellungen vermuten lassen würden. Realität und mediale Darstellung klaffen doch etwas auseinander.“