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Mit Brandauer durch die Galaxis

| Marc Hairapetian |

Ein großes Gespräch mit Schauspieler und Regisseur Klaus Maria Brandauer, der am 22. Juni 70 geworden ist.

Klaus Maria Brandauer liebkost zu Beginn der Begegnung den Husky-Mischling des Interviewers, mit den Worten: Du bist ein so Schöner! Ein schöner Prinz!

Marc Hairapetian: Sie mögen Hunde wohl sehr? Victor Hugo sagte einmal: „Der Hund ist die Tugend, die sich nicht zum Menschen machen konnte.“
Brandauer: Da ist etwas Wahres dran. Mein erster Hund hat in seinem Dasein von 13 Jahren nichts gelernt, oder besser gesagt, er war so schlau, dass er nichts lernen wollte. Er schaute, wenn man ihm etwas zuwarf, in die andere Richtung. Er hieß Figaro, weil ich damals den Figaro im „Tollen Tag“ bei den Salzburger Festspielen verkörpert hatte. Aber der ganze Ort rief meinen Hund „Fidelio“. Er war ein großer Angsthase. Er drehte sich immer um, wenn die Kühe auf die Weide kamen, als wenn er sich denken würde: „Wenn ich sie nicht sehe, sehen sie mich auch nicht.“ Figaro folgte meiner Frau und mir, ohne dass er je abgerichtet wurde. Unser Figaro war überall dabei: Er war in Nairobi und New York. Und so benahm er sich auch ein bisschen, nachdem er schon einige große Flüge mitgemacht hatte. Als er tot war, hatten wir zwei Jahre keinen neuen Hund. Dann kam ein kleiner Bastard, indem ein Schäferhund steckte, und den nannten wir dann Daniel von Düsentrieb, weil er so blitzgescheit war. Seitdem er im Alter von 17 Jahren verstarb, haben wir keinen mehr, aber wenn sich die Gelegenheit bietet… Man geht nicht irgendwo hin und besorgt sich einen neuen Hund, sondern das muss sich anders ergeben: Der Hund muss quasi zum Menschen kommen.

Um auf den Menschen zu kommen: Sie engagieren sich immer wieder für wohltätige Zwecke, ohne es groß in den Medien kundzutun. Mit dem von Ihnen betreuten Karin-Brandauer-Fonds der Universität Tel Aviv gehen sie allerdings bewusst in die Öffentlichkeit. Wie lange sind sie schon der Stiftung verbunden?
Zehn Jahre. Der Karin Brandauer-Fonds kam über Dr. Kranz, den Repräsentanten der Universität Tel Aviv zustande. Nach dem Tod meiner Frau schlug er einen Lehrstuhl für Gastprofessoren innerhalb der Fakultät der Bildenden Künste an der Uni Tel Aviv vor. Den haben wir 1995 begründet und schauen nun, dass es ein finanziell gut ausgestatteter Lehrstuhl wird, wo international bekannte Regisseure und Schauspieler in den Abteilungen Film, Fernsehen und Theater Vorlesungen halten, Seminare und Workshops durchführen. Einige meiner Freunde wie Walter Schmidinger oder Mario Adorf sind mit von der Partie.

Sind sie eigentlich religiös?
Ich bin in der katholischen Tradition in der Steiermark aufgewachsen. Wir hatten damals ganz gute Pfarrer, die in der Kirche das Sagen hatten. Ich war auch Ministrant und bin sehr gerne in die Kirche gegangen, was nicht nur in meiner Affinität zur Kleidung der Priester begründet lag, sondern auch in den Besinnungsstunden, die man einfach hat, wenn man sich mit solchen Sachen beschäftigt wie: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? Und das hat mich auch Zeit meines Lebens – bis heute – nicht losgelassen. Denn ich glaube, dass meine Arbeit, Leute zu unterhalten, einen Sinn über das Handwerk hinaus hat. Das ist wahrscheinlich aus meiner christlichen Tradition heraus entstanden, und diese Werte entdecke ich ja nicht nur im Katholizismus oder bei den Protestanten, sondern die finde ich auch bei den Moslems, Juden oder allen anderen Religionen. Ich möchte immer auf der Seite der Minorität stehen, und das tue ich auch, weil die Majorität ist sowieso die Mehrheit. Das heißt also, alle, denen es nicht so gut geht, alle, die in der Minderheit sind, sind zu beschützen und brauchen eine Stimme. Und die Kunst und die künstlerische Arbeit muss die erste und wichtigste Stimme von all diesen Menschen auf der ganzen Welt sein. Es spielt dabei keine wesentliche Rolle, ob sie Hamlet inszenieren und spielen oder ein Stück über Albert Speer schreiben oder einen Film über Rembrandt machen. Das ist die Basis. Unter dieser Prämisse sollten wir antreten. Und das vergesse ich auch nicht.

„Die Nachwelt flicht dem Mimen keine Kränze“. Bleibt etwas für die Ewigkeit?
Ich glaube, wenn ich nicht mehr bin, werde ich mich wahrscheinlich mit dieser Welt, auf der ich nun siebzig Jahre gelebt habe, nicht mehr beschäftigen. Ob ich es überhaupt kann, ist die andere Frage. Schön wäre es, wenn wir ein Bewusstsein hätten zu dem, was wir hier erlebt haben, aber diese Fragen werden wir heute nicht beantworten können, obwohl es schön ist, manchmal darüber nachzudenken. Allgemein kann man nicht darüber reden, nicht mal wir zwei, obwohl wir uns schon seit einiger Zeit kennen. Im Grund genommen ist es eigentlich ein Selbstgespräch, denn wenn man sehr in sich hinein hört, tun sich Türen, Bezirke, ja Welten auf, wenn man sich mit sich als einem Wesen beschäftigt, das möglicher Weise mit dem hiesigen Tod nicht zu Ende existiert hat.

Albert Camus meinte: „Mich interessiert ein Jenseits nur, wenn ich mich an das Diesseits erinnern kann.“
Das ist der große Wunsch. Ich kann mich z.B. beim Aufwachen auch nicht mehr an meine Träume erinnern. Früher schon, da bin ich immer meilenweit geflogen. Nun schlafe ich ungern lange, weil ich lieber in der Wirklichkeit unterwegs bin, um mit anderen zu reden und ihnen auch zuzuhören. Solange wir am Reden sind, schlagen wir uns nicht die Köpfe ein.

Was bedeutet Ihnen Ruhm?
Das mit dem Ruhm ist eine einfach zu beantwortende Sache, jedenfalls von meiner Seite aus. Seit ich denken kann, wollte ich Geschichten erzählen, meine oder die von anderen Leuten aufgeschrieben wurden. Es war mir in meiner Anfangszeit am Theater gar nicht klar, dass es dort eine gewisse Hierarchie gibt. Ich habe Rollen in Tübingen oder Salzburg an kleineren Theatern gespielt, und ein anderer hat sie halt in Berlin gespielt. Dass das ein Unterschied von der Karriere her ist, habe ich erst viel später bemerkt. Damals war ich froh, dass ich das, was ich mir erträumt hatte tatsächlich auch machen konnte. Und natürlich, da wir jetzt im 21. Jahrhundert leben, bleibt es nicht aus, dass, wenn man in der Öffentlichkeit steht, man durch seine Arbeit bekannt wird. Das wird dann sehr schnell als Karriere und Ruhm bezeichnet. Ich finde, das ist ein nettes Abfallprodukt der eigentlichen Tätigkeit, aber ich habe es nie überschätzt. Allerdings bin ich auch nicht zum Theater gegangen, um unauffällig zu bleiben. Aber der Unterschied zu anderen Leuten ist nicht zu groß, auch andere Leute wollen vorkommen.

Ist Schauspielerei nicht manchmal auch eine Form von Eskapismus, das Leben in den Griff zu bekommen? Ständig muss man jemand anderen verkörpern, obwohl gerade sie immer wieder viel von ihrer ureigenen Persönlichkeit in die Rollen einbringen. Ich erinnere mich an ihren Ausspruch: „Das Leben ist eine Dauerkrise. Wir bekommen es nur nicht immer mit.“
Die Beschäftigung mit einem Text oder überhaupt mit Geschichten oder einem Plan, den man ausführen möchte, kann schon eine Flucht in eine Einsamkeit sein, die allerdings in eine Zwei- oder Mehrsamkeit münden unabhängig vom künstlerischen Standpunkt dient es dazu, mit dem was ich mache, meine eigene Lebensqualität zu verbessern, um damit die Lebensqualität der anderen zu bereichern. Das ist die Aufgabe. Als Flucht meiner eigenen Existenz, in die ich hineingeboren wurde, habe ich Schauspielerei nie empfunden. Ganz im Gegenteil: Ich achte sehr darauf, dass ich mit beiden Beinen auf dem Boden stehen bleibe, denn das, was ich mache, ist wirklich Luxus. Wir müssen das, was wir so lieben, keinesfalls überschätzen. Wir müssen halt schauen, dass wir unsere Geschichten, seien es maghrebinische Geschichten oder todtraurige, gut erzählen.

Was ist das größere Glücksgefühl: Wenn man auf der Bühne steht und den Schlussapplaus für Hamlet oder Cyrano empfängt, oder wenn Ihnen das Publikum bei einer Filmpremiere zujubelt?
Alle Leute sagen sehr gerne, dass Theater und Film miteinander verwandt sind. Das würde ich auch sagen, aber ganz, ganz weitschichtig. Das eine hat, so nah wie es viele Menschen darstellen mit dem anderen gar nichts zu tun. Das Theater ist eine ereignishafte Unternehmung, Es ist der Versuch einer Solidarität, sich mit dem Publikum über ein Thema zu verständigen, und es dann zu besprechen. Wenn es besonders schön wird, gehört es fast in ein Reich von Mythos und Mystik. Religion spielt dabei sicher auch eine Rolle, das Zusammensein von Gleichklang entsteht. Man kann durchaus von einem kleinen Wunder sprechen. Sie können es auch Seelen- oder Herzensverwandtschaft oder ein Weltgedanke nennen. Dann sind wir das, was wir eigentlich alle sein wollen: zusammen. Eine Einheit. Und sofort verlassen wir das Theater und haben in wenigen Minuten wieder die Probleme des Alltags. Ich glaube, dass ich mich als Schauspieler gar nicht verwandeln muss, sondern ich bin ich – und ich kann nur mit meinen Erfahrungswerten, mit dem, was ich gelernt habe und was mir andere erzählt haben, eventuell gepaart mit einer Vision oder Utopie an das Publikum herantreten. Und dann werde ich das, was ich aus Hamlet oder Tartuffe herausgelesen habe. Es geht darum eins zu werden mit der Figur der Dichter. Wenn einem das in Momenten gelingt, dann erlebt man in unserer Arbeit so etwas wie Glück.

Der Film ist kein Ereignis, der Film hat höchstens eine Ereignishaftigkeit während der Dreharbeiten. Vielleicht läuft jetzt irgendwo auf der Welt ein Film von mir, auf den ich durch eine Art klinischen Prozess gar keinen Einfluss mehr habe. Dennoch gibt es auch auf der Leinwand immer wieder existentielle Urschreie, Blicke, Gesichter, Wahnwitzigkeiten, größtes Glück, schönste Liebe, entsetzlichste Erkenntnisse. Dem muss man während des Drehs nachjagen, insofern findet das Theaterhafte am Set statt. Auf der Bühne kann das Besondere jeden Tag zwischen 19 und 23 Uhr passieren.

Magisches kann sich doch auch während der Proben ereignen.
Natürlich. Magisches kann überall passieren, auch am Stammtisch. Von Agnostikern und Atheisten werden magische Momente immer wieder in den Bereich des Zufalls verwiesen. Ich glaube, dass, wenn sehr viele Menschen etwas wollen so wie z.B. Regenmacher den Regen herbeten, so etwas auch eintreten kann. denn „Es gibt mehr …“

… „Dinge auf Himmel und Erden“ …
… „als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.“ Das ist das Entscheidende, das ich dieses unbekannte Land in mir selber erlaube. Wir können unseren Alltag immer besser meistern, je mehr wir in der Lage sind, uns auch auf Galaxis 14 zu treffen. Und die kann durchaus das Cafè Einstein sein.

Sehen Sie sich Ihre eigenen Filme gern wiederholt selber an?
Ich glaube nicht, dass ich je bei einer Premiere einen meiner eigenen Filme komplett angesehen habe. Meist wohne ich nur dem Anfang und dem Ende bei, obwohl ich dieses Verneigen schrecklich finde. Vorher war man auf einer Riesenleinwand zu sehen, und dann treten plötzlich so kleine Männlein an die Rampe. Also ich geniere mich dabei und habe das auch bei meiner letzten Premieren in Wien erklärt. „Mephisto“ habe ich vor einigen Jahren anlässlich einer Retro in Rom wieder für ein paar Minuten gesehen und fand, dass er noch im neuen Jahrtausend hielt. Meine Schwiegermutter hat mich vor kurzem angerufen und gesagt: „Du läufst im Fernsehen und zwar mit Ausschnitten aus der Kortner-Inszenierung von Emilia Galotti“. Und tatsächlich kommt da ein vollhaariger, blonder Junge, der mit einer Stimme spricht, an die ich mich gar nicht mehr erinnern kann und mit einem falschen Dampffeuer aufspielt und irgendwie geradezu schnuckelig aussieht – und das war ich! Während ich auf dem Fernsehschirm lief, betrachtete ich mich links in einem alten Spiegel wurde sehr eindringlich der Vergänglichkeit gewahr. Nicht, dass es mich besonders traurig macht, ich weiß, dass ich die Falten im Gesicht mit Milliarden von Menschen gemeinsam habe. Ich meine das gar nicht eitel. Wir gehen alle auf Erden diesen Weg, obwohl man sich den eigenen Tod schwer vorstellen kann. Dass andere sterben, kann man sich irgendwie vorstellen.

Andererseits bin ich sehr dafür, dass wir unsere Existenz auch in den schrecklichsten Situationen mit Humor und Gelassenheit nehmen. Im Detail des Lebens sollten wir präzise sein, das meine ich, mit beiden Beinen auf der Erde stehen. Besinnungsstunden müssen immer Rückbezug zum Alltag haben, denn dort, können wir uns als das beweisen, was wir vorgeben zu sein: Menschen. Ich bedauere außerordentlich, dass ich mit einem Menschen Ihres Alters normaler Weise gar nicht so sprechen kann, wie wir es jetzt tun, weil er die Voraussetzungen dafür nicht mehr hat. Das Schulsystem, dargestellt durch Eltern, Lehrer und Schüler, empfindet nämlich heutzutage etwas als Schimpfwort, was keines sein darf, nämlich ein gebildeter Bürger zu sein. Ohne gebildete Bürger gäbe es nicht unsere Errungenschaften wie Demokratie, mit denen Würde, Freiheit, Toleranz, gegenseitige Hilfe einhergeht. Ein gebildeter Bürger ist natürlich viel mehr in der Lage durch Vergleiche, durch Wissen, durch anerzogene Lust am Denken, Dinge zu denken, dass ein Zusammenleben ein Zusammenleben ist und nicht ein Sololeben. Und da nützt es gar nicht, dass man sich zurückzieht und sagt, jeder stirbt für sich allein. Es geht zunächst darum, das man das „ich“ findet und dann zum „du!“ kommt und zwar sehr schnell zum „du“ (lacht) – und schließlich zum „wir“.

Herzensbildung ist Ihnen wichtig. „Moral“ ist für Sie also auch kein abfälliges Wort.
Überhaupt nicht. Man kommt natürlich, wenn man solche Worte in den Mund nimmt, sehr schnell in den Verdacht ein „Gutmensch“ zu sein, was mittlerweile auch ein Schimpfwort ist wie Bildungsbürger. Vor allem durch die multimediale Berieselung werden wir angehalten, schnell zu sein. Dabei ist das schnellste, was man üben kann ohne Bereicherung und Inflation der Bilder, die wir um uns herum sehen, einen Gedanken zu durchdenken und gleichzeitig zu spüren, dass es einen Subtext gibt und vielleicht einen dritten und vierten Parallelgedanken. Und wenn man das miteinander kombiniert, hat man schon ein wunderbares Bild im eigenen Kopf. Das macht ein Riesenvergnügen, dass sie gleichzeitig an so viele Dinge denken und sich noch aussuchen können, was ist der Hauptstrang? Das lassen wir uns immer mehr abnehmen. Noch nie wurde die Welt so manipuliert wie jetzt. Chaos an Bildern! Inflation an Informationen! Ein Werbespot hat bis zu 50 Schnitten in der Minute, also muss das auch ein Spielfilm haben usw. Wir sind einfach zu schnell unterwegs. Kriterien wie Erfolg, Ruhm Geld, „Adabei“ sein wie der Wiener sagt, da wird uns vorgegaukelt, dass das der Weg ist. Ich weiß durch meine Tätigkeit als Lehrer am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, dass junge Menschen, die zu uns kommen, noch nicht mal ein Gedicht auswendig können. Bestenfalls singt der Kandidat „Hänschenklein“. Lehrer- und Elternvereinigungen sagen oft: „Sie muten meinem Sohn zu, Die Glocke auswendig zu lernen in 14 Tagen, der muss zum Psychiater!“ Ich bin sehr fürs Internet, ich bin für alle Computerspiele, mein Enkel kann das perfekt. Aber Gott sei Dank kann er auch fast perfekt Französisch und Englisch. Ich hatte meine große Not, dass ich ihm den Altausseer Dialekt beibringen musste als wäre es eine Fremdsprache. Das ist jetzt meine Aufgabe. Es ist nicht schlecht, sich auszukennen auf dem Globus. Fleiß ist wichtig.

Sollte man nicht auch neugierig sein?
Fleißig, neugierig. Wenn man neugierig ist, muss man fleißig sein, weil sonst erfährt man ja nichts und vor allem muss man auch in der Lage sein, zu Leuten zu gehen und zu fragen: Ich habe gehört, dass sie etwas wissen, sagen Sie es mir auch. Ja, Vampirartig durchs Leben gehen! Natürlich nimmt man an, dass das was man hört und selber denkt, richtiger ist, als das, was man hört und sagt: Das habe ich noch nie gedacht. Frei nach dem Motto: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Ich würde gerne all diejenigen aufsuchen und alle aufrufen, die aufzusuchen, die eventuell etwas sagen, was man gar nicht meint, was man noch nie gedacht hat und sogar ablehnt. Weil das andere ist, im eigenen Saft zu schmoren.

Lesen Sie noch Kritiken über sich?
Ja, schon. Ich bilde mir ein, wenn ich Rezensionen lese, spüre ich immer sehr schnell, ob der, der darüber schreibt, die Sache an sich gerne hat, sie für ihn existenziell oder essenziell ist, oder nicht. Ich möchte kein Kritiker sein, jahraus, jahrein mir Stücke in einer Stadt ansehen und darüber schreiben. Meine früheren väterlichen Freunde, die in Wien geschrieben haben wie Oskar Maurus Fontana, Pierre Rismondo und Friedrich Torberg haben auch kilometerweise Bücher geschrieben und eben nicht nur über das Theater. Torberg sagte einmal etwas sehr Schönes: „Schauen sie, wenn man in eine Frau verliebt ist, schreibt man Gedichte, und wenn man das Theater liebt, schreibt man Kritiken.“ Das können natürlich auch zornige Liebesbriefe gegen das Theater oder zornige Rezensionen über Brandauer sein, aber wenn ich das spüre, wenn ich so emotional und intellektuell beantwortet werde, wie ich es gemacht habe, bin ich mit allem zufrieden. Das nehme ich dann auch an. Wenn es aber nur ein weiterer Grund ist, Kulturpolitik zu machen, lehne ich es ab. Es gibt viele Leute, die Kritiken schreiben, ohne je Lehrling gewesen zu sein, ohne je das Gesellenstück gemacht zu haben, geschweige denn einen Meisterbrief zu besitzen. Schlecht ist dies meist, wenn solche Flitzepiepen jungen Schauspielern, die kaum aus den Startlöchern hervorschauen, mit dem Vorschlaghammer eins drauf geben und sie für einige Zeit entmutigen.

Eines Ihrer Vorbilder war Oskar Werner, mit dem sie Anfang Ihrer Karriere häufig verglichen wurden. Welche Erinnerung haben sie an ihn?
Oskar Werner ist eine seltene Jahrhundert-Erscheinung am Theater, im Film und im Leben. Am Schluss bin ich ihm häufig begegnet, weil er in der Nähe meiner Wiener Wohnung lebte. Ein großer Künstler, vielleicht deshalb so unglücklich, weil er sich nicht damit abfinden konnte, dass dem Guten, dem Schönen, dem Wahren schon zu seiner Zeit sowenig Platz eingeräumt wurde. Und wo wir heute stehen, wissen wir ja: im größten Chaos an Informationen und Bildern, dass es je auf der Welt gegeben hat. Das macht es schwer, auch wenn es pathetisch klingt, das Gute, das Schöne und das Wahre herauszufinden. Aber es lohnt sich.

Gab es Pläne für eine Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden?
Nein. Das Verhältnis von jemandem, der Don Carlos und Hamlet spielt, und einem anderen, der dann zwanzig oder dreißig Jahre später Don Carlos und Hamlet spielt, ist nicht immer ohne Schatten. So wie derjenige, der künftig diese Rollen spielen wird, ein Verhältnis zu mir haben wird, das auch nicht ohne Schatten sein wird. (Lacht.) Trotz meiner Verehrung für Oskar Werner als Künstler und Mensch, möchte ich natürlich das gerne werden, wozu ich noch unterwegs bin: Klaus Maria Brandauer.