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Nick-Cave_and_Warren-Ellis

This Much I Know To Be True

Momentaufnahmen

| Pamela Jahn |
Der Dokumentarfilm „This Much I Know To Be True“ zeigt den Universalkünstler Nick Cave beim Musizieren und mit seinem kongenialen Kollaborateur Warren Ellis. Regisseur Andrew Dominik hat sie mit viel Licht und Feingefühl in Szene gesetzt. Ein Gespräch über die Kraft der Musik, den Umgang mit dem Tod und über sein brisantes Marilyn-Monroe-Biopic „Blonde“.

Er habe sich beruflich umorientiert, sagt Nick Cave und meint es (fast) ernst. Der Lockdown und die damit einhergehende Empfehlung der britischen Regierung für Künstler im Live-Entertainment-Bereich hätten ihn dazu veranlasst, auf Keramiker umzuschulen, zumal sämtliche Konzerttouren vorerst abgesagt seien. Einen kurzen Schnitt später sieht man den Musiker im weißen Kittel in seiner Heimwerkstatt stehen. Dieser Nick Cave, daran besteht sein Zweifel, der uns jetzt das Leben des Teufels anhand von 18 Miniaturskulpturen erklärt, ist heute ein anderer Mensch als noch vor sechs Jahren. Damals hatte er seinen langjährigen Freund, den in Neuseeland geborenen und in Australien aufgewachsenen Andrew Dominik, zum ersten Mal gebeten, einen Dokumentarfilm mit ihm zu drehen. Wenige Monate zuvor, im Juli 2015, war sein Sohn Arthur im Alter von 15 Jahren von einer Klippe gestürzt. Um die Veröffentlichung des neuen Bad-Seeds-Albums „Skeleton Tree“ zwar ohne Tour, aber nicht völlig lautlos über die Bühne gehen zu lassen, sollte One More Time with Feeling (2016) den Fans als Ersatz dienen. Es war eine Ausnahmesituation, die Nick Cave die Möglichkeit gab, seinem Schmerz und der tiefen Trauer einen Raum zu geben. Die düster-melancholischen Bilder, die Dominik dafür fand, sprachen für sich.

This Much I Know To Be True ist weniger eine Fortsetzung dieses ersten waghalsigen Experiments als ein weiterer Notbehelf, um auch die neuesten Alben „Ghosteen“ und „Carnage“ in Pandemiezeiten ohne Tour vorzustellen. Das intensive Vertrauensverhältnis zwischen dem Musiker und dem Regisseur ließ daraus jetzt einen Film entstehen, der Cave und seinen wichtigsten Kollaborateur Warren Ellis bei einer von Licht durchfluteten Studiosession mit Piano und Streicherensemble zeigt. Die dokumentarischen Einschnitte dazwischen geben sowohl einen kostbaren Einblick in ihren gemeinsamen Arbeitsprozess als auch in den Seelenzustand von Cave heute.

Für Dominik, der im Jahr 2000 mit dem True-Crime-Drama Chopper erstmals von sich reden machte, bot der erneute Abstecher in die schier unendlichen kreativen Sphären des Cave-Universums eine willkommene Abwechslung zu dem Aufsehen, das sein im Dezember auf Netflix erscheinendes Marilyn-Monroe-Biopic Blonde bereits seit Monaten aufgrund angeblich expliziter Sexszenen erregt. Die Musik zu der fiktionalen, auf dem gleichnamigen Roman von Joyce Carol Oates basierenden Inszenierung über Leben und Gemütslage der Hollywood-Legende haben selbstverständlich Cave und Ellis übernommen, die 2007 bereits den Soundtrack zu Dominiks Neo-Western Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford beigesteuert hatten. Und so kommt bei Cave und Dominik stets alles zusammen: Film und Musik, Gewalt und Gefühl, Tod und Hoffnung. Er sei heute glücklicher als früher, gesteht Cave in einem nachdenklichen Augenblick. Und man weiß, dass er vor Dominiks Kamera die Wahrheit spricht.

Mr. Dominik, Ihr erster Dokumentarfilm „One More Time with Feeling“, der wenige Monate nach dem Tod von Nick Caves Sohn Arthur entstand, zeichnete ein sehr düsteres Bild. Sechs Jahr später erleben wir einen Musiker, der wieder voller Zuversicht scheint. Wie haben Sie das empfunden?
Andrew Dominik:
Ganz genau so. Ich denke, Nick hat sich erholt. Es ist erstaunlich, vor allem, weil der Künstler, den ich vor sechs Jahren gefilmt habe, sich sicher nicht hätte vorstellen können, dass das möglich ist. Nick hat gelernt, dass das Leben ab einem bestimmten Punkt von Verlusten gekennzeichnet ist. Und er weiß heute damit umzugehen. Was mir beim Drehen besonders auffiel, war, wie gefasst und vollkommen normal er wirkte. Das klingt jetzt vielleicht merkwürdig, aber er war fest entschlossen, das Beste aus Arthurs Tod zu machen. Und wenn er sich etwas vornimmt, achtet er sehr darauf, dass ihm das auch gelingt. Heute kann er wieder glücklich sein. Natürlich trägt er den Schmerz noch tief in sich, keine Frage – aber seine Fähigkeit, damit umzugehen, hat zugenommen. Ich denke, davon erzählt dieser Film.

War der erste Film schwerer zu drehen als der zweite?
Ja, denn zu keinem Zeitpunkt wollte ich einen Film dieser Art drehen. Nick fragte mich damals, ob ich das für ihn tun würde, weil er sich so kurz nach Arthurs Tod nicht in der Lage sah, auf Tour zu gehen oder in der Öffentlichkeit aufzutreten. Aber ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, als ginge es überhaupt nicht um diesen Film. Es ging darum, irgendwie mit der Situation umzugehen und um nichts anderes. Und ich musste meinen eigenen Weg finden, damit klarzukommen. Keiner der beiden Filme hat ein Motiv, eine Aussage, einen tieferen Sinn. Ich sehe die Filme eher als Momentaufnahmen eines Schaffensprozesses. Da geschieht etwas, und wir nehmen es wahr.

Wie würden Sie das beschreiben, was diesmal passiert?
Der Hauptgrund, warum ich mich auf einen zweiten Film eingelassen habe, war die Musik. Ich wollte die Songs filmen. Ich war dabei, als sie entstanden, und ich spürte eine tiefe Verbundenheit zu dem, was in den Liedern vor sich geht. Ich befand mich damals selbst in einer schwierigen Phase meines Lebens und die Musik gab mir Kraft. Eigentlich sollte es diesmal ein Konzertfilm werden. Aber dann kam Covid. Als ich bei Nick zu Hause mit meiner Kamera auftauchte, erklärte er mir die Geschichte vom Leben des Teufels anhand von Keramikfiguren. Und ich wusste, dass auch die sogenannten „Red Hand Files“ ihren Platz im Film finden mussten, weil sie so unheimlich wichtig für ihn sind.

Was genau muss man sich darunter vorstellen?
Nick hat eine Plattform geschaffen, die es Leuten ermöglicht, Fragen an ihn zu richten, die er persönlich beantwortet. Oft kommen diese Fragen von Menschen, die Ähnliches durchleben oder durchlebt haben, wie er. Die Trauer erfahren haben oder denen anderes Leid widerfahren ist. Manchmal sind die Fragen auch ganz banal. So oder so, Nick nimmt sich viel Zeit, sie zu beantworten. Oft schreibt er mehrere Entwürfe, bis er seine Antwort abschickt. Mir wurde klar, dass er dadurch auch den eigenen Schmerz geheilt hat. Deshalb war es mir wichtig, die „Red Hand Files“ im Film zu erwähnen. Sie sind bis heute ein wichtiger Teil seines Lebens.

Die Schwermut und Melancholie kommen weiterhin oft in seiner Musik zum Ausdruck.
Ja, meistens sind es Liebeslieder für seine Frau Suzie. Und nicht selten handeln sie davon, wie man mit der Liebe für einen Menschen umgeht, der nicht mehr da ist. Was macht man damit? Natürlich spürt er den Schmerz immer noch, aber er versucht, damit umzugehen. Und ich denke, der Film vermittelt durch die Musik einen Einblick, wie er sich in den letzten sechs Jahren weiterentwickelt hat, von dem trauernden Nick zu dem Menschen, der er heute ist.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Musik von Nick Cave?
Sie ist der Soundtrack meines Lebens. Als ich seine Musik zum ersten Mal gehört habe, war ich gerade zwanzig. Ich hatte mich frisch in ein Mädchen verliebt und Nick war ihr Ex-Freund. Er hatte ein Album über sie geschrieben, das genau zu dem Zeitpunkt erschien, als wir uns kennenlernten. Und so bin ich auf seine Musik gestoßen. Es war nicht unbedingt gewollt, aber die Platte war großartig – wie so ziemlich jedes Album danach.

Welches Album war das?
„Tender Prey“. Meine Freundin war Deanna, aus dem Song. Kennen Sie den? Ich höre Nicks Musik jetzt seit über 30 Jahren. Er ist einfach unglaublich, einer der größten Songschreiber seiner Generation. Man muss sich das mal überlegen, von „The Birthday Party“ bis zu „Ghosteen“ und „Carnage“: Was für ein Weg das ist, was für eine Reise. Bis heute lassen er und Warren Ellis immer wieder etwas Neues entstehen. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Leute ihm immer noch zuhören. Er ist mittlerweile 64 Jahre alt. Die meisten Rockkarrieren dauern drei, vier Jahre. Nicht viele schaffen es auf über 40 Jahre. Und Nick ist heute erfolgreicher denn je.

Nicht bei jedem Musiker überträgt sich die Aura auch so perfekt auf die Leinwand wie bei ihm. Warum liebt die Kamera Nick Cave?
Weil er authentisch ist – und extrem sensibel. Durch das Objektiv wird eine Intimität hergestellt, ohne dass er übertreiben oder überagieren muss. Eine Filmkamera kann Gedanken lesen. Was auch immer in deinem Kopf vorgeht, die Kamera trägt es nach außen.

Sie selbst leiden unter einem Hörschaden. Macht das die Arbeit am Set komplizierter?
Meine Crew ist darauf eingestellt. Sie sind es gewohnt, mich anzuschreien, und ich schreie zurück. Aber es war extrem anstrengend, als ich ein paar Folgen von Mindhunter mit David Finchers Leuten drehte. Denn die sind es gewohnt zu flüstern. Und ich konnte machen, was ich wollte, ich habe es nicht geschafft, sie davon abzuhalten. Ich hatte meine Hörgeräte die ganze Zeit auf Maximum hochgedreht und habe trotzdem kein Wort verstanden. Es war zum Verrücktwerden. Jeder, der mit David Fincher arbeitet, muss lernen zu flüstern. Und wenn man sie bittet, das zu unterlassen, haben sie Angst, etwas falsch zu machen. Das war verdammt hart. Verstehen Sie mich nicht falsch, seine Methode ist sicher großartig und sie scheint ja auch hervorragend zu funktionieren. Nur eben nicht, wenn man so gut wie taub ist.

Wie kam es zu dem Gastauftritt von Marianne Faithfull im Film? Auch Sie ist eine Ikone, vielleicht die eigenwilligste Grande Dame des Rock’n’Roll.
Es war meine Idee. Sie ist in einem der Songs zu hören, es ist nur ein Flüstern. Und ich wollte, dass man ihre Stimme hört. Nick hat Songs für sie geschrieben und Warren ein paar Alben mit ihr produziert. Sie lieben Marianne. Ich habe sie Mitte der Neunziger einmal auf einer Party in Sydney getroffen, und sie war ganz schön wild drauf. Sie hatte den ganzen Raum im Griff. Und dann erzählten Nick und Warren mir, wie anstrengend sie sei. Und dass es unmöglich wäre, sie vor die Kamera zu bekommen. Aber da war ich schon fest entschlossen, es zu versuchen. Und sie war phantastisch.

Also gar nicht anstrengend?
Sie ist, wie man sie im Film sieht. Ich wollte ihr ausreden, Make-up zu benutzen. Und sie hat mir die Leviten gelesen. Man kann keinen Kampf gegen sie gewinnen. Am besten, man versucht es erst gar nicht.

Ihr neuer Spielfilm „Blonde“ wird mit Spannung erwartet. Wie sind Sie darauf gekommen, ein Biopic über Marilyn Monroe zu drehen?
Ich war bisher immer mit Schauspielerinnen liiert – ich scheine ein Faible für sie zu haben. Aber ganz im Ernst, Marilyn Monroe war das ungeliebteste Kind der Welt, die zur begehrtesten Frau des 20. Jahrhunderts wurde. Dann nahm sie sich selbst das Leben. Das allein ist eine spannende Geschichte. Aber es war ganz konkret Joyce Carol Oates’ Roman über Marilyn, der mich fasziniert hat. Das Buch ist eine Art Traumnovelle. Sie wollte eigentlich nur hundert Seiten schreiben, am Ende sind tausend daraus geworden. Und ich musste das Ganze schließlich auf hundert Seiten runterkürzen, um daraus einen Film zu machen.

Wie passen Nick Cave und Marilyn Monroe zusammen?
Unsere Leben haben sich überschnitten. Ich war dabei, als er 2019 am „Ghosteen“-Album arbeitete, um das es ja auch im Film geht, und dann haben er und Warren die Musik zu Blonde komponiert. Dieser Film ist ein großer Schritt für mich. Er ist in vielerlei Hinsicht anders als alles, was ich bisher gemacht habe. Es war großartig, einmal einen Film zu drehen, in dem keine Waffen vorkommen und mit einer so tollen Schauspielerin wie Ana de Armas zusammenzuarbeiten.

Als Kubanerin ist sie eine interessante Wahl für die Rolle.
Sie ist perfekt. Und sie sieht genauso aus wie Marilyn Monroe. Jedenfalls sehe ich das so. Ich finde, ihr Gesicht hat eine ähnliche Form, auch wenn ihre Augen- und Haarfarbe anders sein mögen. Der größte Unterschied zwischen den beiden besteht für mich darin, dass Marilyn Monroe immer gerettet werden wollte. Ana dagegen muss sich von nichts und niemandem retten lassen. Sie ist eine Kämpfernatur. Sie ist hart im Nehmen.

Der Film bietet jede Menge Gesprächsstoff – nicht zuletzt die Sexszenen haben die eine oder andere kontroverse Diskussion ausgelöst. Was steckt dahinter?
Ich weiß es nicht. Ich kann nur immer wieder betonen, dass es sich dabei um die Sex-Ikone schlechthin handelt. Und es gibt dementsprechend viel Sex in Blonde, der jedoch alles andere als glücklich ist. Ich glaube nicht, dass man sich darüber empören muss, aber es ist ein heftiger, ein brutaler Film.