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Monte Verità

Filmstart

Monte Verità

| Andreas Ungerböck |
Weitgehend gelungenes Historiendrama rund um den Versuch, eine Utopie zu verwirklichen.

Vom „Rausch der Freiheit“, so der „griffige“ Zusatztitel dieser schweizerisch-deutsch-österreichischen Ko-Produktion, ist zunächst nichts zu spüren. Die kaum 30-jährige Hanna Leitner lebt Anfang des 20. Jahrhunderts in Wien mit ihrem Mann, einem Porträtfotografen, und den beiden Töchtern, die sie früh bekommen hat. Sie neigt zu Atembeschwerden und Ohnmachten, die – wenig überraschend – vor allem mit ihrer gesellschaftlichen Situation als Frau eines betont lieb- und humorlosen Mannes zu tun haben. Solches diagnostiziert auch der flotte junge Psychiater Otto Gross, ein Schüler Sigmund Freuds und wie viele andere Figuren in dem Film eine historische Persönlichkeit. Er fordert Hanna auf, nach Ascona in der Schweiz bzw. auf den Monte Verità („Wahrheitsberg“) zu kommen. Was nach außen hin als „Sanatorium“ gilt, ist in Wahrheit jene damals gerade aufblühende Kolonie, in der bis in die dreißiger Jahre Künstlerinnen und Künstler, darunter Isadora Duncan und der junge Hermann Hesse, aber auch die politisch motivierten Mitbegründerinnen Lotte Hattemer und Ida Hofmann daran arbeiten, eine gesellschaftliche Utopie zu schaffen – mit unterschiedlichen Herangehensweisen und mit durchaus unterschiedlichem individuellem Erfolg.

Für eine großbürgerliche Ehefrau scheint Gross‘ Idee ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Als Anton Leitner aber eines Nachts beinahe gewalttätig wird und Hanna zum Sex nötigen will, flieht sie Hals über Kopf in den Tessin. Ihre Blockaden und ihre antrainierte Einschüchterung nehmen in der ersten Hälfte des Films (ein wenig zu) breiten Raum ein, nur langsam kann sich die junge Frau, ermuntert vor allem durch Hofmann und Hattemer, aus ihrer Starre lösen und allmählich erkennen, wohin ihr weiterer Lebensweg gehen soll. Die Liebe zu ihren beiden Kindern im fernen Wien legt sie dabei nie ab. Diese Hanna Leitner ist eine fiktive Figur, aber, wie ein Schlussinsert bemerkt, es könnte „eine Frau wie sie“ gewesen sein, die die bis heute weitgehend anonymen Fotos aus der Blütezeit des Monte Verità gemacht hat. Denn die Fotografie, die ihr von ihrem Mann explizit „verboten“ wurde, wird zu Hannas großer Leidenschaft.

Getragen wird der Film des Schweizers Stefan Jäger von den sonnendurchfluteten, vor allem nach Hannas „Erwachen“ durchaus rauschhaften Bildern der vor allem in Deutschland tätigen Tiroler Kamerafrau Daniela Knapp und von dem grandios besetzten Frauen-Trio: Maresi Riegner ist in ihrer Zerrissenheit zwischen der „alten“, unterdrückten Persönlichkeit und dem Wunsch, Freiheit zu erlangen, überragend, Julia Jentsch als Ida Hofmann und Hanna Herzsprung als Lotte Hattemer sind ebenso überzeugend. Das Drehbuch von Kornelija Najaks ist bisweilen ein wenig langatmig geraten, vor allem da, wo bereits Deutliches überdeutlich gemacht wird. 116 Minuten hätten es wirklich nicht sein müssen, auch wenn das heutzutage quasi schon Standard ist. Es lässt sich aber aushalten.