Mit Munich gelingt Steven Spielberg eine beeindruckende Studie über die Spirale der Gewalt im Gefolge des Olympia-Attentats von 1972.
Nach 21 Stunden war alles vorbei, und ein knapper Satz des ABC-Moderators Jim McKay brachte die Tragödie auf den Punkt: „Unsere schlimmsten Befürchtungen haben sich heute Nacht bewahrheitet.“ Ein palästinensisches Terrorkommando hatte während der Spiele von München 1972 das Olympische Dorf gestürmt und elf Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln genommen. Der missglückte Befreiungsversuch auf dem Flugfeld von Fürstenfeldbruck endete in einer blutigen Katastrophe, die alle israelischen Geiseln das Leben kostete.
Die „Operation Zorn Gottes“
Dieser bis dahin beispiellose Akt des Terrorismus löste zwar weltweit Schock und Empörung aus, doch die im Nahostkonflikt so oft erlebten unheilvollen Mechanismen ließen nicht lange auf sich warten. Nur wenige Tage nach dem Anschlag von München bombardierte die israelische Luftwaffe PLO-Stützpunkte im Libanon und in Syrien. Hinter den Kulissen jedoch bereitete man eine weitaus umfangreichere Vergeltungsaktion vor. Von höchsten israelischen Regierungsstellen (in Munich sogar von Premierministerin Golda Meir persönlich) wurde eine streng geheime Mission, die „Operation Zorn Gottes“, genehmigt, deren Ziel die Liquidierung der palästinensischen Drahtzieher des Anschlags von München war.
Hier nimmt Spielbergs Film seinen Ausgangspunkt. Der junge Mossad-Agent Avner (Eric Bana) muss ebenso wie eine schockierte israelische Öffentlichkeit die Bilder des Terrors von München miterleben. Als man ihm anbietet, das geheime Kommando zu leiten, das die Hintermänner des Anschlags aufspüren und beseitigen soll, empfindet er es als moralische Verpflichtung, diesen Auftrag anzunehmen. Vier ausgesuchte Spezialisten komplettieren Avners Team, das weitgehend unabhängig von seinen Auftraggebern nun quer durch Europa an der Umsetzung der Mordpläne zu arbeiten beginnt.
Es überrascht sicherlich wenig, dass Munich als packender Thriller ein exzellent funktionierender Film geworden ist. Steven Spielberg hat schon hinreichend bewiesen, auf welch effektive Weise er mit den formalen und dramaturgischen Mitteln des fiktionalen Kinos umzugehen versteht. Auch inMunich entwirft er die Spannungsbögen, die aus der Planung und Umsetzung der gezielten Tötungen, sowie um die gefährlichen Verwicklungen aus diversen Geheimdienstmachenschaften entstehen, mit kongenialer Zielsicherheit. Doch die Inszenierung bleibt nicht auf die Oberfläche der Thriller-Handlungslinie fokussiert, sondern entwickelt, eng mit dieser Linie verwoben, zunächst unaufdringlich, doch im Verlauf des Films immer deutlicher zu Tage tretend, eine zweite Ebene, die sich mit den moralischen Implikationen der Mission auseinandersetzt.
Gerade die Überzeugung, die Tötung von Drahtziehern des Terrors sei eine notwendige und gerechte Sache, verursacht bei Avner und seinem Team zu Beginn Skrupel. Da wagt man es nicht, eine Bombe zu zünden, als die kleine Tochter des ausersehenen Opfers sich noch im selben Zimmer befindet, Unbeteiligte dürfen bei der gerechten Sache nicht zu Schaden kommen. Doch die Vergeltungsarbeit hinterlässt physische und psychische Spuren, die zusehends blutiger werdende Routine lässt menschliche Kollateralschäden nach und nach als notwendiges Übel erscheinen, bis das Töten schließlich nur noch als logistisches Problem erscheint, bei dem Fragen nach dem Warum in den Hintergrund treten.
Anhand des Protagonisten Avner wird dieses Konfliktpotenzial am deutlichsten manifest. Anfangs von seiner Aufgabe und ihrer Notwendigkeit überzeugt, stellt er sich wiederholt später Fragen bezüglich der Rechtfertigung für die Aktionen seines Kommandos. Doch auch für Avner wird die Gewalt, die seine Mission mit sich bringt, zusehends zu einem routinemäßigen Erlebnis, das moralische Bedenken langsam zersetzt. Spielbergs Film, und das ist vielleicht seine größte Qualität, offeriert keine vermeintlich einfache Lösung mit moralisierend erhobenem Zeigefinger. Auch Avners schlussendlicher Gesinnungswandel entspringt nicht einer plötzlichen „Deus-ex-machina“-Läuterung, sondern ist vielmehr das Resultat aus latent nagenden moralischen Zweifeln, der mit der Undercover-Mission einhergehenden mentalen und körperlichen Zermürbung und der sich letztlich durchsetzenden, sehr pragmatischen Erkenntnis, dass die Ausschaltung der Organisatoren des Terrors die Sicherheitslage überhaupt nicht verbessert hatte. Schließlich wurden alle Liquidierten zumeist durch noch radikaler agierende Nachfolger ersetzt.
Moral und politische Gewalt
Bereits vor dem weihnachtlichen US-Kinostart löste Munich teils heftig geführte Diskussionen aus. Konservative israelische Kreise warfen Spielberg vor, die Komplexität der Probleme im Nahen Osten simplifiziert und naiv abgehandelt zu haben. Der israelische Konsul in Los Angeles, Ehud Danoch, etwa bezeichnete den Film als problematisch, prätentiös und oberflächlich. Dem mit dem kulturellen Erbe seiner jüdischen Wurzeln immer bewusst umgehenden Steven Spielberg Leichtfertigkeit im Umgang mit diesem Thema vorzuwerfen, erscheint allerdings selbst ein wenig fragwürdig. Unterzieht man Munich einer genaueren Betrachtung, wird es ohnehin unmöglich, derartige Vorwürfe aufrechtzuerhalten. Denn Spielberg begegnet der vielschichtigen Materie keineswegs mit simplen Antworten. Zwar wird Avner im Verlauf des Films mit der Frage nach den Motiven für den Anschlag von München (nämlich die Weltöffentlichkeit auf die Probleme der Palästinenser aufmerksam zu machen) konfrontiert, doch vergrößert dies nur seine Zweifel an der Berechtigung politisch motivierter Gewalt. Spielberg zu unterstellen, Verständnis für diese Untat aufzubringen, muss scheitern. Was man Spielberg jedoch keinesfalls absprechen kann, ist der Mut, sich eines Stoffes anzunehmen, der äußerst geeignet scheint, ambivalente Reaktionen auszulösen.
Es war absehbar, dass die Thematisierung einer hochbrisanten Frage, wie die der staatlich angeordneten Liquidierung von Terroristen, einen heiklen Filmplot abgeben würde. Doch gerade Simplifizierung wird man Spielberg im Fall von Munich nicht vorwerfen können, denn bei aller kritischen Betrachtung politisch motivierter Gewalt folgt der Film nicht einfach der Forderung nach einer (von der Diktion politischer Korrektheit geforderten) aufgeregt-empörten Verurteilung dieser Gewalt. Dass die „Operation Zorn Gottes“ auch in Israel selbst keineswegs unumstritten war, spart Spielberg nicht aus; er lässt zu Beginn Golda Meir eine der zentralen Fragen formulieren: „Every civilization finds it necessary to negotiate compromises with its own values.“ Wie schwierig diese Gratwanderung ist und wie leicht man dabei in Gefahr gerät, moralisch-ethische Grundsätze aufzugeben, macht Spielbergs Film im Verlauf der Handlung immer deutlicher klar. Und die unterschiedlichen Ansichten betreffend moralischer Positionen, die im Mikrokosmos von Avners Agententruppe zusehends heftiger aufeinanderprallen, spiegeln dabei jene Vielfältigkeit wider, die auch den öffentlichen Diskurs einer pluralistischen Gesellschaft wie jener Israels seit Jahrzehnten charakterisiert.
Mut zum Risiko
Mit der Bearbeitung dieses brisanten zeitgeschichtlichen Stoffes hat Spielberg erneut seine lange Zeit unterschätzte Vielfältigkeit unter Beweis gestellt. Zwar galt der filmbesessene Spielberg schon seit Beginn seiner Laufbahn als formal und erzähltechnisch äußerst versierter und enorm effektiver Regisseur, dem aber, vor allem aufgrund von Filmen wie E. T. oder Hook, eine ausgeprägte Affinität für fantastische Stoffe mit betont märchenhaften Elementen nachgesagt wurde. Dennoch bewies Spielberg immer wieder, dass es kaum ein Filmgenre gibt, das er nicht mit der ihm eigenen Handschrift versehen, zu meistern versteht. Dass er auch keine Scheu vor schwierigen Sujets hat, wurde schon anhand von Schindler’s List(1993) deutlich. Zwar würdigte Spielbergs Porträt des deutschen Fabrikanten Oskar Schindler, der hunderte seiner jüdischen Arbeiter vor dem Holocaust rettete, dessen Heldentaten, ohne jedoch die ambivalenten Seiten von Schindlers Charakter auszusparen. Schindler’s List wurde fast einhellig enthusiastisch gelobt (Billy Wilder wollte „den besten Film aller Zeiten“ gesehen haben) und verhalf Spielberg zu seinem ersten Oscar für die Beste Regie.
In Saving Private Ryan (1998) wandte sich Steven Spielberg anhand der Landung der alliierten Truppen in der Normandie im Juni 1944 erneut einem historischen Stoff zu, zeigte dabei in der ersten halben Stunde des Films den Krieg als ein einziges blutiges Gemetzel, das keinen Raum für etwaige Heroisierungen zulässt. Dass Saving Private Ryan diese Kompromisslosigkeit nicht konsequent beibehält, hinderte die Jury nicht, Spielberg seinen zweiten Regie-Oscar zu verleihen. Einen solchen Mangel an Konsequenz kann man bei Spielbergs neuem Film glücklicherweise nicht konstatieren. Munich ist ein brillant inszenierter Film, ein packender, mitreißender Thriller, der unnötige Emotionalisierungen weitgehend vermeidet, sich aber auch die Zeit nimmt, jene Fragen moralischer Natur in den Raum zu stellen, die auch nach dem Abspann nichts von ihrer brennenden Aktualität verloren haben.