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The Dead Don’t Hurt

My Darling Vivienne

| Oliver Stangl |
In seiner zweiten Regiearbeit „The Dead Don’t Hurt“ verbindet Viggo Mortensen Western und Liebesdrama. In dieser Arthouse-Version des Wilden Westens trifft Härte auf Zärtlichkeit.

Dass Viggo Mortensen ein Multitalent ist, konnten Sie über die Jahre in „ray“ (und auch anderswo) immer wieder einmal lesen. Der Sohn eines Dänen und einer Amerikanerin – der mit der Rolle des Aragorn in The Lord of the Rings zu Weltruhm gelangte, davor und danach aber am liebsten in Arthouse-Produktionen auftrat – ist nicht nur Schauspieler, sondern u. a. auch Fotograf, Lyriker, Musiker und Regisseur. In letzterem Metier feierte Mortensen 2020 sein Regiedebüt: Falling erzählte die Geschichte eines verbitterten, feindseligen Vaters und seines homosexuellen Sohnes. Der Film erhielt von der Mehrzahl der Kritiker positive Besprechungen, gelobt wurden u. a. die schauspielerischen Leistungen Lance Henriksens (Vater) und Mortensens (Sohn) sowie die Bildkompositionen. Ebenfalls hervorgehoben wurde die Non-Linearität des Drehbuchs, das verschiedene Zeitebenen miteinander verwob.

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Letzteres Stilmittel könnte so etwas wie das Markenzeichen des Regisseurs Mortensen werden, denn auch bei seinem neuesten Film wechseln sich Timelines oft unvermittelt miteinander ab. Mortensen (Hauptrolle, Drehbuch, Regie, Koproduktion, Musik) erzählt hier die Geschichte des in die USA eingewanderten dänischen Zimmermanns Holger Olsen (eben Mortensen), der sich in San Francisco in die Frankokanadierin Vivienne Le Coudy (Vicky Krieps) verliebt. Sie erwidert seine Gefühle, und das Paar will sich in der Nähe der Kleinstadt Elk Flats in Nevada ein gemeinsames Leben aufbauen. Während Holger Scheunen für gut zahlende Kunden anfertigt, nimmt Vivienne als Zeichen ihrer Unabhängigkeit einen Job als Bardame in einer nahen Stadt an. Doch man schreibt das Jahr 1860 und die Vereinigten Staaten sind von inneren politischen Unruhen beherrscht. Als der Amerikanische Bürgerkrieg ausbricht, meldet Holger sich freiwilig, um auf Seiten der Union zu kämpfen. Einerseits wegen der Prämie von 100 Dollar, andererseits, um Sklaven zu befreien. Doch man ahnt, dass Olsen, der bereits beim dänischen Heer militärische Erfahrungen sammelte, auch so etwas wie einen inneren Drang spürt, in den Krieg zu ziehen. Er müsse sich das ansehen, meint er eher unbestimmt.

 

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Die Jahre ziehen ins Land, und während Holgers Abwesenheit wird Vivienne vom Sohn eines skrupellosen Landbesitzers, der bereits mehrere Menschenleben auf dem Gewissen hat, bedrängt … Mehr zu erzählen würde wohl einige Wendungen der Handlung spoilern, aber es sei angedeutet, dass ein Kind und zwei tragische Ereignisse bedeutsame Rollen für den weiteren Handlungsverlauf spielen werden.

UNFORGIVEN?

Der Regisseur Mortensen zeigt die Härte, die das Leben an der „Frontier“ mit sich brachte; sei es das qualvolle Sterben eines Mannes, der zu Unrecht zum Tod durch den Strick verurteilt wurde, sei es die Arbeit, mit der das Land erschlossen wird. Die Ausstattung – vom Kostüm bis zu den Bauten – ist detailliert und wirkt im Vergleich mit Fotomaterial aus der Zeit relativ authentisch, das allmähliche Anwachsen kleiner Städte durch den Minen-Boom wird wie nebenbei eingeflochten. Justiz und Politik (der profitorientierte Bürgermeister wird von Danny Huston verkörpert) sind korrupt, wer Geld hat, kann sich auch Grausamkeiten erlauben. Die Liebesgeschichte zwischen Holger und Vivienne (beide sind auf ihre Art Außenseiter im Westen und sprechen jeweils mit starkem Akzent) stellt hier einen zarten Kontrapunkt dar. Die Szenen, die das Paar miteinander verbringt, sind voller Charaktermomente und wohl die stärksten im Film: Die Interaktion von Holger und Vivienne ist oft minimalistisch und mit trockenem Humor angereichert – gerade durch diese Reduktion von Klischees wird nachvollziehbar, warum aus einem ersten Flirt in San Francisco schließlich Liebe wird. Große Gefühle treffen auf ein wenig Pragmatik in jenen rauen Tagen, „when the west was won“. Dass dieses Glück von Tragik überschattet wird, nimmt Mortensen übrigens gleich in der Eröffnungsszene vorweg, die Gründe und Zusammenhänge erschließen sich aber, ähnlich einem analytischen Drama, erst im Laufe der Handlung.

Viele der Motive an sich sind nicht neu, was bei diesem so oft und auf so unterschiedliche Weise beackerten Genre aber nicht weiter verwunderlich ist: Die Geschichte von Rache im sogenannten Wilden Westen kennt man aus sehr vielen Western-Filmen (man könnte etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, an Eastwoods The Outlaw Josey Wales aus dem Jahr 1976 denken); auch der Topos einer Frau, die versucht, sich in der Welt der Cowboys zu behaupten, ist mittlerweile nicht mehr so selten und wurde erst kürzlich wieder in der Serie The English mit Emily Blunt behandelt. Zudem erinnert die Geschichte eines Mannes, der in den Krieg zieht, während die Geliebte zuhause bedrängt wird, auch ein ganz klein wenig an Homers „Odyssee“. Doch Mortensen mischt diese Motive auf eine Weise, die über weite Strecken etwas Eigenständiges entstehen lässt – als eigenwilliger mythologisch-allegorischer Akzent kommt etwa ein Ritter vor (diese Traumgestalt trägt übrigens jenes Schwert, das Mortensen in The Lord of the Rings schwang und das er von Regisseur Peter Jackson als Präsent erhielt).

Nach dem Bürgerkrieg, der sich im Off abspielt, muss das Paar – Holger übernimmt das Amt des Sheriff in der Kleinstadt Elk Flats – wieder zueinander finden, und trotz aller Traumata sieht es so aus, als würde das Leben wieder in geregelten Bahnen laufen. Doch dann kommt für Holger der Tag, an dem er den Drang verspürt, Rache für ein großes Unrecht zu nehmen. Diese „Rache“ spielt sich allerdings in einer ungewöhnlichen Konstellation ab. Kurz: Altbekanntes wird neu aufgemischt und von einem guten Schauspielensemble getragen; statt des Labels „revisionistischer Western“ ist möglicherweise eher die Bezeichnung „unkonventioneller Western“ angebracht.

Mortensen selbst gibt den schweigsamen, toughen Westerner (und erinnert dabei phasenweise an Clint Eastwood, wenngleich sein Holger Olsen weniger mythisch denn pragmatisch wirkt); Vicky Krieps, deren Rolle vor allem den Mittelteil des Films dominiert, verleiht der Figur der Vivienne Noten von Vitalität und Eigenständigkeit. Mortensens Filmmusik ist dabei stimmig und verweigert jeden Anflug von Kitsch; manchmal bewegen sich die spärlich eingesetzten Instrumente auch an der Grenze zur Atonalität. Die visuelle Gestaltung setzt auf eher statische Einstellungen und hat durchaus schöne Bilder zu bieten; hier gibt es aber – bis auf wenige bewusste Ausnahmen – keine endlosen Horizonte, sondern einen tief hängenden Himmel. Gelungen auch manche Details, die sich durch den Film ziehen; der Gegenstand, mit dem Holger „Rache“ übt, spielt beispielsweise auch in jener Szene eine Rolle, in der das Paar sich kennenlernt.  Zwar kann Mortensen letzten Endes nicht jedes Klischee umgehen – vor allem der Großgrundbesitzer und sein Sohn gehören eher zu den Schwachpunkten des Films – doch insgesamt hat er mit The Dead Don’t Hurt ein sehenswertes Western-Liebesdrama in Arthouse-Manier geschaffen, dessen größte Stärke der Kontrast von Härte und Zärtlichkeit ist.