In „Nach der Hochzeit“ besinnt sich die dänische Regisseurin Susanne Bier auf die Kraft der Familie.
Familienfeste sind ein Albtraum – ganz besonders offenbar die dänischen. Trotz wochenlanger Planung und akribischer Vorbereitung läuft selten alles reibungslos. Und meistens gibt es am Ende eine Katastrophe. Auch Jørgen und Helene haben sich bestens vorbereitet; immerhin geht es um die Hochzeit ihrer Tochter Anna. Diese gibt ihr Ja-Wort einem aufstrebenden Schönling, der es in der Firma ihres Vaters zu etwas bringen möchte, koste es was es wolle. Doch ausgerechnet am Tag aller Tage betritt Jacob das Parkett. der auf Bestreben von Jørgen aus Indien in das verhasste Dänemark zurückgekehrt ist, um hier Geld für sein Kinderhilfsprojekt zu organisieren. Und der erst auf der Hochzeit erfährt, dass Anna nicht nur die Tochter seiner Jugendliebe Helene, sondern auch die seinige ist. Zufall oder eiskaltes Kalkül?
Nach der Hochzeit ist bereits das dritte gemeinsame Projekt von Regisseurin Susanne Bier und Autor Anders Thomas Jensen, der schon für ihre Filme Open Hearts (2002) und Brothers (2004) das Drehbuch geschrieben hatte. Jensen überzeugte erst kürzlich als Regisseur und Autor von Adams Äpfel und stellt mit Nach der Hochzeit, der für den Auslands-Oscar nominiert war, erneut sein Talent für das Dramatische unter Beweis. Wie in Open Hearts und Brothers steht die Familie im Mittelpunkt des Geschehens, durch die man sowohl unsägliches Leid als auch unendliche Liebe erfährt. Doch je größer das Glück, desto größer ist auch der Schmerz, wenn der Verlust desselbigen droht. Das bekommen bereits Biers Figuren in Open Hearts und Brothers zu spüren. Durch unabänderliche Schicksalsschläge werden Biers Figuren ihres Glückes beraubt und finden nicht mehr zurück in die gewohnte Harmonie. In Open Hearts ist es Joachims Autounfall, der gleich zwei Familien zerstört: die Beziehung zu seiner Verlobten Cecilie, der er keinen behinderten Ehemann zumuten möchte und die Ehe zwischen Marie und seinem behandelnden Arzt Niels, der sich in Cecilie verliebt. In Brothers ist es ein traumatisches Erlebnis, das dem ehemals mustergültigen Sohn und Ehemann Michael während seines Einsatzes in Afghanistan widerfährt, und auf Grund dessen es ihm nicht mehr gelingt, sich in den familiären Alltag einzugliedern, was er ebenso mit Aggressivität kompensiert wie seine Unfähigkeit, das Geschehene zu verarbeiten. Auch das Glück von Jørgens Familie in Nach der Hochzeit droht durch einen Schicksalsschlag zerstört zu werden: Der charismatische Selfmademan wird von einer tödlichen Krankheit heimgesucht. Der liebevolle Patriarch, der es gewohnt ist, seine Hand schützend über seine Familie zu halten, sieht nicht nur die gewohnte Kontrolle über seinen Körper schwinden, sondern auch das Wohlergehen seiner Familienmitglieder. Das Einzige, was dem autoritären Machtmenschen bleibt, ist dafür Sorge zu tragen, dass ein anderer seine Rolle und Pflichten übernimmt.
Hort der Geborgenheit
Stand in Open Hearts und Brothers das Zerstörende, die schmerzliche Seite der familiären Liebe im Mittelpunkt des Geschehens, so hebt Susanne Bier in Nach der Hochzeit die Kraft der Liebe hervor, durch die eine Familie an Schicksalsschlägen nicht zugrunde geht, sondern, im Gegenteil, noch enger als zuvor zusammenwächst. Im Gegensatz zu Thomas Vinterbergs Das Fest ist Nach der Hochzeit somit kein Abgesang an die Institution Familie, sondern eine Rückbesinnung auf deren Halt. Die Feste, wie Annas Hochzeit und später Jørgens Geburtstag, sind nicht nur Ereignisse der Eskalation, sondern auch Lebensstationen, die man mit den Menschen begeht, die einem auch in schlechten Zeiten mit helfender Hand zur Seite stehen. So sind auch die an Festen üblichen Lobreden über Eltern, Freunde und Ehe hier keine leeren Worthülsen, sondern ehrlich gemeinte Beteuerungen der Zuneigung.
Was leicht zur filmischen Version eines Dreigroschenromans hätte werden können, wird bei Bier zum gelungenen Porträt einer großbürgerlichen Familie, die sich durch den Verlust ihres Oberhauptes wieder auf das Wesentliche konzentriert. Der Regisseurin gelingt es trotz der sich kontinuierlich steigernden Dramatik, die den Film erst am Ende zu seinem anfänglich ruhigen Tempo zurückkehren lässt, den richtigen Ton anzuschlagen und die passende Mischung aus Melodram und Tragödie zu finden.
Das liegt sicher auch an den beiden Hauptdarstellern Mads Mikkelsen und Rolf Lassgård. Mikkelsen gibt seiner Figur, dem verbissenen Idealisten Jacob, der seine ehernen Ansprüche über die Lebensfreude setzt, so glaubwürdig, dass man ihm am liebsten sogleich sein ganzes Vermögen spenden möchte. Rolf Lassgård als Jørgen gelingt es, seiner Figur die Mischung aus Charisma und Antipathie zu verleihen, die mächtige Menschen umgibt. Der Zwiespalt zwischen dem wohlhabenden Lebemann Jørgen und dem mittellosen Idealisten Jacob spiegelt sich auch in der Ausstattung des Films wider: So steht der Reichtum, in dem Jørgen mit seiner Familie lebt, die überdimensionale Villa, das weitläufige Grundstück und die herrschaftliche Einfahrt, im Gegensatz zur kargen Einrichtung des von Jacob geführten Kinderheims in Indien. Auch die emotionale Lage der beiden Helden, die Prioritäten, die sie im Leben setzen, und ihr Selbstverständnis lässt sich in der Ausstattung wiederfinden: So ist Jørgen und Helenes Haus, angereichert mit Erinnerungen an ihr gemeinsames Leben, für Jørgen das wichtigste Gut. Die Hirschgeweihe, die die Wände zieren, untermauern seine Männlichkeit und seine Stellung als Oberhaupt der Familie. Jacob hingegen bewegt sich, passend zu seinem asketischen Lebensentwurf und seinem Abscheu gegenüber materiellem Besitz, nur in gemieteten und fremden Räumen.
Die Filmemacherin geht ganz nah an ihre Protagonisten heran und blickt ihnen mit der Kamera direkt ins Gesicht. Die Augen der Figuren, die ständig in Großaufnahmen zu sehen sind, insbesondere die von Jacob und Jørgen, scheinen sich ein Duell zu liefern, die Männer tragen ihre Machtspiele auch über die Blicke aus. Die Kamera verfolgt im gewohnten Dogma-Stil die Figuren und spiegelt in ihrem Rhythmus die emotionale Verfassung der Personen wider. In manchen Momenten, wie bei Jørgens Zusammenbruch nach seinem rauschenden Geburtstagsfest, als er das einzige Mal seine Todesangst und Schwäche vor seiner Frau eingesteht, ist die Kamera so nah an den Protagonisten und ihren Emotionen, dass man als Zuschauer fast schon den Blick abwenden muss.
Bonvivant versus Idealist
Nach der Hochzeit ist jedoch mehr als ein bloßes Plädoyer für die Kraft der Familie, der Film ist auch ein Aufruf zur Lebensfreude und zum Engagement für seine Ideale. Die beiden Figuren Jørgen und Jacob verkörpern die Extreme dieser beiden Positionen: Jørgen, der Lebensmann par excellence, und Jacob, der eiserne Idealist, der sich in materieller Enthaltsamkeit übt. Beide lernen erst durch das Treffen auf ihr Pendant ihre Positionen neu zu überdenken und merken im Angesicht des Todes, dass es für alles auch eine gesunde Mitte gibt.
Am Ende steht nicht nur Jørgens Beerdigung, sondern auch die Versöhnung der beiden konträren Weltbilder. Die Kinder aus Jacobs Hilfsprojekt haben dank Jørgen bessere Betten, einen neuen Schulbus und ein Fußballtor, und selbst Jacob schaut nicht mehr ganz so verbissen drein. Auch in Jørgens Welt hat sich etwas verändert: Man hat sich auf die menschliche Nähe besonnen und von der Abhängigkeit des übermächtigen Vaters gelöst. Selbst der kleine Pramod, einst Jacobs Ziehsohn und personalisiertes schlechtes Gewissen, ist nun ein selbständiger kleiner Mann geworden und hat sich von Jacob emanzipiert. Der hat sein Werk vollbracht und ist nun frei für ein Leben mit seiner Jugendliebe Helene, die er einst für seine Ideale hinter sich ließ. Seine indische Ersatzfamilie ist versorgt. Jetzt kann Jacob sich seiner eigenen Familie und seinem eigenen Leben widmen.