Interview mit Tommy Lee Jones zu „The Homesman“: In seiner zweiten Kinoregiearbeit, erneut ein Western, hat der Schauspiel-Veteran wieder selbst eine Hauptrolle übernommen.
Seinen ersten Kinoauftritt hatte Tommy Lee Jones 1970 im Melodram Love Story. Eine stetig wachsende Fangemeinde erarbeitete sich der Sohn eines Ölarbeiters vor allem durch eindrucksvolle Auftritte in Actionfilmen; für die Rolle als US-Marshall in The Fugitive / Auf der Flucht bekam er 1994 den Oscar. Enorme Popularität verschaffte Jones sein Auftritt an der Seite von Will Smith in der Alien-Komödienreihe Men in Black. Seinen ersten Kinofilm als Regisseur präsentierte er 2005 in Cannes mit The Three Burials of Melquiades Estrada, wo er zugleich die Hauptrolle übernahm und mit einer Schauspielpalme prämiert wurde. In ähnlicher Doppelfunktion ging er heuer abermals beim Festival von Cannes an den Start, wiederum mit einem Western, doch dieses Mal mit einer starken Heldin zur Seite. Hilary Swank (Interview) gibt eine wackere Farmerin, die drei psychisch angeschlagene Frauen auf einen gefährlichen Trip durch die Prärie führt. Für seine Wortkargheit bei Interviews ist Jones berüchtigt. Beim Gespräch in Cannes gab er sich in überraschend guter Plauderlaune – wohl auch deshalb, weil sein Werk während des Festivals als Favorit gefeiert wurde. Mit Tommy Lee Jones hat sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald getroffen.
Mister Jones, wie sind Sie auf die Idee zu diesem Western gekommen?
Tommy Lee Jones: Man gab mir das Buch zu lesen und fragte, ob ich mir aus diesem Stoff einen Film vorstellen könnte. Das konnte ich sehr schnell und ebenso schnell haben wir uns um die Rechte bemüht und begonnen, das Drehbuch zu schreiben, für das wir ein Jahr benötigt haben. Den Ausschlag für mich gegeben hat die Originalität dieser Geschichte, denn nach Originalität suchst du dein ganzes Leben lang. Ich sah die Chance, daraus einen Film zu entwickeln, den es so zuvor noch nicht gegeben hat.
Es ist Ihre zweite Regie fürs Kino. Haben Sie mal bedauert, in Ihrer Karriere nicht früher im Regiestuhl gelandet zu sein?
Tommy Lee Jones: Ich habe auch schon zwei Filme fürs Fernsehen gedreht, für mich gibt es keine Unterschiede zum Kino, insofern ist das also meine vierte Regiearbeit. Tatsächlich hätte es mich gefreut, hätte ich in jüngeren Jahren schon die Gelegenheit bekommen, selbst Regie zu führen. Mein erster Film liegt 20 Jahre zurück und ich hätte gern mehr gedreht. Von Bedauern würde ich dabei allerdings nicht sprechen.
Welche Rolle spielt der Humor? War der im Buch bereits in dieser Form vorhanden?
Tommy Lee Jones: Das kann ich gar nicht mehr sagen. Ich habe das Buch nur einmal gelesen. Beim zweiten Durchgehen habe ich nur noch all das herausgestrichen, was für einen Film nicht taugt. Anschließend machten wir uns an die erste Fassung des Drehbuchs und haben die Vorlage nie wieder angeschaut. Soweit ich mich erinnern kann, war das Buch nicht besonders amüsant. Für einen Film, der so extrem daherkommt, ist Humor allerdings sehr hilfreich.
Das Schicksal des Helden ist früher besiegelt als in Hollywood üblich. Wie kamen Sie auf diese Überraschung?
Tommy Lee Jones: Das stand bereits so in der Vorlage und hat mir gut gefallen. Dieser Film handelt von Frauen. Es geht darum, wie sie an den Rand gedrängt und zu bloßen Objekten gemacht werden. Deshalb steht der Blickwinkel der Frauen im Mittelpunkt. Unsere Mary ist ein guter und großzügiger Mensch, sie möchte diesen psychisch kranken Frauen helfen und glaubt, das ganze Elend dieser Welt auf ihren Schultern tragen zu können – was ihr natürlich nicht gelingt. Denn Mary hat zugleich mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen, die sehr verstörend sind.
Im Unterschied zum klassischen Western sind Ihre Siedler wenig erfolgreich, gleich drei Frauen in dem kleinen Kaff verfallen zeitgleich in der Wildnis dem Wahnsinn …
Tommy Lee Jones: Für viele, die nur ein viktorianisches Frauenbild kannten, muss dieses Leben in der Wildnis eine enorme Enttäuschung gewesen sein. Der Versuch, ein europäisches Modell von Ackerbau und Viehzucht auf die amerikanische Prärie zu übertragen, hat nicht funktioniert. Im Grasland von Nordamerika gab es kaum Bäume, entsprechend knapp war das Holz und die Siedler mussten ihre Häuser aus Dreck und Steinen bauen oder in Erdlöchern hausen. Um zu überleben, arbeiteten auch die Frauen bis zur Erschöpfung. Sie hatten kein soziales Leben und weil es keine Medizin gab, lag die Kindersterblichkeit lag bei 65 Prozent. Das war alles andere als eine Teeparty auf dem Land.
Was sagt der Regisseur eines Frauen-Westerns über die Lage der Frauen heutzutage?
Tommy Lee Jones: Frauen in der ganzen Welt, auch bei uns in den Vereinigten Staaten, werden noch immer häufig nicht gleichbehandelt. Um diese Ungerechtigkeiten von heute zu verstehen, sollte man einen sorgfältigen Blick in die Vergangenheit werfen und nachschauen, was da schon schief gelaufen ist.
Wie kam Meryl Streep in Ihren Film?
Tommy Lee Jones: Ich bot ihrer Tochter Grace die Rolle einer der verrückten Frauen an und sie hat zugesagt. Später traf ich zufällig Meryl und sie erzählte, dass Grace ihr das Drehbuch geschickt habe, welches ihr gut gefiele. Auf ihre Frage, ob es eine Chance gäbe, die alte Frau am Schluss spielen zu können, meinte ich knapp, ich würde es mir überlegen. Nachdem sie gegangen war, machte ich Luftsprünge und war ziemlich lange Zeit ziemlich glücklich. Ich hätte niemals den Mut gehabt, Meryl zu bitten, diese Rolle zu spielen.
Für den Film haben Sie auch Ihren Sohn Austin engagiert, wie sieht dieses Verhältnis bei der Arbeit aus?
Tommy Lee Jones: Das war bereits unser zweiter gemeinsamer Film und Austin hat als Music Supervisor ganz großartige Arbeit geleistet. Alle Songs im Film haben wir ihm und seiner intensiven Suche danach zu verdanken. Außerdem ist er als Banjo-Spieler zu erleben, was er ebenfalls sehr überzeugend macht.
Wie schon für Brokeback Mountain hat Kameramann Rodrigo Prieto prächtige Bilder für die Prärie gefunden. Wie hat die Zusammenarbeit ausgesehen?
Tommy Lee Jones: Ich habe jede Einstellung vorgegeben und Rodrigo hat sie wunderbar ins Licht gesetzt. Wir denken ziemlich ähnlich. Um ein Beispiel zu geben: In der Eröffnungssequenz pflügt Hilary einen Acker. Ich wusste genau, wie ich diese Szene haben wollte: 25 Meter von der Farm entfernt sollte die Kamera mit einer 28mm-Linse exakt 1,3 Meter über dem Boden stehen. Als ich mich auf den Weg machte, stand genau an dieser Stelle bereits Rodrigo, der darüber genauso überrascht war wie ich.
Welchen Stellenwert haben diese technischen Details für Sie als Regisseur?
Tommy Lee Jones: Mir sind alle Details sehr wichtig. Und wenn es in meinen Filmen einmal Aspekte gibt, die ich nicht selbst kontrollieren kann, dann kontrolliere ich jene Leute, die das kontrollieren.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur Jones und dem Schauspieler Jones?
Tommy Lee Jones: Wenn man Produzent, Autor, Regisseur und Schauspieler gleichzeitig ist, wird jeder einzelne dieser vier Jobs einfacher. Das ist schon deshalb der Fall, weil man in dieser Position immer alle Informationen verfügbar hat und genau weiß, wie die Sache läuft und was Stand der Dinge ist.
Welche Job macht am meisten Spaß?
Tommy Lee Jones: Da gibt es für mich keinen Favoriten. Ich liebe das Filmemachen und deshalb gefallen mir diese Aufgaben alle gleichermaßen gut.
Wenn Sie in Cannes die Wahl gehabt hätten zwischen einer Palme für Schauspiel, Drehbuch und Regie – was wäre Ihnen am liebsten?
Tommy Lee Jones: Wenn ich die Wahl hätte, würde ich alle drei nehmen.