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Cyberpunk 2077

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Nächster Stop Night City

| Katharina Börries |
Darauf hat die Game-Welt gewartet: Mehrmals verschoben, startet „Cyberpunk 2077“ nun endlich. Ein Überblick über das Spiel und ein Gespräch mit Miles Tost, einem der Entwickler.

Cyberpunk 2077 gehört ohne Zweifel zu den heiß ersehntesten Spieletiteln 2020. Am 10. Dezember wird das Role Playing Game nun endlich die futuristische Night City zum Mittelpunkt von Geschichten machen, in denen nicht einmal das grelle Neonlicht die düsteren Schattenseiten vertreiben kann. Spieler schreiben ihr eigenes Drehbuch. Parallel dazu sind filmische Inspirationen und Ansprüche allgegenwärtig. Eine Welt, so technologisch wie nie zuvor. Menschgemachte Realitäten, vielleicht nicht echt, aber wirklich erscheinend. Mittendrin Protagonisten, die sich auf eine Sinnsuche begeben – oder einfach ihrem Tagewerk in einer Umgebung nachgehen, die aus heutiger Sicht undenkbar erscheint.

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Es war das Jahr 2019, als Blade Runner Rick Deckard mit dem Auftrag, Replikanten auszuschalten, durch ein düsteres Los Angeles streifte. So zumindest erzählte es Regisseur Ridley Scott 1982 im gleichnamigen Film. Die Künstlichen Intelligenzen mischten sich unter die Bevölkerung, entwickelten aber eigene Ziele und Träume und wurden so gefährlich für ihre Erbauer. Das erdachte Los Angeles war eine dreckige Stadt voller Neon-Werbung, überfüllter Straßen, schlichtweg trostlos. Ein Mahnmal zerstörter Hoffnung. Und mittendrin fand die Jagd nach den Replikanten statt.

Aus der Sicht des Jahres 2020 betrachtet, hat es sich trotz anderer unerwarteter Begebenheiten nicht ganz so zugetragen. Aber was Harrison Ford im alternativen 2019 als Deckard erlebte, trifft sehr genau die Essenz von Cyberpunk: pessimistisch, dunkel, futuristisch. Der technische Fortschritt ist nicht nur der Heilsbringer, den einige in ihm sehen. Alles wird unpersönlicher, übermächtige Konzerne steuern die Geschicke der Menschen, von Glück ist in dieser Dystopie nicht viel zu spüren. Eine alles umtreibende Frage, die in Filmen wie Ghost in the Shell (1995/2017) und Alita: Battle Angel (2019) oder Spielen wie Detroit: Become Human (2019) oder Soma (2015) auftaucht, ist außerdem die nach der Menschlichkeit. Hängt sie wirklich an der Art der Entstehung? Oder hat sie viel mehr mit den Handlungen zu tun – egal welchen Ursprungs jemand ist?

Nicht selten kann diese Debatte Zuschauer wirklich anrühren, etwa wenn der junge Haley Joel Osment in A.I. – Künstliche
Intelligenz
(2001) auf der Suche nach der blauen Fee, die ihn zu einem echten Kind machen soll, immer wieder an sich selbst zweifelt. Oder wenn Denis Villeneuve Officer K in Blade Runner 2049 ein Geheimnis untersuchen lässt, das die im Vorgänger geformte Sicht auf die Replikanten nochmal verkehren kann.
Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Szenarien, in denen die technische Komponente, trotz ihrer Gefahren, begrüßt wird. Wer sich etwa als Pen&Paper-Spieler schon einmal in die Welt von Shadowrun begeben hat und dort mit Spaß seine Menschlichkeit gegen mechanische Körperteile eintauschte, kennt auch den Reiz der anderen Seite. Und irgendwo zwischen all diesen Welten und Wahrheiten werden Videospieler im November Night City kennenlernen.

Cyberpunk 2077 ist ein Rollenspiel, das hochqualitatives Storytelling und intensive Charakterentwicklung mit den Abenteuern einer offenen Spielwelt vereint. So beschreibt es Miles Tost, Senior Level Designer bei CD Projekt RED, dessen jahrelange Arbeit mit dem bevorstehenden Release ihren Weg zu den Fans finden wird. „Wir wollen zum Leben erwecken, was Mike Pond-smith im Sinn hatte, als er das Universum kreiert hat. Eine dunkle Zukunft mit riesigen Städten, in denen man sich verlieren kann – im Guten wie im Schlechten. In dem Spiel wird es nicht darum gehen, die Welt zu retten. Man kann froh sein, wenn man sich selbst retten kann!“ Als Erschaffer des Tabletop-Klassikers Cyberpunk (1988), das 1990 als Cyberpunk 2020 in zweiter Edition erschien, gehört Spieledesigner Pondsmith zu den Koryphäen des Genres. „Direkt mit ihm zu arbeiten war inspirierend. Er lebt und atmet Cyberpunk!“

Auch wenn die prophezeite Dystopie heuer noch nicht eingetreten ist, steigert sich der technische Fortschritt unaufhörlich. In der Games-Branche bedeutet das für einige Studios, immer realistischer zu werden. Schnellere Speicher, SSDs, RTX, neue, optimierte Streaming- und Animations-Tools und eigene Engines, wie sie auch CD Projekt RED hat, helfen dabei. Die Optik des neonbestrahlten Stadtdschungels soll die Spieler beeindrucken und sie sofort in die virtuelle Welt ziehen. Erste Trailer im Jahr 2018 brachten hohe Erwartungen mit sich. Schon nach den ersten Ankündigungen war Cyberpunk 2077 DER Titel. Das resultierte unter anderem in eBbay-Schlachten um exklusive Figuren und Jacken, die auf Events wie der gamescom in limitierter Zahl ausgegeben wurden. Während die Fans sich also bei der Jagd nach Merchandise-Artikeln überboten, arbeitete das Team im Hintergrund daran, das Hauptprodukt den hohen Erwartungen anzupassen. „Nachdem wir die ersten Trailer gezeigt hatten, gab es Zweifel  daran, wie nah wir mit dem Spiel an das gezeigte Material herankommen würden. Aber wir sind begeistert, dass wir das Qualitätslevel sogar übertroffen haben! Nun können wir es nicht erwarten, die Spieler aus aller Welt in die Night City eintauchen zu lassen.“

Das Eintauchen, die Immersion, das, was Filme und Games unaufhörlich zu perfektionieren versuchen, gilt als hoher Qualitätsstandard, dem sich auch Cyberpunk 2077 verschrieben hat. Dazu gehören High-End-Animationen ebenso wie sorgfältig gecastete Darsteller, ausgeklügeltes Storytelling und filmähnliche Regiearbeit in den Cutscenes. Ein digitales Filmset, wie es Miles Tost beschreibt. Mit dabei ist zum Beispiel Keanu Reeves, der als virtueller Gefährte Johnny Silverhand Spieler durch ihr Abenteuer begleitet. „Ich persönlich genieße die Dialoge zwischen Johnny und dem Hauptcharakter. Sie sind sehr gut geschrieben und ein frischer, neuer Ansatz, der einer klassischen Open World das gewisse Extra gibt.“

All die individuellen Erzählstränge in Geschichten zu verpacken, wäre durchaus geeignetes Filmmaterial. CD Projekt RED entschied sich gemeinsam mit Studio Trigger und Netflix für eine Serienadaption. Cyberpunk: Edgerunners wird zehn Episoden haben und den Werdegang eines Street Kids behandeln, das als Cyberpunk oder eben Edgerunner zu einem gesetzlosen Mitglied des Cyberpunk 2077-Universums wird.

Bevor das Spin-Off allerdings Realität wird, treten Spieler ihre eigene Reise an. Die Interaktivität bietet dabei Möglichkeiten, die ein Film nicht hat – auch wenn dieser wiederum andere Stärken hat: „Eine feste Geschichte und ein Hauptcast geben Filmen einen Vorteil. Wir wissen um die Challenge, eine offene Welt an den Punkt zu bringen, an dem sie sich lebendig anfühlt.“ Die Arbeit an der The Witcher-Trilogie, die Spieler an der Seite des Hexers Geralt von Riva durch eine vom polnischen Autor Andrzej Sapkowski erschaffene Welt führt, legten den Grundstein für weitere Entwicklungen. Während man dort in einem früheren Epochen nachempfundenen Setting die Geschichte des Protagonisten zeigt, gehört das Drehbuch nun den Besuchern von Night City. „Die First-Person-Perspektive zeigt Spielern alles durch ihre Augen. Dadurch ist filmisches Storytelling mit unserem Ansatz für Cyberpunk 2077 nicht wirklich zu vergleichen. Wenn, dann nur mit einer absoluten Minderheit an Filmen. Aufgrund der Struktur des Spiels brauchen wir überzeugende Nebencharaktere wie Johnny Silverhand. Er hilft uns sehr, ein glaubhaftes cineastisches Gefühl zu erzeugen.“ Spieler werden sich etwa auch während Cutscenes frei bewegen können, um den Spielfluss nicht zu unterbrechen. „Wir lieben diese Herausforderung, und es fühlt sich auch an, als würden Spiele manchmal schon Dinge tun, die Filme eben nicht können. Gut, dass wir beides haben!“ Neben Kathryn Bigelows Strange Days nennt Tost auch Akira und Blade Runner als filmische Inspirationen. Zwischen Wolkenkratzern und Hologrammen mit futuristischen Fahrzeugen umherzufahren, den eigenen Körper zu modifizieren und seine Seite inmitten der Schlachten von Konzernen und Untergrundbanden zu wählen, wird durch das neueste Mitglied des Cyberpunk-Universums virtuelle Wirklichkeit sein. Ob dabei die Ambitionen der Macher die Erwartungen der Spielerinnen und Spieler treffen, zeigt sich demnächst in Night City.