Filmkritik

Nerve

| Jörg Schiffauer |
Warum man dann doch lieber „Pokémon Go“ spielen sollte

Venus Demonico (Emma Roberts), von allen nur Vee genannt, könnte eigentlich rundum zufrieden sein. Die smarte junge Dame steht wenige Wochen vor ihrem High-School-Abschluss, ein renommiertes College in Kalifornien wartet nur noch auf ihre Zusage für den begehrten Studienplatz, womit sie ihre Heimat, das eher schmucklose und wenig aufregende Staten Island endlich hinter sich lassen könnte. Weil aber die Ratio unter angehenden Absolventen einer typischen High-School nicht immer die Oberhand behält, sieht sich Vee einem Problem gegenüber: ihr vorwiegend vernunftbasiertes Handeln kommt im Freundeskreis nicht wirklich gut an, weswegen ihr Coolnessfaktor – an einer High-School bekanntermaßen ein bedeutendes Statussymbol – gegen Null tendiert. Doch da bietet sich unerwartet eine gute Gelegenheit, einen radikalen Imagewandel vorzunehmen. Vee entschließt sich, an „Nerve“ teilzunehmen, einem ungemein populären Online-Reality-Spiel. Dabei stellen sich die Teilnehmer Mutproben unterschiedlicher Art, die sie mit ihrem Smartphone filmen und online stellen, wo sie von sogenannten „Watchern“ begutachtet und bewertet werden. Weil die Herausforderungen zunächst eher spaßiger Natur sind und deren Bewältigung zudem sofort überwiesene Geldprämien mit sich bringen, findet Vee Gefallen an dem Spiel. Auch bei der Online-Community kommt sie gut an, sie wird mit einem anderen Spieler namens Ian zusammengespannt und in immer gewagtere Prüfungen gehetzt. Als Vee das Ganze schließlich doch zu weit geht, muss sie erkennen, dass sie sich auf ein lebensgefährliches Spiel eingelassen hat, aus dem man auch nicht mehr einfach aussteigen kann.

Mit dem Themenkomplex Social Media samt seinen Phänomenen sozialer, psychologischer und popkultureller Natur – all das reißt nämlich der Plot an – hat Nerve zweifellos ein brandaktuelle Sujet aufgegriffen. Doch in dem Bemühen, sich formal, dramaturgisch und in der Zeichnung der Charaktere einem möglichst breiten, juvenilem Publikum anzubiedern, repräsentiert Nerve jene Form des konturlosen Mainstreamkinos, das in seiner ambitionslosen Durchschnittlichkeit belanglos und verwechselbar bleibt. Außer kruden Verschwörungstheorien und Phantasien über die allmächtige Kräfte, die sich in den Weiten der digitalen Welt verbergen, bleibt dann auch nur ein Schwelgen in jenem Voyeurismus, den Nerve vorgeblich kritisieren will. Wer zudem die finale Wendung im Showdown nicht vorhersieht, muss ohnehin beim Anschauen einschlägiger Genre-Arbeiten zuviel mit seinem Smartphone beschäftigt gewesen sein.