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Netflix | Film

Neues aus der Welt

| Maxi Braun |
Statt im Kino jetzt auf Netflix: Paul Greengrass revolutioniert weder Genre noch Mythos, setzt aber auf Versöhnung und ein starkes Schauspielduo.

1870, irgendwo in Texas: Bürgerkriegsveteran Captain Jefferson Kyle Kidd (Tom Hanks), vor dem Krieg als Drucker tätig, reist von Stadt zu Stadt und verdient sein Geld als Vorleser von Zeitungsartikeln. Zufällig trifft er auf das Waisenkind Johanna (Helena Zengel). Ihre Familie wurde einst vom Stamm der Kiowa ermordet, sie selbst wurde entführt und wuchs mit der indigenen Kultur und Sprache auf. Als ihre Kiowa-Familie wiederum von Siedlern getötet wird, überlebt sie nur, weil ihr Aussehen ihre europäische Herkunft verrät. Der Captain erklärt sich bereit, sie zu ihren deutschen Verwandten zu bringen, die 400 Meilen entfernt leben.

Die karge Weite der Prärie, Planwagen-Trecks, spartanische Siedlungen, und hinter dem Horizont lauern immer irgendwo Banditen und „Indianer“ – auf den ersten Blick ist Neues aus der Welt in Bildsprache und Setting ein klassischer Western. Inhaltlich sind die Parallelen zur Gegenwart unübersehbar, ist das Land zur Zeit der Reconstruction doch politisch, sozial und wirtschaftlich ebenso tief gespalten wie die USA im Jahr 2021.

Im Mittelpunkt steht daher kein einsamer Cowboy oder Revolverheld, sondern ein Mann des Wortes, der auf die Macht des Wortes und der Aufklärung vertraut. Mal schafft es der Captain bei einer Lesung, den aufgebrachten Mob zu befrieden, bevor es zu einem Zusammenstoß mit den anwesenden Nordstaaten-Soldaten kommt. Mal ermutigt er sein Publikum mit der Macht einer gut erzählten Geschichte dazu, sich gegen einen autoritären Anführer aufzulehnen. Neben Johannas Rettung ist seine Mission auch die Überwindung dieser Spaltung. Auf das Prinzip Versöhnung setzt Bourne-Regisseur Paul Greengrass auch hinter der Kamera. Als erster Filmemacher drehte er auf dem Gelände der Camel Rock Studios, die von Mitgliedern eines indigenen Stammes in Nordamerika gegründet wurden.

Neues aus der Welt ist im Vergleich zu anderen modernen Western recht brav geraten, die Gewalt hält sich in Grenzen, die Erzählung folgt dem klassischen Schema. Auch Tom Hanks zeigt keine wirklich neue Facette, sondern schlüpft in einen gewohnt sympathischen Charakter, dem man gerne bei seiner Entwicklung folgt. Berührend ist aber die Interaktion zwischen ihm und der erst zwölfjährigen – soeben für einen Golden Globe nominierten – Helena Zengel, die an Hanks‘ Seite bravourös besteht. Seit Nora Fingscheidts Systemsprenger international bekannt, spielt sie Johanna ebenso roh und unnahbar wie die traumatisierte Benni, verwandelt ihre Wut aber in eine innere Ruhe, von der auch der Captain lernt. Ein Film, der weder das Genre noch den Mythos revolutioniert, aber als spannendes Erzählkino konsequent auf Versöhnung setzt. In Zeiten, in denen ein dummdreister Narzisst Präsident der USA werden konnte und ein wütender Mob das Capitol stürmte, ist das schon eine ganze Menge.