Die NS-Zeit, für die jüdischen Opfer die Periode des „Holocaust“ oder der „Shoa“, war im deutschen Nachkriegskino mit wenigen eigenen Erinnerungen an die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten verbunden. Am ehesten noch waren Themen des Völkermords in Filmen der ehemaligen DDR präsent, meist eingeordnet in den übergreifenden Klassenkampf. Das Jüdische Filmfestival Wien zeigt frühe Beispiele aus West und Ost sowie aktuellere Filme des Erinnerns.
Artur Brauner, 1918 in Lodz geborener Sohn eines jüdischen Holzgroßhändlers, ein Verfolgter und Überlebender des Nazi-Regimes, fasste nach 1945 in Berlin Fuß und gründete schon im September 1946 in den Westsektoren die Central Cinema Comp.-Film (CCC-Film GmbH). Mit seiner ersten eigenen Produktion, dem musikalischen Lustspiel Herzkönig – hergestellt noch ohne eigene Lizenz, ermöglicht nur über Strohmänner – hatte er einen großen Kassenerfolg, der ihn danach zu einer Filmerzählung mit autobiografischen Anteilen ermutigte: Eine Gruppe von jüdischen Häftlingen flieht aus einem Konzentrationslager, trifft auf Flüchtlinge anderer Herkunft, und man versteckt sich gemeinsam im Wald nahe der polnisch-russischen Grenze vor Wehrmacht und SS: Morituri (BRD 1947/48, R: Eugen Yorck). Ohne Hilfeleistung durch die Westmächte in Berlin erhielt Brauners Projekt Unterstützung von den Sowjets. Rotarmisten wurden als Statisten eingesetzt, und die DEFA-Filmproduktion aus Babelsberg brachte das nötige Gerät an den Drehort.
Flucht aus dem Lager
Zwischen den Flüchtlingen brechen existenzielle Konflikte auf, schließlich erweist sich durch einen in ihr Höhlenversteck geratenden deutschen Soldaten, ob die Gejagten, Todgeweihten gegenüber den Feinden, den Tätern etwas von ihrer Humanität bewahren konnten. Morituri endet als ein religiös-pazifistisches Plädoyer für Gerechtigkeit statt Rache, für ein Erdulden des Schicksals: „Einmal werden auf Erden die, die leiden, siegreich sein über die, die Macht haben, und dann werden wir und alle unsere Leidensgefährten das Urteil sprechen.“ Das pathetische Finale ruft zur Verständigung auf, der 1947 schon das Klima des aufkommenden Kalten Kriegs entgegenschlug. Ausgebrochene KZ-Häftlinge, zumal als Helden, wollte niemand auf der Leinwand sehen, es kam zu antisemitischen Ausschreitungen. Seine Uraufführung erlebte der Film in einem Hamburger Kino namens Waterloo.
Ein gemalter Film
Abgeschreckt vom massiven finanziellen Misserfolg seines Herzensprojekts verlegte sich Brauner fortan auf risikolose Unterhaltungsware, vereinzelt auch ambitioniertere Stoffe, und erst mit Beginn der achtziger Jahre, angefangen mit dem Film Charlotte S. (BRD/NL 1980, R: Frans Weisz), verfolgte er wieder die Absicht, über einen Zyklus von jüdischen Filmen „aus vielen Perspektiven das Schicksal der Verfolgten des Nazi-Regimes“ (Artur Brauner) zu zeigen.
Charlotte S. widmet sich dem Leben und Schaffen der jüdischen Künstlerin Charlotte Salomon, die sich im August 1939 auf einem Berliner Bahnhof von ihren Angehörigen verabschiedet, dann in scheinbarer Idylle in Südfrankreich lebt, sich angesichts aller zerstörerischen Kräfte ihrer äußeren und inneren Welt in die Malerei rettet und in Tausenden Gouachen Dokumente ihrer Lebensbewältigung anfertigt. Charlottes Biografie, die sie selbst schon gemalt hatte, wird als Spielfilm nacherzählt, eindringlicher jedoch ist die gemalte Geschichte ihres Lebens im Bilderzyklus „Leben oder Theater?“, in dem sie bereits Stilmittel des Films aufgegriffen hat: ein gemalter Film, in dem ein Schwebezustand zwischen innerer und äußerer Realität bestehen bleibt.
Traumata
Die nachwirkende Menschenvernichtung durch das NS-KZ-System darzustellen, also das psychologische Phänomen der Traumatisierung durch Gewalteindrücke vor Augen zu führen, die sich, bedingt von Auslösern, aktualisieren, lässt sich schwer auf der Grundlage einer Spannungs- und Verwicklungsdramaturgie ansiedeln. In Zeugin der Hölle (1966, R: Žika Mitrović) wird eine Jüdin (Irene Papas), die die Konzentrationslager überlebte, von einem Staatsanwalt eines Untersuchungsausschusses für Verbrechen der NS-Zeit (Heinz Drache spielt ihn mit der Korrektheit eines deutschen TV-Kommissars, seiner üblichen Rolle) als Zeugin gesucht. Die Frau hatte unmittelbar nach der Befreiung einem Journalisten ihre Erlebnisse berichtet, nun aber weigert sie sich, als Zeugin gegen einen SS-Arzt, ihren damaligen Folterer, aufzutreten, behauptet sogar, jene Berichte erfunden zu haben. Nach 20 Jahren steht sie noch immer unter Schock, ein harmloser Vorfall aktualisiert in ihr den Augenblick des Abtransports und löst einen Fluchtreflex aus. Thematisch verwandt, allerdings einem schlichten, amerikanischen Happy End verpflichtet, handelt Edward Dmytryks The Juggler (US 1953) von einem ehemaligen Variétéstar und König der Jongleure, der ein NS-Lager überlebt und 1949 nach Israel auswandert. Schwer paranoid, versetzt ihn jedes Zeichen des Obrigkeitsstaates, jedes Reglement in Angst und Schrecken, jede Konfrontation mit der Exekutive macht ihn von Neuem zum Verfolgten, Heimatlosen. Sonst vitaler Draufgänger, verkörpert Kirk Douglas diesen psychisch Gestörten an den Grenzen zur Psychose mit intensivstem Ausdruck von Entsetzen und äußerster Seelennot. „Helft mir, ich bin krank!“, so ergibt sich der einstige Zirkusheld der Polizei, und man ahnt: Auch die sich anbahnende Liebesgeschichte kann keine Therapie bzw. Analyse ersetzen.
Aus DEFA-Beständen
Der Stoff zum Film Jakob, der Lügner (DDR 1974, R: Frank Beyer), verfasst von Jurek Becker, lag schon seit 1965 vor, das berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED, dem fast eine ganze Jahresproduktion zum Opfer fallen sollte, tagte zur gleichen Zeit. „Es lässt sich leicht absehen, dass ein Stoff, in den der antifaschistische Widerstandskampf nicht hineinreichte, zum damaligen Zeitpunkt eine Unmöglichkeit war: Kein Gegenwartsstoff, wie es die ideologische Kampagne wollte, wurde hier dargeboten, kein heldenhafter Widerstand, sondern eine Apologie der Alltagslist in den Fallstricken zwischen Wahrheit und Lüge. So hatte bis zum 8. Parteitag der SED 1971 kein DEFA-Stoff auszusehen.“ (Manfred Behn, 1993) Aus Ärger über die Ablehnung als Drehbuch schrieb Jurek Becker prompt den Roman, der berühmt wurde, die Geschichte vom Juden Jakob Heym, der in einem osteuropäischen Ghetto, das in dem Film sehr sparsam angedeutet und gerade dadurch intensiv wirkt, mit täglich neu ausgedachten Nachrichten aus dem unbedacht erfundenen Radio seinen Leidensgenossen Hoffnung und Haltung gibt sowie neuen Lebensmut, und weil seine Zuhörer es so sehr wollen, immer weiter lügen und erfinden muss. Der Film der ruhigen Gesten, voll schwejkscher Überlebenslist, Erfahrungswissen und Altruismus eines Märchenerzählers wird als Oscar-Kandidat nominiert, das einzige Mal in der Geschichte der DEFA. Anders die Chronik eines Mordes (DDR 1965, R: Joachim Hasler), in dem in Form eines Kriminalfilms ein leidenschaftlich verfolgter Anspruch auf Gerechtigkeit vorgeführt wird: Eine junge Frau (Angelika Domröse), deren Familie von den Nazis getötet und sie selbst in ein Wehrmachtsbordell verschleppt wurde, will nach dem Krieg verhindern, dass der für die Deportation verantwortliche SA-Täter als biederer Bürger ins politische Geschäft des Landes eintaucht. Die längste Zeit des Films über bleibt ihr Ausdruck starr, unverkennbar sind ihre seelischen Leiden. Statt sich um „Wiedergutmachung“ zu bemühen, fordert sie Sühne und eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Nazi-Verbrechen, und so beginnt der Film mit einem Mord, dem die Ursachenforschung in der jüngsten deutschen Geschichte folgt. Die DEFA hatte bereits Mitte der fünziger Jahre mit János Veiczis Regie-Debüt Zwischenfall in Benderath (DDR 1956) eine Warnung vor neuem Antisemitismus in der Bundesrepublik ausgesprochen: An einem Gymnasium irgendwo in Westdeutschland setzt sich eine verschworene Gemeinschaft von Schülern gegen einen faschistischen Lehrer zur Wehr, der einen jüdischen Mitschüler übel beschimpft hatte. Unterstützt von den Eltern bestreiken sie den Unterricht und stellen der Direktion ein Ultimatum, bis der Lehrer an eine andere Schule versetzt wird.
Unterhaltsam genug
Anlässlich des US-Starts von Joseph Vilsmaiers Comedian Harmonists (D 1997) schrieb der 1923 in Berlin geborene Kulturhistoriker Peter Gay, der 1939 mit der Familie über Kuba in die USA emigrieren konnte, in der „New York Times“ einen Beitrag mit dem Titel „Die Harmonisten“: „[W]ie hier ein Bad des guten Willens sich über ein Ensemble ergießt, das von der Regierung verboten wurde – das verlässt das Terrain der Wahrscheinlichkeit. Ich stelle keineswegs die Absichten der Filmemacher in Frage, aber angesichts dessen, wie tief Deutschland im 20. Jahrhundert sinken konnte, verlieren sie sich im Dickicht ihrer Entschuldigungsversuche. Das Presseheft stützt diese Einschätzung. Die Comedian Harmonists, sagt Mr. Vilsmaier da in einem Interview, waren völlig unpolitisch, und das war am Ende ihr Verhängnis. (…) Kein Zweifel, dass es in den frühen Tagen der Nazi-Herrschaft ein gewisses Maß an Selbsttäuschung gab. Aber trotz ihrer Abscheu vor Hitlers Reich scheint es, als ob Mr. Vilsmaier und seine Kollegen die überwältigende Irrationalität und schiere Totalität von dessen rassistischer Ideologie nicht ganz begriffen haben. Es war nicht die unpolitische Haltung der Harmonists, die sie kaputt machte. Politisch oder unpolitisch, hätten sie niemals dem Aberglauben etwas entgegensetzen können, den das Naziregime mehr oder weniger unterschiedslos und mit zunehmender Brutalität auf alle anwandte, die sie als Juden definierten – Geschäftsleute, Hausfrauen und Kinder genauso wie Künstler. So gesehen sind die Harmonists genauso sehr Symptom wie Unterhaltung. Glücklicherweise ist die Unterhaltung unterhaltsam genug.“ (Übersetzung in: „Süddeutsche Zeitung“, 12. Januar 1999)
Ein junger Mann aus dem Innviertel. Adolf Hitler. Aus der Reihe: Wie sie es wurden (AT/BRD 1973, Drehbuch: Georg Stefan Troller) gehört zu den drei Dokumentarspielen, die Film- und Fernsehregisseur Axel Corti im Lauf seiner Karriere drehte. Die Spielhandlung wird durch Statements von Zeitzeugen unterschnitten, die Gezeigtes, Gesagtes quasi dokumentarisch erden. Der junge Hitler, vorgestellt zwischen 1903 und 1914, probt eine Rede in manischem Monolog, bis seine vor dem Spiegel eingenommene Pose gefriert. Streben nach Selbstmaximierung, Eindrücklichkeit, Gefolgschaft. Der Film konzentriert sich auf die Wurzeln seiner Ideologie und entwirft ein Psychogramm des späteren „Führers“. An manchen Stellen scheint eine subjektive Kameraführung die Wahrnehmung Hitlers, seine Eindrücke von der Stadt Wien, ins Bild zu setzen.
Die Entdeckung BZW. Wiederentdeckung der eigenen jüdischen Wurzeln
Zu späten filmischen Erinnerungsstücken an den Holocaust aus den letzten Jahren gehören Dokumentarfilme wie Peter Kenneth Jones’ Porträt eines Überlebenden, aus dem ein bedeutender Fotojournalist wurde: Henri Dauman: Looking Up (US 2018), Keren Perlmutters The Story of Holocaust Survivor Avraham Perlmutter (US 2020), basierend auf dessen Autobiografie, welche die Irrfahrten, Verstecke und Verluste beschreibt, dabei auch Beweise für menschliche Güte bewahrt, und der österreichisch-israelische Film Liebe war es nie (2019) von Maya Sarfaty, die eine Beziehung zwischen einer KZ-Insassin und einem KZ-Offizier im Lager Auschwitz recherchiert hat – 30 Jahre danach stand man sich in einem Wiener Gerichtssaal gegenüber, einst Häftling und Bewacher, nun Zeugin und Angeklagter.
Um die Entdeckung der eigenen jüdischen Wurzeln in den sechziger Jahren und damit auch eines konstanten Bodensatzes an Nazis geht es in Andreas Grubers Hannas schlafende Hunde (D/A 2016) nach dem autobiografischen Roman von Elisabeth Escher, einem Film, der zwischen Pogromstimmung und Alltag einen tief empfundenen Antisemitismus vermittelt. Auch der von Mario Adorf verkörperte alte jüdische KZ-Überlebende, der nach dem Krieg einen anderen Namen annahm und seither seine Vergangenheit verschwiegen hatte, macht sich in dem Roadmovie Der letzte Mentsch (D 2013, R: Pierre Henry Salfati) auf den Weg in seine ungarische Geburtsstadt, um vor dem Ende beweisen zu können, dass er wirklich Jude ist.
In Remember – Vergiss nicht, dich zu erinnern (CAN/D 2015) entwickelt Atom Egoyan im Umgang mit dem Holocaust-Thema nahezu Thriller-Qualitäten: In einem New Yorker Altersheim erinnert Max den demenzkranken Zev daran, den Mord an seiner Familie in Auschwitz zu rächen. Vier Männer gleichen Namens, auf welche die Beschreibung des ehemaligen Blockführers passen könnte, kommen in Frage. Unerkannt war dieser nach Kriegsende mit neuer Identität eines jüdischen Lagerüberlebenden in die USA emigriert. Von der Vergangenheit eingeholt, wird er seiner gerechten Strafe nicht entkommen.