ray Filmmagazin » Themen » Weder Schweden noch Russen

Nordische Länder

Weder Schweden noch Russen

| Daniela Sulz |
Die finnische Filmszene bedient seit Jahren erfolgreich den heimischen Markt. 2014 wurde selbst der „Hobbit“ in die Schranken gewiesen.

In vielen Dingen hat Finnland eher eine Sonderrolle: Das Land mit 5,5 Millionen Einwohnern ist nicht Teil Skandinaviens, aber des Nordens. Die Sprache hat nichts mit den anderen nordischen Sprachen gemeinsam. Die Finnen gelten als die eigenbrötlerischsten, schweigsamsten Nordländer. Wie viel Wahrheit in dem letzten Punkt steckt sei dahingestellt – Fakt ist allerdings, dass die Finnen gerne Filme über eigenbrötlerische, schweigsame und komplizierte Finnen sehen, besonders, wenn es dabei etwas zu lachen gibt.

Und darum war Mielensäpahoittaja (englischer Titel: The Grump) ein voraussehbarer Erfolg an den Kinokassen. Dass der Film über einen mürrischen alten Bauern, der für einige Wochen zu seinem Sohn und dessen Familie in die Stadt ziehen muss, mit über 450.000 Besuchern aber der meistgesehene Kinofilm Finnlands im Jahr 2014 wurde und sogar Der Hobbit: Die Schlacht der fünf Heere übertrumpfte, ist dann doch eine besondere Leistung.

Voraussehbar war der Erfolg, weil er einem bewährten Schema folgt: Es ist ein Buchverfilmung und eine Komödie. Der Hauptdarsteller ist prominent und beliebt. Der Regisseur ist kein Unbekannter, ebensowenig der Produzent. Das sind die Zutaten, die einem nicht nur die Filmförderung sichern, sondern – solange man keine groben Schnitzer macht – auch einen erfolgreichen Film, findet Jarkko Hentula. Er ist Chef der Spielfilm-Abteilung bei Yellow Film, einer großen, unabhängigen Film- und TV-Produktionsfirma in Helsinki, und weiß aus Erfahrung: „Finnische Filme kommen gut an, wenn die Zuseher mit dem Inhalt bereits vertraut sind, zum Beispiel Filme, die auf Büchern basieren. Das gilt auch für Kinderfilme. Alle Arten von Komödien funktionieren. Und wir sind zwar nicht Hollywood, aber es gibt eine Art von „Starqualität“ hier, also Schauspieler oder Regisseure, die allein durch ihren Namen Tickets verkaufen.“ Natürlich sind nicht alle finnischen Filme auf den Mainstream ausgerichtet. Arthouse-Filme sind ein wichtiger Bestandteil der Szene, doch ohne die Mainstream-Filme wäre der Marktanteil der finnischen Produktionen in den letzten Jahren wohl nicht konstant bei über 20 Prozent gelegen (2014: rund 28 Prozent – etwas mehr als zwei Millionen Besucher).

Erziehung des Publikums

Jarkko Hentula hat den Aufschwung und Erfolgskurs des finnischen Films von Anfang an miterlebt. „Diese Renaissance des finnischen Films hat Mitte der neunziger Jahre begonnen, als es eine Art Generationenwechsel gab. Auf einmal ging es nicht mehr nur um den Regisseur und den Drehbuchautor, sondern auch um den Produzenten.“ Ende der Achtziger habe es erstmals Filmproduktions-Kurse an der Uni gegeben, und die ersten Absolventen: „Leute wie ich, die nicht Regisseur, sondern wirklich Produzent sein und kommerziell erfolgreiche Filme machen wollten“. Sie trafen auf junge Regisseure, die dasselbe wollten: „A match made in heaven. Wir haben den Zeitgeist getroffen.“

Das wurde 1999 erstmals so richtig sichtbar: Drei finnische Filme, die innerhalb eines Monats Premiere feierten, wurden zu großen Hits. Insgesamt wurden finnische Filme in diesem Jahr über 1,75 Millionen Mal im Kino gesehen – ein Rekord, der erst 2010 (mit über zwei Millionen Besuchen) gebrochen  wurde. Seither, sagt Hentula, habe man sich hier ein Publikum „erzogen“. Wer damals mit finnischen Kinderfilmen begann, sieht heute die Komödien und anspruchsvolleren finnischen Filme. „Wer eine gute Erfahrung mit einem Film gemacht hat, will einen weiteren sehen“, erklärt er das scheinbar so einfache Prinzip.

Doch natürlich ist diese Entwicklung nicht ohne die nötige finanzielle Absicherung vonstatten gegangen. Die Filmfinanzierung steht in Finnland auf drei großen Säulen: Zum einen das Filmförderungsinstitut, die Finnish Film Foundation (SES), dann die Filmverleiher und die großen TV-Sender (der nationale Rundfunk-Veranstalter Yle sowie die Privatsender MTV und Nelonen). Vereinfacht kann man sagen, dass die Produktionsfirmen idealerweise das Budget für einen (kommerziellen) Film zu 50 Prozent von SES, zu 20 Prozent von einem der finnischen Filmverleiher und zu 20 Prozent von einem TV-Sender bekommen. Zehn Prozent verbleiben als Restrisiko für den Produzenten. „Die größte Hürde ist es, die Förderung der SES zu bekommen“, sagt Harri Hytönen. Als Buchhalter bei Yellow Film kennt er die Abläufe genau. „Es gibt immer wesentlich mehr Bewerber, als Filme gefördert werden können.“ Die SES bewertet die Filme mit einem Punkte-System, und eigentlich „ist es logisch. Du brauchst ein gutes Skript, einen Produzenten und einen Regisseur, der schriftlich fix zusagt, den Film zu machen – dann hast du gute Chancen.“ Man kann auch Förderungen für verschiedene Phasen der Produktion erhalten, angefangen mit dem Schreiben des Drehbuchs. Im besten Fall stellt SES bis zu 50 Prozent des kompletten Budgets, maximal jedoch 800.000 Euro. Große Produktionen halten sich in vielen Fällen an das Dreieck SES – Filmverleih – TV-Sender, doch natürlich gibt es auch andere lokale und internationale Förderinstitutionen. Deren Förderungen sind niedriger und oft an konkretere Auflagen geknüpft. Kleinere Produktionen, Arthouse-Filme und Dokumentationen nehmen sie gern in Anspruch. Wer Geld von der SES erhält, kann nicht um Förderung durch andere Institute ansuchen.

Lottomillionen

Die SES hatte 2014 ein Budget von 24,5 Millionen Euro. Das Geld stammt aus dem Ministerium für Bildung und Kultur, allerdings nicht aus Steuer-, sondern Lotterieeinnahmen. Letztes Jahr wurden damit 34 finnische Filme und zwei Ko-Produktionen gefördert. Die SES vergibt nicht nur hohe Beträge und verlangt dafür keine Rechte an den Filmen, die Förderung ist auch steuerfrei: Die Summe wird vom Erlös abgezogen. Die anderen beiden Standbeine der finnischen Filmfinanzierung sind weniger uneigennützig. Die Verleih-Firmen erhalten einen Anteil an den Ticketverkäufen (allerdings erst, wenn der Film einen gewissen Profit gemacht hat) und die Rechte für DVDs etc. Es gibt mehrere sehr starke nordische und finnische Verleiher in Finnland, wie z.B. Nordisk Film. Die TV-Sender sichern sich das Recht auf die TV-Erstausstrahlung und Wiederholungen.

Für Verleiher und TV-Sender gibt es allerdings ein Problem: Die sich verändernden Bedingungen auf dem Markt. DVD-Verkäufe sind vor allem letztes Jahr drastisch gesunken („Wer weiß, wie lange wir überhaupt noch DVDs für unsere Filme produzieren“, sagt Jarkko Hentula), genauso wie (weniger drastisch, aber doch) die Zuschauerquoten der TV-Sender. „Beide wollen die Rechte für Video-on-Demand, das bringt uns in eine Zwickmühle“, erklärt Produzent Hentula die Situation der Produktionsfirmen. Zusätzlich sei VoD zwar stark gewachsen, aber nicht auf dem selben Level wie die früheren DVD-Verkäufe. Eine Lösung für dieses Problem steht noch aus.

Luft nach oben sieht Jarkko Hentula aber in einem anderen Bereich: bei den Kinosälen. „Wir könnten definitiv mehr Leinwände gebrauchen, vor allem im Einzugsgebiet der Hauptstadt“, sagt er, „hier fehlt auch ein mittelgroßes Multiplex für Arthouse-Filme.“ 2013 gab es in ganz Finnland 282 Leinwände – in Österreich waren es im selben Jahr 550, obwohl sich die Bevölkerungszahlen nur um drei Millionen unterscheiden. Statistisch gesehen, ging jede Finnin und jeder Finne 1,3 Mal im Jahr 2014 ins Kino. Österreicherinnen und Österreicher gehen öfter ins Kino, aber sie sehen wesentlich weniger heimische Filme.

Dafür gibt es viele verschiedene Gründe. Einer, der Jarkko Hentula sofort einfällt, ist die Sprache: „Ihr habt mit Deutschland einen großen Nachbarn, der dieselbe Sprache spricht. Aber wenn wir keine Filme in finnischer Sprache machen, macht sie keiner.“ Und da Finnland sich seiner eigenen Identität und Eigenständigkeit bewusst ist – das Sprichwort: „Wir sind keine Schweden und wir werden keine Russen, also seien wir doch Finnen“ ist vermutlich die kürzestmögliche Zusammenfassung der finnischen Geschichte –, werden heimische Filme wohl auch weiterhin ihr (großes) Publikum finden.