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Österreich – Ein Themenschwerpunkt

Baustelle Drehbuch

| Andreas Ungerböck |
25 Jahre Drehbuchverband, 20 Jahre Drehbuchforum: Man feiert erfreuliche Jubiläen, aber nicht alles ist eitel Wonne. Wilbirg Brainin Donnenberg und Sandra Bohle im Gespräch.

Es kommt selten vor, dass einem jemand, den man interviewt, gleich den passenden knackigen Titel zum Text mitliefert: „Baustelle Drehbuch“, schlägt Sandra Bohle, selbst vier Jahre lang Geschäftsführerin des Drehbuchforum Wien und des Drehbuchverband Austria, trocken vor. Und in der Tat: Vieles ist geschehen in diesen 20 bzw. 25 Jahren, aber es bleibt noch unendlich viel zu tun, wie Bohle und Wilbirg Brainin-Donnenberg, die aktuelle Geschäftsführerin der beiden Institutionen, unisono zu Protokoll geben.

Dass es seit 1989 überhaupt eine Interessensvertretung für die österreichischen Drehbuchautorinnen und -autoren gibt, ist ganz wesentlich der Initiative des Schriftstellers Gustav Ernst und des 1992 verstorbenen Theater- und späteren Fernsehautors Thomas Pluch (Das Dorf an der Grenze) zu verdanken: „Es gibt einen künstlerischen Beruf, für den sich keine Kunst zuständig fühlt. Gemeint ist das Schreiben von Drehbüchern. Der Drehbuchautor sitzt zwischen allen für ihn in Frage kommenden Sesseln. Vor fast hundert Jahren hat er den Sessel Literatur verlassen und ist in Richtung Film aufgebrochen. Er ist bis heute bei diesem Sessel noch nicht angelangt. […] Natürlich wird er im Film geduldet – aber als ein notwendiges Übel. Zu einer filmischen Autorität ist er nicht geworden“, konstatierte der wortgewaltige Pluch seinerzeit und ließ – ganz unösterreichisch – den Worten Taten folgen. „Aus dem Bedürfnis heraus, die Rolle der Drehbuchautorinnen und -autoren zu stärken“ (Brainin-Donnenberg) wurde im Juli 1989 die ARGE Drehbuch (seit 2002: Drehbuchverband Austria) gegründet. Seit 1992 wird – auf Initiative des damaligen Bundesministers für Unterricht und Kunst, Rudolf Scholten, und dem verstorbenen Autor zu Ehren – der Thomas-Pluch-Drehbuchpreis in mittlerweile drei Kategorien vergeben, u.a. auch für einen Kurz- bzw. mittellangen Film – und mit einem besonderen Augenmerk auf Innovation. Seit einigen Jahren wird der Preis „bewusst bei der Diagonale vergeben, weil er dort sehr viel Öffentlichlichkeit bekommt, die er ja auch verdient. Und er zählt zu den höchstdotierten Filmpreisen Österreichs.“

Doch damit nicht genug: Seit 1994 gibt es das Drehbuchforum Wien, das – nicht nur in personeller Hinsicht – eng mit der Interessensvertretung verbunden ist: Es „versteht sich als Dienstleister der österreichischen Filmschaffenden und Filmproduzenten mit Schwerpunkt auf den Bereichen Drehbuch und Dramaturgie und fungiert als Drehscheibe und Vermittler von Stoffen, Fachkräften, Know-how und Information. Angebot und Service richten sich an erfahrene DrehbuchautorInnen und AutorenfilmerInnen, die wir mit diversen Angeboten in ihrer Arbeit unterstützen. […] Das Drehbuchforum ist eine unabhängige Institution und arbeitet nicht gewinnorientiert“, heißt es klar und deutlich im Mission Statement des Vereins, der sein kleines, schmuckes Büro im mittlerweile recht dünn besiedelten „Filmhaus“ in der Wiener Stiftgasse hat. Tatsächlich ist das Angebot an Veranstaltungen, Weiterbildung und Workshops enorm, besonders, wenn man den eher schlanken personellen Aufwand (Geschäftsführerin und Assistent) berücksichtigt. „Die Effizienz unserer Arbeit wird von unseren Fördergebern geschätzt, und deren kontinuierliche Unterstützung ermöglicht qualitätvolle Arbeit“, meint Wilbirg Brainin-Donnenberg, die auf eine lange und erfolgreiche Karriere als Kuratorin von Filmretrospektiven, als Autorin und als Mitarbeiterin von Festivals und von sixpackfilm zurückblicken kann.

Zu den Angeboten und Initiativen des Drehbuchforum gehören u.a. das Stoffentwicklunsgprogramm „scriptLAB“ (neben der Variante „fiction“ gibt es seit 2013 auch „docu“, weil auch immer mehr Dokumentarfilme auf einer schriftlichen Grundlage beruhen), das sich sowohl an etablierte Drehbuchautorinnen und Autoren, aber auch an den Nachwuchs richtet und auch Quereinsteigerinnen und -einsteiger entdeckt, die Gesprächsreihe „Let’s Talk About Scripts“, in der Drehbuchautorinnen und -autoren sowie Autorenfilmerinnen und -filmer vor Publikum über ihre Arbeit sprechen, die neue Reihe „Aktuelle Impulse“, in der Autorinnen und Autoren von Sachbüchern über ihre Themen, Methoden und Recherchen Auskunft geben, und die Exkursionsreihe „Arbeit Alltag Welt“ – „eine Initiative, die europaweit als modellhaft gesehen wird“, wie Brainin-Donnenberg nicht ohne Stolz vermerkt. Dabei begeben sich die Autorinnen und Autoren – siehe Titel – hinaus in die „reale Welt“, um Arbeits- und Lebenszusammenhänge in Bereichen kennenzulernen, die ihnen vielleicht nicht so vertraut sind – beispielsweise in der Psychiatrie oder demnächst am Flughafen.

Dazu kommen immer wieder Workshops mit renommierten Vertreterinnen und Vertretern der Drehbuch schreibenden Zunft, vor allem, aber nicht nur aus dem Ausland: Vernetzung ist natürlich auch hier ein wesentliches Kriterium für Erfolg in der beruflichen Sphäre. Im November 2013 etwa war die britische Autorin Helen Jacey zu Gast und sprach über „Writing the Heroine’s Story“. Im Juni 2014 war der Stoffentwicklungs-Experte Phil Parker in Wien, der sich seit mehreren Jahren mit den Formen des Erzählens in einer digitalen Welt beschäftigt. Die allerneueste Errungenschaft ist „United Writers“. Bei der Wochenendklausur erhalten jeweils vier Drehbuchautorinnen und –autoren die Gelegenheit, aus der oft einsamen Arbeitssituation herauszukommen und einander gegenseitig – begleitet durch die Moderation einer Dramaturgin – Feedback zu geben und einen halben Tag am jeweiligen Filmstoff zu arbeiten. Marie Kreutzer etwa schätzte diesen Austausch mit anderen Autorinnen und Autoren kurz vor dem Drehstart von Gruber geht sehr.

„Writing the Heroine’s Story“, das ist ein gutes Stichwort: Beim Interview entzündet sich eine Diskussion über immer noch vorhandene Defizite in der Darstellung weiblicher Figuren. Sandra Bohle, die als Senior Lecturer an der Filmakademie Wien (Drehbuchklasse Götz Spielmann) Vorlesungen zur Filmdramaturgie hält und die Drehbücher der Studierenden dramaturgisch betreut, sieht „in vielen Filmen ein Frauenbild, das jegliche weibliche Perspektive vermissen lässt. Selbst Frauen, die Drehbücher schreiben, ordnen sich dem unter: Noch immer haben Frauen vor allem jung und hübsch zu sein. Da muss auf allen Ebenen viel passieren“, meint Bohle, die das Defizit auch auf das berufliche Umfeld zurückführt: „Der Frauenanteil in der Branche ist generell immer noch sehr gering. So gibt es etwa kaum Produzentinnen, die sich natürlich auch mehr für einen weiblichen Blick beim Erzählen interessieren würden.“ Auch die Förderstellen müssten da „umdenken, wenn es um die Beurteilung von Stoffen und Drehbüchern geht“. Bohle will da auch ansetzen, was ihre Arbeit an der Filmakademie betrifft. Ein guter Anfang ist der ca. fünfzigprozentige Frauenanteil bei den scriptLAB-Förderungen des Drehbuchforum vom Exposé zum Treatment, wo auch die Anträge zur Hälfte Projekte von Frauen sind. Dies könnte in weiterer Folge auch die Anzahl der von Frauen bei Förderinstitutionen eingereichten Stoffe erhöhen, hofft Brainin-Donnenberg.

Bleiben wir bei den Defiziten, bei der Baustelle: Noch immer, trotz der langen und oft mühseligen Lobby-Arbeit, trotz mancher Erfolge und Verbesserungen, trotz der Betonung der Arbeit der Autorinnen und Autoren sei deren Wirken im filmischen Prozess noch immer nicht so anerkannt, wie es angemessen wäre. „Das ist aber kein spezifisch österreichisches Problem“, sagt Sandra Bohle. „Selbst in den USA besteht da noch viel Aufholbedarf, auch wenn es dort richtige Drehbuch-Stars gibt, wie etwa Charlie Kaufman.“ In Österreich herrsche insofern eine spezielle Situation, weil viele Regisseurinnen und Regisseure auch ihre eigenen Drehbücher schreiben, etwa zwei Drittel bis drei Viertel“, sagt Wilbirg Brainin-Donnenberg. Reine Drehbuchautorinnen und -autoren gäbe es ganz wenig, ergänzt Sandra Bohle. Das sei umso kurioser, als viele Filmemacherinnen und –macher gar nicht begeistert davon seien, alleine am Drehbuch zu arbeiten.

Viele Fragen sind nach wie vor offen: „Zwar gibt es inzwischen Musterverträge für Autorinnen und Autoren in Österreich, die ein gewisses Mitspracherecht bei Drehbuch-Bearbeitungen durch Dritte formulieren, letztlich ist diese heikle Frage aber immer noch Verhandlungssache zwischen den Produzenten, die zum Teil Widerstand leisten, weil sie ein Drehbuch vielfach nur als Arbeitsgrundlage sehen, und den Autorinnen und Autoren“, so Brainin-Donnenberg. Und das Gegen-Berufsbild, der allmächtige Showrunner, wie man ihn mittlerweile aus den USA kennt, der jahrelang Fernsehserien schreibt, managt und leitet, sei ein ganz anderes Konzept und in Österreich bzw. in Europa generell noch weit und breit nicht in Sicht. Eine Initiative in diese Richtung ist die Einladung an Frank Spotnitz. Der US-amerikanische Showrunner, Drehbuchautor, Produzent und mehrfache Golden-Globe-Preisträger wird dieser Tage bereits zum zweiten Mal das Erfolgsprinzip des Showrunners und des Writer’s Room an Drehbuchautorinnen und -autoren in einem Hands-on-Workshop vermitteln.

Letztlich bleibt, daran wird sich so schnell nichts ändern, das Drehbuchschreiben ein einsames Geschäft, das neben viel kreativem Frust auch finanzielle Probleme mit sich bringt: „Autorinnen und Autoren müssen zum Teil lange in Vorleistung gehen, bis sie endlich bezahlt werden.“ Internationale Vernetzung könne viel bewirken: Der Drehbuchverband ist seinerseits Mitglied der Fédération des Scénaristes d’Europe, die laut Brainin-Donnenberg solche „vermeintlichen Banalitäten wie die Nennung von Drehbuchautorinnen und -autoren auf Einreichformularen bei Festivals und in Festivalkatalogen durchsetzen musste und jetzt auf europäischer Ebene um Urheberrecht, die Rechte der Autorinnen und Autoren und faire Entlohnung kämpft.“

Wie in vielen anderen Bereichen üblich, setzen auch die beiden Drehbuch-Expertinnen auf den Nachwuchs, auf eine neue, selbstbewusste Generation: Sandra Bohle, die seit den neunziger Jahren Erfahrung auf dem Sektor Drehbuch hat, sieht „an der Filmakademie Veränderungen, die Jungen arbeiten gerne zusammen, zu zweit oder in Teams, sie wissen, dass mehrere Köpfe gemeinsam mehr erreichen können.“ Sie ortet wachsendes Interesse am Drehbuchstudium und verweist stolz auf „zwischen zwei und vier intensiv ausgebildetete Absolventinnen und Absolventen pro Jahr“. Die Zeichen stehen also gut, dass spätestens zu den nächsten anstehenden Jubiläen die letzten Baustellen geschlossen sein werden.

Thomas Pluch Drehbuchpreis 2015

Der Drehbuchverband Austria hat auch dieses Jahr den Thomas Pluch Drehbuchpreis ausgeschrieben. Verliehen werden drei Preise in den folgenden Kategorien: Thomas Pluch Hauptpreis, Thomas Pluch Spezialpreis der Jury, Thomas Pluch Preis für kurze oder mittellange Kino-Spielfilme. Die vom Bundeskanzleramt für Kunst und Kultur gestifteten Preise in der Gesamthöhe von 22.000 Euro werden am 20. März 2015 bei der Diagonale in Graz verliehen. Die Einreichfrist endet am 16. Dezember (es zählt der Poststempel). Einreichung an: Drehbuchverband Austria, Stiftgasse 6, 1070 Wien

Let’s Talk About Scripts

In der vom Drehbuchforum veranstalteten Reihe moderierter Podiumsgespräche mit Film- und Drehbuchautorinnen und -autoren ist am 1. Dezember Jessica Hausner zu Gast. Um 19 Uhr beginnt die Vorführung ihres Films Amour Fou (normaler Kartenverkauf) im Filmhauskino am Spittelberg, anschließend (ab ca. 20.45 Uhr) findet die Diskussion bei freiem Eintritt statt. Am 9. Dezember um 19 Uhr sind Sudabeh Mortezai (Drehbuch und Regie bei Macondo) und Oliver Neumann (Dramaturgie) im Depot (Breite Gasse 3, 1070 Wien) zu Gast. Moderiert werden beide Veranstaltungen von Robert Buchschwenter.

Lecture Frank Spotnitz, Showrunner

„POV: Point of View in Storytelling for Film and Television“, so lautet der Titel der Lecture von Frank Spotnitz, dem Showrunner, Drehbuchautor, Produzenten und mehrfachen GoldenGlobe-Gewinner für The X-Files.
4. Dezember, 19 Uhr, Literaturhaus Wien, Zieglergasse 26A, 1070 Wien. Anmeldung erforderlich: www.drehbuchforum.at

Eine ausführliche Chronik der letzten 25 Jahre mit zahlreichen Fotos und einer Videodokumention mit maschek-live-Einlage findet sich auf der Webseite

 

www.drehbuchverband.at