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(c) Dieter Nagl für epo-Filmproduktion

Österreich – Heimatplanet. Ein Dossier

Die Stimme ihres Herrn

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"Superwelt" - ein Film über das Wunder und das Wundern. Regisseur Karl Markovics im Gespräch.

Was haben Sie für die Diagonale und für den Filmstart für Erwartungen? Die Latte liegt nach Atmen ja hoch. Oder ziehen Sie es vor, keine Erwartungen zu haben?

Die habe ich mir ja damit schon hoch gelegt, weil Kino ist ja ein Massenmedium, Masse und Qualität sollten einander nicht ausschließen. Ich bin ja sozialdemokratisch sozialisiert und hege diesen Arbeitertraum der zwanziger Jahre bis in die frühen Dreißiger, ehe der Ständestaat das zunichte gemacht hat, dass das eine mit dem anderen durchaus zu verbinden ist, also dass man dem so genannten kleinen Mann Kultur, Bildung, Erkenntnis durchaus zumuten kann, auch wenn es manchmal anstrengend ist. Ich habe schon bei Atmen gehofft und hoffe nun bei Superwelt, dass man E und U verbinden kann und diese elitäre Trennung, die es ja fast nur noch im deutschsprachigen Kulturraum gibt – es ist entweder ernsthaft oder es ist für die breite Masse –, zumindest im Kinobereich zu widerlegen. Ich wünsche mir, dass wir wieder 100.000 Zuschauer bekommen. Auf die Diagonale bin ich sehr gespannt. Bei einem Festivalpublikum, das sehr aufmerksam aber teilweise auch sehr überkritisch ist, bekommt man mit, was der Film theoretisch kann, was er im Guten wie auch im Negativen auslöst.

 

Haben Sie das Gefühl, dass sie mit Superwelt ein Thema aufgegriffen haben, das in der Luft liegt. Neuerdings ist Religion ja wieder sehr stark präsent?

Ja, aber ich habe es nicht deshalb gewählt, Als ich an dem Projekt zu arbeiten begann, stand das Thema radikaler Islamismus oder Kampf der Kulturen noch lange nicht im Raum, das interessiert mich auch im Rahmen diesen Films nicht so. Für mich ist dieses Thema ohnehin lebens- und weltimmanent. An Gott kommt  keiner vorbei – außer Rummenigge, wie Hans-Dieter Hüsch in den achtziger Jahren so schön gesagt hat. Das finde ich auch, selbst ein Atheist setzt sich mit Gott auseinander, in dem er sagt: „Das gibt es nicht, das glaube ich nicht.“ Aber um Mensch zu sein, setzt man sich mit diesem Thema auseinander, das geht gar nicht anders.

 

Filme, die sich in jüngerer Vergangenheit mit dem Thema Gott auseinandergesetzt haben, wie etwa Requiem, Paradies: Glaube oder Kreuzweg warfen einen recht kritischen Blick auf die Religion und betonen negative Aspekte. Die Perspektive ist bei Superwelt doch deutlich anders.

Ein Grund dafür liegt vermutlich in meiner Sozialisation durch meine Mutter, ich bin Protestant. Und mir wurde Glauben nie verleidet als Brimborium von Schuld, Furcht und dann auch wieder von unglaublich pathetischer Beichte, sondern von einem lebenslangen Prozess des Diskurses, von Fragen, Antworten, von Hinterfragen und einer Erweiterung der Erkenntnis durch Religionslehrer und Pfarrer, die Familie hatten und mit uns auf einer absolut menschlich gleichen Ebene kommuniziert haben. Ich denke, das ist ein wesentlicher Grund, warum ich durch Religion nicht per se traumatisiert wurde, und das führte dazu, dass ich den im christlichen Glauben durchaus gewagten Gedanken fassen konnte, dass Glaube mit Religion nicht zwingend etwas zu tun haben muss, dass ich nicht zwingend einen Mittler haben muss zwischen mir und Gott. Ich brauche keinen Priester, kein Gotteshaus, keine Oblaten. Es kann sogar passieren, dass im Gegenteil nicht ich mit Gott versuche in Verbindung zu treten sondern dass er plötzlich zu mir kommt, ohne „Du bist katholisch, deswegen rede ich mit dir“, sondern „Ich bin da, und du bist da, und es gibt mich, weil es dich gibt“, diese Hypothese hat mich interessiert. Deswegen ist es per se nicht nur negativ oder nur positiv.

 

 

Wofür braucht Gabi Kovanda, die Frau in Ihrem Film, Trost?

Ich glaube, sie braucht in diesem Sinn gar keinen Trost, ich habe auch versucht, ihr ganzes Milieu als ein ganz normales, aber funktionierendes zu zeichnen, sie hat ja keinen großen Leidensdruck, das ist ja keine dysfunktionale Familie, die fix und fertig ist. Das war mir wichtig, um das Erlebte nicht als wahnhaft darstellen zu lassen, sondern eigentlich könnte sie ruhig dahin leben bis zur Pension, und dann ist es halt vorbei. Irgendwie kommt durch diese Stimme, die offensichtlich Fragen stellt, das Gefühl, dass das Leben mehr sein kann. Dass es Erkenntnis gibt, aber auch Glück, keinen Anspruch, aber die Möglichkeit danach zu streben – auch in dem Alter der Protagonistin noch, als Frau, als Mensch, als sexueller Mensch in der Beziehung, nicht nur als routinierter Ehepartner, der schon alles kennt, wo man sich blind versteht, sondern wo man sich auch wieder neu kennen lernen kann. Diese Möglichkeiten lernt sie kennen, und das hat weniger mit Trost zu tun als mit einer Art von Erfüllung in der Banalität des Daseins, denn es passieren ihr keine großen Wunder. Gott kommt ja eben nicht mit großem Brimborium daher

 

Es hat aber auch nichts Esoterisches?

Absolut nicht, ich hoffe inständig, dass es auch nicht im Entferntesten in diese Richtung betrachtet wird. Ich wollte alles vermeiden, um die Frau in diese Richtung zu drängen, also die Wahnsinnige, die Irre von Chaillot, die da in die Landschaft geht und mit Gott brabbelt, noch die Esoterische, die plötzlich irgendwie halbschwebend nichts mehr braucht und mit den Tieren spricht. Sie bleibt mehr bei sich, weil sie vielleicht zum ersten Mal sich selbst so richtig als Ich erfährt, aber dieses Ich ist ja trotzdem Gabi Kovanda. Sie lebt ja trotzdem weiterhin in dem Haus, aber etwas anderes ist plötzlich auch da, was dieses Leben eigentlich ausmacht, die Existenz an und für sich wahrzunehmen. Etwas Irdischeres gibt es für mich kaum.

 

Spiegelt sich das auch in den Reaktionen von Gabis Familie wider? Ihr Ehemann und ihr Sohn sind zunächst zwar irritiert, akzeptieren aber letztendlich die Situation.

Jeder von ihnen hat auch eine Facette von ihr. Familie ist für mich auch Teil eines Ganzen: Man wird so wie der Ehepartner, die Kinder sind Teil von einem. Die Familie hat eine wichtige Funktion, weil sie mir die Möglichkeit gab, ohne die Hauptfigur inflationär zu verwenden, auch noch etwas über diese Figur zu erzählen. Der Sohn hat sehr viel von der Mutter, ein Gespür für einen Moment, etwa zwei Leuchtgranaten bei einer Nachtübung, die einfach nur schön sind, und dabei vergisst er alles. Aber er verleugnet auch seine Mutter– auch ein kleines Zitat  – wie Petrus. Der Ehemann sieht das Vertrauteste wieder mit neuen Augen und muss vielleicht wieder um seine Frau kämpfen, ebenso die Tochter, bei der es scheinbar ein Geheimnis um die Beziehung zur Mutter gibt. Es sind Verwebungen da, die plötzlich intensiv werden.

 

Wie wichtig ist, dass die Hauptfigur eine Frau ist? Stimmt es, dass derartige Prozesse und Veränderungen anhand von Frauen besser darzustellen sind?

Bis zu einem gewissen Grad wird das schon stimmen. Ich habe mir das nicht so bewusst ausgesucht, die Hauptfigur ist ähnlich wie der junge Mann in Atmen zu mir gekommen. Meine Frau hat übrigens nach dem Lesen des Drehbuchs gemeint: „Du weißt aber schon, dass du eine Geschichte über den weiblichen Wechsel geschrieben hast.“ Die Perspektive fand ich schon spannend, dass jemand in der späteren Lebensmitte sich neu findet, sich fragt: „Wofür bin ich jetzt da“? Insofern glaube ich wohl, dass Frauen früher Dinge erspüren und mit weniger Vorbehalten auch an irrationale Dinge herangehen.

 

Zur Ihrer Arbeitsweise: Haben Sie vor Drehbeginn bereits alles mittels Storyboards festgelegt oder lassen Sie am Set auch Raum für Improvisation?

Storyboards habe ich überhaupt nicht. Ich habe da instinktiv das Gefühl, dass mich das viel zu sehr festlegt, weil das Storyboard ein ganzes Team bekommt, und ein Team ist ein schwerfälliger Apparat. Wenn man weniger vorgibt, sind alle viel mehr auf alles vorbereitet. Am Set von James Camerons Titanic soll es einen Zettel gegeben haben, auf dem stand: „Everybody has to be prepared for everything at any time.“ Und das ist eigentlich das Ideal für einen Regisseur. Das geht natürlich nicht immer, aber eigentlich ist das schon meine Arbeitsmethode. Klar: Meine pragmatische Seite sagt mir auch, du musst ein Backup haben, du musst die Szene so im Kopf haben, dass auch, wenn niemandem dazu etwas einfällt, eine Minimalvariante durchgezogen wird. Die besteht zum Beispiel aus Totale, Halbnahe und zwei Close-ups und ich weiß, welche Temperatur ich von den Schauspielern will. Preisgeben will ich im Idealfall gar nichts, wir machen eine Stellprobe, und ich schaue, wie sich die Leute im Raum bewegen, und erfahre da oft, welche Gedanken sich die Leute gemacht haben, die etwa ganz neue Auflösungen bedingen, die ich dann mit dem Kameramann abspreche. Ich habe gerne eine Minimalvorbereitung, die mich den Drehtag nicht in den Sand setzen lässt, aber ich mag schon gern genug Freiraum für den Zufall. Ich sichere mich auch nur selten mit einem Mastershot ab, außer wenn ich den für die Auflösung der Szene sowieso brauche. Als Absicherung mache ich das selten, aber das hat auch Nachteile. Ich habe ja nie eine Filmschule besucht, ich lerne also mit jedem Film dazu, etwa zur Sicherheit das Gleiche noch als Totale drehen, denn wenn man digital dreht, verschwendet man dabei ja kein Material.

 

Wie haben Sie mit der lokalen Bevölkerung bei den Dreharbeiten zu Superwelt interagiert?

Sehr gut, das Glück meiner Bekanntheit ist ja, das man vom Landeshauptmann abwärts schnell Zugang findet, und damit  auch zur Bevölkerung. Das Haus, in dem wir gedreht haben, stand zum Verkauf, das haben wir gemietet, da musste niemand für die Dreharbeiten ausziehen, und auch die Nachbarn waren dann glücklich, die haben wir eingeladen, zuzusehen.

 

Können Sie etwas über die Zusammenarbeit mit Herbert Tucmandl erzählen, der die Scores für Atmen und Superwelt komponiert hat?

In Superwelt ist die Musik deutlich reduziert, weil hier die Emotionalität viel mehr aus den Szenen selbst kommt, diese auch viel mehr dialogischer sind als bei Atmen, wo wir mehr Plansequenzen, stumme Szenen hatten, da konnte sich die Musik diesen Platz auch nehmen. Meine erste Begegnung mit der Musik von Herbert Tucmandl  war ein Kurzfilm von Walter Bednarik, in dem ich mehr oder weniger mich selbst gespielt habe. Da hatte Tucmandl die Musik gemacht. Neben seiner Arbeit am Projekt Vienna Symphonic Library fand er später kaum Zeit zum Komponieren, aber ich habe ihn im Zuge der Vorbereitungen zu Atmen kontaktiert. Er hat eine der Urfassungen des Drehbuchs zu Atmen bekommen und es gab ein Musik-Layout, lange bevor ich gecastet habe. Diese Musik war so großartig, dass ich später wirklich Probleme hatte, sie in den Film einzubauen, weil sie bereits alles erzählt hat. Bei Superwelt haben wir mit Chor und Perkussion begonnen, doch dadurch war die Musik eindeutig zu kirchlich konnotiert, und ich wollte nicht in eine konfessionelle Richtung gehen. Dann stand im Raum, es ganz ohne Musik zu machen, weil der Film alles abstieß, das war die Verzweiflungsphase. Schließlich hat Herbert Tucmandl es mit ganz einfachem Klavier versucht, und nun funktioniert es wieder großartig.

 

Welche Filme haben Sie geprägt, wie verlief Ihre filmische Sozialisation?

Zauberer von Oz, der hat mich schon in jungen Jahren umgehauen. Von der Atmosphäre her einer der unschlagbarsten Filme ist für mich immer noch Cabaret, Orfeo Negro hat mich sehr geprägt, also sehr unterschiedliche Sachen. Dann Alien, der Klassiker, Terry Gilliams Brazil, aber auch City of God, einer der absoluten Referenzfilme. Ich könnte nicht sagen, dass ich versuche, in eine Richtung zu gehen, aber das wären solche Filme, die mich als Zuschauer prägend und nachhaltig beeindruckt haben.

 

Sie sind bekannt für Ihr filmpolitisches Engagement. Der ORF hat die Mittel für Filmproduktionen gekürzt, weil aufgrund einer politischen Entscheidung die Gebührenbefreiung nicht mehr refundiert wird. Wie schwierig ist das für die österreichischen Filmschaffenden, und wie verträgt sich das mit dem Bejubeln der Erfolge durch die Politik, während man die Branche gleichzeitig im Regen stehen lässt?

Das ist ja ein bekanntes Problem, dass uns die letzen zehn, fünfzehn Jahre nicht mehr loslässt, dass die Filmschaffenden immer in Geiselhaft genommen werden, wenn der ORF sparen muss. Es gibt scheinbar kein anderes Sparpotenzial, außer automatisch an den Eigenproduktionen zu sparen. Egal ob das jetzt Gebührenrefundierung ist oder hohe Ausgaben für Senderechte von Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften, es wird immer automatisch am eigentlichen Auftrag des ORF gespart. Bei alledem, was verwechselbar mit jedem Privatsender ist, wird nicht gespart, dafür bei dem, was ihn unverwechselbar machen könnte. Das ist aber ein allgemein österreichisches Phänomen: Das, was uns eigentlich ausmacht, wird versteckt, damit lässt sich offensichtlich nicht so viel verdienen und das was nachgemacht und dazugekauft wird, dafür ist Geld da. Es gab erst unlängst wieder Gespräche mit Minister Ostermayer, und wir hoffen, dass in der Beziehung endlich ein Gesetzestext entworfen wird, der auch verfassungsrechtlich hält, so dass es langfristig nicht möglich ist, die Einschnitte immer dort zu machen. Es ist nicht möglich, kontinuierlich Filmarbeit – auch Nachwuchsarbeit – zu machen, wenn Mitte des Jahres bei den Förderanstalten das Geld bereits weg ist, das betrifft uns permanent.

 

Stichwort Nachwuchsarbeit: Ist es dann nicht ein wenig problematisch, wenn ein arrivierter Regisseur mit einem zugegeben tollen Film acht Preise beim diesjährigen Filmpreis abräumt?

Im Gegenteil! Mir hat jemand nach der Verleihung gesagt: „Spätestens jetzt kann man der Akademie nicht mehr nachsagen, dass die Preise geschoben sind.“ Ich finde das großartig. Es wird eben immer wieder Jahre mit solchen Spitzen geben, auch wenn das für die, die leer ausgehen, nicht einfach ist. Auch bei den Oscars gibt es immer wieder den einen großen Abräumer, ich finde das absolut in Ordnung, Das finstere Tal hat es ja absolut verdient. Was den Nachwuchs angeht: Mir war ganz wichtig, sehr rasch auch die Kategorie „Kurzfilm“ aufzunehmen, wo wir recht gut den Nachwuchsfilm abdecken können. Ich hätte aber auch gerne einen eigenen Experimentalfilmpreis, vielleicht wird es den ja irgendwann geben. Ich finde auch wichtig, dass wir beim Filmpreis unsere Identität behalten und uns nicht kommerzialisieren lassen, wir sind da auf einem guten Weg. Auch nach dem fünften Mal können sich die Mitglieder der Akademie noch in den Spiegel schauen.

 

Welches sind Ihre aktuelle Projekte?

Ich bereite gerade einen großen tschechischen Kinofilm über das Leben von Lída Baarová vor, in dem ich Joseph Goebbels spiele. Dann spiele ich in einem norwegischen Kinofilm mit dem Titel Drei Tage im April mit, dabei geht es um den Versuch von nazideutscher Seite, den norwegischen König dazu zu bringen, eine deutschfreundliche Regierung einzusetzen. Der König weigerte sich jedoch, wurde zwei Monate im eigenen Land versteckt, ehe er von den Engländern ausgeschifft wurde und er eine Exilregierung gründen konnte. Ich spiele den deutschen Botschafter, eine wahnsinnig spannende Rolle: Er ist eigentlich kein Nazi, aber ein Vertreter des Nazireichs, der den König vor vollendete Tatsachen stellen muss, aber versucht, ihn in den Verhandlungen sein Gesicht wahren zu lassen und ein Blutvergießen zu verhindern. Es gibt eine lange Dialogsequenz zwischen diesem Botschafter und dem König – zum Glück für mich auf Deutsch – , es ist überhaupt das erste Mal, dass im Königspalast in Oslo gedreht werden darf. Ich freue mich schon sehr darauf, vor der Kamera zwei so spannende Charaktere zu spielen. Und ich schreibe bereits am nächsten Drehbuch.