Gutes Timing ist alles: Gleich fünf, wenn auch sehr unterschiedliche, österreichische Produktionen kommen im März in die Kinos.
Christoph Grissemann und Dirk Stermann haben einen Kinospielfilm gedreht und sich dafür mit dem deutschen Komödianten Heinz Strunk zusammen getan. In Immer nie am Meer wird dieses Trio nach einem Unfall in einem mit Panzerglas ausgestatteten Mercedes zwischen zwei Bäumen eingeklemmt. Sie können weder die Türen öffnen noch die Fenster einschlagen, und so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als auf Rettung zu warten. Den Ernst der Lage erfassen sie nur allmählich, lieber geben sie sich zwischenmenschlichem Gezanke hin und vertreiben sich die Zeit mit der Preisgabe von Details ihrer traurigen Lebensgeschichten. Diese unangenehme Lage wird den Rest des Films über von den Protagonisten in bester Grissemann/Stermann-Manier ausgelebt, ersterer tut dies auf gewohnt aufbrausend-sarkastische Art und Weise, Dirk Stermann mehr einfältig und phlegmatisch. Dazwischen wirft der deutsche Gast vom Rücksitz aus seine sympathisch-nervtötenden Bemerkungen ein.
Stermann und Grissemann sind eigentlich keine Schauspieler, spielen also im Wesentlichen sich selbst. Auf große Herausforderungen in der Ausarbeitung ihrer Rollen hat Regisseur Antonin Svoboda schon von vornherein verzichtet. Immer nie am Meer kommt daher den von Radio und Bühne bekannten Doppel-Conferencen des Duos sehr nahe, wurde fürs Kino nur um Heinz Strunk erweitert. Wesentliche zusätzliche Bereicherungen kommen, auch aufgrund der minimalistischen Inszenierung, durch das neue Medium nicht hinzu. Wem dies nichts ausmacht und wer den Humor gut findet, sollte somit auch den Film mögen.
Ob die Protagonistinnen der Dokumentation Vienna’s Lost Daughters über einen solchen österreichischen (?) Humor noch lachen können? Wien war einst die Heimat von acht älteren jüdischen Damen, die als junge Mädchen vor den Nazis nach New York geflüchtet sind. Was aus ihnen geworden ist und was sie von ihrer Heimatstadt in Erinnerung behalten haben, damit beschäftigt sich der Dokumentarfilm von Mirjam Unger. Alle Damen haben längst in der amerikanischen Metropole ein neues Zuhause gefunden, haben Kinder und Enkelkinder. Trotz ihres Schicksals sind sie durchwegs starke, lebensbejahende Frauen geworden, die sich ihre Lebensfreude bewahrt haben. Unger begleitet die mittlerweile über 80-Jährigen mit Kamerafrau Eva Testor durch ihren noch sehr agil gestalteten New Yorker Alltag. Sie fährt mit ihnen zu Besuchen bei den Kindern, zu den Freundinnen oder mit zum Friseur. Dazwischen wird in oft zwiespältigen Erinnerungen an Wien gekramt, werden Fotos, Briefe und alte Schallplatten hervorgeholt. Die Erlebnisse während des Krieges haben die Protagonistinnen bis heute geprägt. „Gleich einer Wunde, die zwar verheilt, von der jedoch eine Narbe zurückbleibt“, meint eine der Protagonistinnen an einer Stelle im Film. Bei Interviews und Gesprächen lässt Mirjam Unger dann Raum für ein breites Spektrum an Themen, zu denen neben der schwierigen Flucht auch die amerikanische Politik, die Männer sowie das Leben im Allgemeinen gehören. Als Ergebnis entstehen keine abgeschlossenen Biografien einzelner Personen, sondern vielmehr ein Mosaik des Lebens einer Auswanderergeneration. Es ist nicht die erste Dokumentation, die über emigrierte Juden gedreht wurde, doch demonstriert diese lebendige Arbeit erneut, welch grundsätzlich positive Lebenseinstellung sich viele Emigranten trotz ihres Schicksals erhalten konnten.
In ähnlichem Alter wie die betagten New Yorkerinnen sind die Protagonisten des Dokumentarfilms Aus der Zeit. Sechs ältere Geschäftsbesitzer stehen kurz vor ihrem Ruhestand und der baldigen Schließung ihrer Betriebe, die sie so lange wie möglich hinauszuzögern versuchen. Die Geschäfte, darunter etwa ein Lederwarenladen und ein Knopfgeschäft, sowie auch ihre Besitzer sind Relikte einer schon vergangenen Zeit. Die Arbeits- und Lebensweise widerspricht allen Prinzipien heutiger, auf Gewinnmaximierung basierender Kosten-Nutzen-Rechungen. Wenn fünf Mal pro Tag ein Kunde den Laden betritt, dann ist dies weder wirtschaftlich noch effizient noch sonst irgendwie modern. Und doch ist es ein schönes Gefühl, den älteren Leuten in ihrem unzeitgemäßen Alltag zuzusehen. Mit Fortdauer des Films, fast beiläufig und wie von selbst, beginnen sie über ihr Leben zu erzählen. Es ergeben sich daraus auch keine vollständigen Lebensgeschichten, sondern Fragmente von Gedanken und Erinnerungen. Beim Rasieren resümiert etwa der Drogeriebesitzer im Schnelldurchlauf die Jahre seiner Kriegszeit. Während der Reparatur einer Tasche vergleicht die Betreiberin des Lederwarengeschäftes ihr langes Arbeitsleben mit dem eines Soldaten, der an der Front vergeblich auf Ablöse wartet. Lange, ruhende Kameraeinstellungen aus spannenden Blickwinkeln porträtieren dieses Leben mit einer ähnlichen Geduld, mit der auch die Protagonisten in einem Übermaß ausgestattet sind. Als Zuseher ist man verblüfft, was sich hinter den Türen jener Geschäfte verbirgt, an denen man selbst im Alltag so oft vorbeihastet. Und gar nicht bemerkt, wie eines nach dem anderen zugesperrt wird.
Aus der Zeit fallen auch schon die Nachkommen der Blumenkinder aus der 68er-Love & Peace-Generation. Es gibt sie nach wie vor, diese Leute, die jene alternativen Lebensmodelle ohne gesellschaftliche Zwänge weiter verfolgen. Ein Beispiel dafür ist eine Künstler-Community im sonnigen Malibu. Nach 1968 haben sich dort rund 70 Haushalte zusammengefunden, um nach ihren eigenen Vorstellungen ihr Leben zu gestalten. Das Ende dieser Idylle ist jedoch beschlossene Sache. Der Staat
Kalifornien wird diesen Landstrich zu einem Naturschutzgebiet umwidmen, was bedeutet, dass die gesamte Community aufgelöst und umgesiedelt wird. Zu diesem Zeitpunkt steigt die Dokumentation Malibu Song von Werner Hanak und Natlie Lettner ein. Aus einer Vielzahl von Interviews werden noch einmal die Ideen und Lebensphilosophien der einzelnen Bewohner zusammengetragen. Meist sind es Maler und Poeten, die allesamt eisern an ihren Idealen fest halten und damit gleichzeitig ihre fortgeschrittene Weltfremdheit zu Schau stellen.
„We are not born to be productive“ so einer der Bewohner. Die visuelle Umsetzung beschränkt sich auf eine einfache, dokumentarische Kameraführung ohne große gestalterische Finessen. Die grundsätzlichen Ideen der Hippiebewegung dürften auch inzwischen einer größeren Allgemeinheit bekannt sein, wodurch der Film erst dann echte Höhepunkte hat, als der Zeitpunkt des erzwungenen Umzugs immer näher rückt und die Bewohner sich tatsächlich damit konfrontieren müssen. Wie die Leute, die es sich in ihrer alternativen Lebensform gemütlich gemacht haben, mit dieser ungewohnten Situation umgehen, ist dann spannend anzusehen.
Im goldenen Käfig
Geschichten aus Konzentrationslagern der Nazis sind so häufig in Literatur und Film, dass man meint, schon alle zu kennen. Dass es immer noch unerhörte Stoffe zu erzählen gibt, beweist indes die österreichisch-deutsche Koproduktion Die Fälscher. Stefan Ruzowitzky inszenierte das „Unternehmen Bernhard“ der Fälscherwerkstatt im KZ Sachsenhausen, wo jüdische Häftlinge gezwungen wurden, für das Dritte Reich Pfund- und Dollarblüten herzustellen (mit dem Ziel, die Währung der Kriegsgegner zu ruinieren). Rund um den Profifälscher Salomon Sorowitsch entfaltet sich das Psychodrama einer Gruppe, die sich im „goldenen Käfig“ mitten im KZ zwischen Überlebenswillen und lebensgefährlicher Hinhaltetaktik reibt. Interessant an der (bei der Berlinale bereits weltweit vermarkteten) Produktion ist, dass ein lebensgieriger Opportunist abseits aller Opfer- und Heldenklischees im Zentrum steht. Als Zeitzeuge wurde der 90-jährige ehemalige Häftling Adolf Burger hinzugezogen (im Film: August Diehl). Burger konnte „den größten Blödsinn“ aus diversen Drehbuchfassungen entfernen – vielleicht mit ein Grund, warum Die Fälscher die Grenze zum konventionellen Unterhaltungskino nur streift, aber nicht überschreitet. (Roman Scheiber)