Roman Polanski versucht sich an der Adaption von Charles Dickens‘ Klassikers, verfängt sich dabei aber in seiner opulenten Bebilderung.
Der 1837 veröffentlichte Roman „Oliver Twist“ zählt zweifellos zur Weltliteratur. Der Waisenjunge Oliver flüchtet aus dem Arbeitshaus nach London, gerät in die Fänge des Gauners Fagin, der heimatlose Jugendliche als Taschendiebe einsetzt. Die Adaption literarischer Vorlagen wirft wie immer eine Reihe dramaturgischer und formaler Fragen auf. Roman Polanski wählte einen für einen Regisseur seiner Klasse überraschenden Zugang: Er bleibt so eng an der Romanvorlage, dass man sich vor allem zu Beginn des Eindrucks einer auf pure Bebilderung fokussierenden Inszenierung nicht erwehren kann. Polanski setzt auf die märchenhaften Elemente der Erzählung, gibt Dickens literarischen Blick auf das viktorianische London durch eine opulente Bildsprache wieder, übertreibt aber streckenweise und lässt sozialkritische Ansätze des Werkes so hinter aufwändigen Filmdekorationen verschwinden.
Zumindest Konsequenz kann man der Regie nicht absprechen. Der märchenhafte Grundtenor wird durch Abenteuer- und Fantasyelemente ergänzt, die durch eine durchgehend stringente Erzählstruktur effektiv zum Tragen kommen. Dass dabei jene Originalität und subtile Hintergründigkeiten, die die besten Arbeiten Polanskis (zuletzt bei The Pianist) stets auszeichneten, zu kurz kommt, bleibt bei aller Professionalität der „Oliver-Twist“-Adaption aber nicht verborgen.
Auch in der Charakterisierung seiner Figuren bleibt Polanski seiner Linie treu. Der märchenähnlichen Atmosphäre Rechnung tragend, weisen die Figuren solch eine Stereotypie auf, dass man dies nur als intendiert bezeichnen kann. Oliver Twist erscheint in Polanskis Version als die Verkörperung der reinen Unschuld (was Dickens Vorlage durchaus gerecht wird), während der Bösewicht Fagin als bösartig verschlagener Typus des Erzschurken, bis hin zur karikaturhaften Verzerrung, auftritt. Selbst ein Schauspieler vom Kaliber Ben Kingsleys kann es angesichts dieser Rolle nicht vermeiden, manchmal mit seinem Spiel ins Outrieren abzugleiten.
Das Kalkül dieser Inszenierung scheint in eine ganz bestimmte Richtung zu gehen: Ein jugendliches Publikum soll angesprochen werden. Insbesondere das von konventioneller Abenteuerfilm-Dramaturgie dominierte Schlussdrittel samt Happy-End sind hier stimmig. All’s Well That Ends Well, um einen anderen englischen Schriftsteller zu bemühen, wäre dann wohl das vorweihnachtliche Fazit des Films.