Den eigenen Doppelgänger zu treffen – damit verbindet man seit der Romantik nichts Gutes. Auch John Fawcett und Graeme Manson, Erfinder der kanadischen Serie „Orphan Black“, tun das nicht.
„Wouldn‘t it be cool if you saw yourself on a train platform and then you killed yourself?“ Mit dieser Frage von Erfinder, Regisseur und Produzent John Fawcett war 2003 die Idee zu Orphan Black geboren. Manson und Fawcett dachten dabei eigentlich an einen Kinofilm. Aber bald war klar: Die Story würde das Format sprengen. Zehn Jahre später war die Zeit reif, die Idee in Form einer frechen, flotten Serie umzusetzen.
Die 28-jährige Waise Sarah Manning (Tatiana Maslany) hat bisher nicht viel richtig gemacht. Sie lebt von kleinen Delikten und verschwindet immer wieder mal von der Bildfläche. Mit ihrer Pflegemutter Mrs. S. (Mary Doyle Kennedy) verbindet Sarah nur, dass diese sich um ihre kleine Tochter kümmert. Doch Sarah will neu anfangen. Sie hat Koks geklaut, um es selbst zu verkaufen und sich und ihrer Tochter ein neues Leben zu ermöglichen. Dass das keine gute Idee war, weiß sie selbst. Der Selbstmord einer Frau am Bahnhof bietet Sarah scheinbar zufällig die Gelegenheit, in eine andere Identität zu schlüpfen. Allerdings ähnelt ihr die Tote nicht nur, sondern sieht genauso aus wie Sarah. Ein Zwilling? Nein, die Tote war Polizistin, hieß Beth Childs, und bald stellt sich heraus: Sie war ein Klon. Und bald stellt sich des Weiteren heraus: Es gibt noch mehr von der Sorte, und jemand ist dabei, alle diese Klone zu eliminieren.
Um an Informationen zu gelangen, muss Sarah wieder und wieder die Identität der verschiedenen Klone annehmen. Gemeinsam mit Klon Alison – Typ Soccer-Mom – und Klon Cosima – Typ Wissenschaftsnerd – und mit ihrem schwulen Bruder Felix (Jordan Gavaris), versucht Sarah, etwas über ihren Ursprung herauszufinden. Doch die Wahrheit scheint sich immer wieder zu verschieben wie die kaleidoskopischen Muster im Intro von Orphan Black. Und die Identitäten der einzelnen Klone werden sich als brüchig erweisen.
Das Klonmotiv im Thrillermantel ist natürlich nicht neu. Man denke an die US-amerikanische Spionage-Action-Serie Alias – Die Agentin (2001-2006), nach einer Idee des Lost-Erfinders J.J. Abrams. Ständig wechselnde Identitäten und das Schicksal, für jedes gelöste Rätsel ein weiteres aufdecken zu müssen – so geht es auch Sarah Manning in Orphan Black. Und wie in Alias muss sich auch Sarah bald die Frage stellen: Wem kann ich trauen? In dem düsteren Science-Fiction-Thriller The Boys from Brazil (1978, mit Gregory Peck und Laurence Olivier) erschafft Josef Mengele 94 Hitlerklone und gibt diese auf der ganzen Welt zur Adoption frei.
Beinahe zwanzig Jahre ist es her, seit mit dem Schaf Dolly das erste Säugetier erfolgreich geklont wurde. Was die Anwendung von Klonierungstechniken auf den Menschen betrifft, so existieren weder auf der Ebene der Vereinten Nationen noch auf EU-Ebene konkret rechtsverbindliche Regelungen. Welche Auswirkungen menschliches Klonen auf den Status des menschlichen Individuums haben könnten, zeigt sich in Orphan Black zum Beispiel am Thema des Besitzanspruchs. Was bedeutet es, wenn nicht der Zufall der Ursprung des Lebens ist? Wem gehört ein Klon, wurde er doch nicht gezeugt, sondern erzeugt? Wenn er kein Individuum sein kann, ist er dann Eigentum mit Seriennummer? Bei der Erforschung ihrer DNA macht Cosima diesbezüglich eine erschreckende Entdeckung.
Was die Serie abgesehen von der spannenden Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten des Klonens auszeichnet, ist eine ordentliche Portion Humor in den durchwegs fein geschriebenen Dialogen. Vor allem Sarahs Bruder Felix, von Beginn an ihr Verbündeter, ist die Schlagfertigkeit in Person. Ein Hauch von „I don‘t give a shit“-Dekadenz umgibt Gavaris‘ Performance, gerade so viel, dass es nicht zu viel ist. „You know he is only nice about half the time. And he is kind of a bitch the other half“, sagt Gavaris über seine Figur. Bei seiner Interpretation soll er sich an Mick Jaggers Hüftschwung im Video „Dancing in the Streets“ mit David Bowie orientiert haben.
Any clone in the show could lead the series
Außergewöhnliches leistet Tatiana Maslany, die hier gleich mehrere Hauptrollen spielt. Ihr ist es zu verdanken, dass man sich ungefähr in der Mitte der ersten Season fragt, ob es sich bei den Klonen nicht vielleicht doch um verschiedene Menschen handelt. So sehr man anfangs beispielsweise Klon Alison als anders geschminkte Variation von Sarah sehen mag, so sehr verändert die jeweilige Interpretation Tatiana Maslanys bald den Blick auf sie und die anderen Klone. Ihre Gestik und Mimik, ihre Bewegungen und sprachlichen Ausdrucksformen sind völlig unterschiedlich. „They feel like different people with different life goals and different upbringings and worldviews“, meint Maslany über ihre Klonfiguren. Und tatsächlich sind auch Klone nicht über Standesdünkel erhaben. So will Vorstadtkönigin Alison zunächst nicht viel mit dem Punk Sarah zu tun haben. Und keiner von ihnen will etwas mit dem psychotischen Killerklon Helena zu tun haben, die von sich selbst denkt, sie sei das Original.
Schauspielkunst ist Knochenarbeit. Um sich besser in die verschiedenen Figuren einfühlen zu können, hat sich Maslany etwas ausgedacht: „I worked with dance a lot, for each character – different ways I could move my body, different music.“ Besonders schwierig gestalten sich jene Drehs, in denen die Klone in einem Raum interagieren. Nicht nur für sie, sondern für das gesamte Drehteam eine Herausforderung. – Creator Fawcett spricht von einem sehr zeitaufwändigen Prozess des Drehens. Hier, so Maslany, habe ihr die Improvisationstechnik aus der Theaterarbeit geholfen. „I think the improv also helps with imagination of dealing this person across me from me who‘s not physically there.“ Maslany steht außerdem ein „continuity team“ zur Seite, das verhindern soll, die verschiedenen Charaktere zu vermischen.
Rund um Orphan Black hat sich übrigens eine sehr leidenschaftliche Fangemeinde gebildet. Auf der Comic-Con 2014 schenkten die Fans Darstellern und Crew eine Matrjoschka-Holzpuppe, bemalt mit den Gesichtern der Tatiana-Maslany-Klone. Eine Puppe in der Puppe in der Puppe … Keine schlechte Idee!