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Nicolas Winding Refn

Only God Forgives | Interview

Buh-Rufe sind ein Kompliment

| Dieter Oßwald |

Für Drive wurde er 2011 in Cannes als bester Regisseur ausgezeichnet. Diesmal gab es für Nicolas Winding Refn ein Buh-Konzert, denn die Gewalt in seinem Rache-Drama Only God Forgives ist reichlich deftig. Für ihn ist die Ablehnung durch die Kritiker aber kein Problem, ganz im Gegenteil.

Einmal mehr provozieren Sie mit schockierenden Gewaltszenen. Gibt es eine Grenze bei der Darstellung?
Nicolas Winding Refn: Ich weiß es nicht. Darüber denke ich nicht nach.

Wenn Sie zeigen, wie Augen zerschnitten werden oder dem Opfer ein Messer ins Ohr gestochen wird, ist das für Sie also noch nicht das Ende der Palette?
Vermutlich nicht. Ich habe jedenfalls keine Liste, auf der stünde, wie weit ich gehen werde. Das wäre ja so, als würde man einem Maler vorschreiben, kein Rot mehr zu benutzen oder ihm das Blau zu verbieten.

Was hat es mit Ihrer Vorliebe für Gewalt denn auf sich?
Es ist wie bei jedem Fetisch: Man inszeniert das, was man gerne sehen will.

Nicht alle wollten das gern sehen, in Cannes gab es ein lautstarkes Buh-Konzert für Ihre Gewaltorgie. Was sagen Sie zu der Ablehnung?
Die Buh-Rufe nehme ich als großes Kompliment, schließlich deutet das darauf hin, dass mein Film die Zuschauer wirklich zu bewegen scheint. Ich muss also ziemlich gut sein in dem, was ich mache.

Wie ist Ihr Verhältnis zur realen Gewalt? Wie reagieren Sie, wenn Sie etwa Zeuge einer Schlägerei werden?
Ich habe vor allem Angst, was gefährlich ist. Ich fürchte mich vor möglichen Schmerzen. Wenn ich reale Gewalt sehe, werde ich regelrecht depressiv. Wenn ich von neuen Gräueltaten in Syrien lese, brauche ich Tage, um mich davon zu erholen. Würde ich Zeuge einer Schlägerei, täte ich mein Bestes, um das zu beenden. Aus Gewalt ist noch nie etwas Gutes entstanden.

Stimmt es, dass Ihr Hauptdarsteller Ryan Gosling nur der Ersatzmann in diesem Film war?
Stimmt, ursprünglich hatte ich einen anderen Schauspieler für die Rolle vorgesehen, aber der sprang kurzfristig ab, und so stand ich mit einem fertigen Drehplan, aber plötzlich ohne Hauptdarsteller da. Also habe ich Ryan gefragt und ich bin froh, dass er zugesagt hat. Ryan bietet tausendmal mehr als ich erhofft hatte. Ich danke Gott, dass der andere Darsteller ausgefallen und Ryan eingesprungen ist.

Warum haben Sie den Helden zum Muttersöhnchen gemacht?
Die Beziehung von Mutter und Sohn bietet den Stoff für großartiges Drama und ist immer aktuell. Jeder kennt diesen ständigen Kampf, weil wir alle davon betroffen sind. Diese Ebene macht den Film sehr zugänglich, zugleich gibt es dazu natürlich auch noch eine überhöhte Realität.

Wie sehr sind Sie bei Ihrem visuellen Stil von David Lynch oder Quentin Tarantino beeinflusst?
Wir alle sind ständig von anderen Leuten beeinflusst, auch einem Lynch und Tarantino ergeht das so. Für mich war für diesen Film aber der Regisseur Richard Kern (Fingered) eine große Inspiration.

Man könnte auch Einflüsse der griechischen Mythologie erkennen …
Auf alle Fälle. Wobei wir diese klassische Konstellation bewusst in eine asiatische Umgebung versetzen, weil in dieser Kultur die Verbindung zwischen Wirklichkeit und Phantasie viel eher akzeptiert ist als in Europa. Diese Haltung, nicht alles bis aufs letzte verstehen und erklären zu wollen, finde ich sehr erfrischend.

Steckt nicht auch ein bisschen etwas von Shakespeares Hamlet in Ihrem Helden?
Die Verwandtschaft gibt es durchaus, schließlich war Hamlet ebenfalls ein Schlafwandler. Deren Schicksal besteht darin, sich im Schlaf zu bewegen. Erwachen können sie erst, wenn ihr Fluch von ihnen genommen ist. Das Dilemma besteht darin, dass sie diesen Fluch selbst gar nicht erkennen.

Warum sind Sie bei den Dialogen so auffallend sparsam?
Es gibt schon viel zu viele Filme mit viel zu vielen Dialogen, die alles erklären wollen. Mir ist das Schweigen lieber, weil es dem Zuschauer weitaus größere Chancen bietet, die Dinge für sich selbst zu interpretieren. Er soll sich nicht passiv zurücklehnen, sondern aktiv am Film teilnehmen. Durch die Beteiligung des Zuschauers wird Kino doch erst interessant – auch wenn manche im Publikum das gar nicht mehr gewöhnt sind und zunächst überfordert reagieren.

Die böse Frau Mama macht sich über die Geschlechtsteile ihrer Kinder lustig. Wie kommt man auf solche Ideen?
Wir haben einfach überlegt, was die größte Beleidigung einer Mutter für ihren Sohn sein könnte und wie sie seine Männlichkeit am meisten demütigen kann – und da kamen wir irgendwann auf die Idee mit dem Größenvergleich des Geschlechtsteils. (Lacht.)

Weshalb tritt der knallharte Cop als Schnulzensänger in einer Karaoke-Bar auf?
Ich habe Karaoke schon immer gehasst, weil das bei uns im Westen eine völlige Kitschnummer ist. In Asien hingegen ist das ein ganz großes Ereignis. Bei der Motivsuche in Bangkok fielen mir in Chinatown diese zahllosen Karaoke-Bars auf, die rund um die Uhr geöffnet sind. Für mich war das ein ganz extremes Erlebnis, weil es so absolut nichts mit meiner eigenen Welt zu tun hat.

Wie in Drive erscheint Ryan Gosling auch in Only God Forgives wie die Inkarnation von Coolness – wie groß ist Ihr Anteil an diesem Image?
Ryan kam schon cool auf die Welt, da musste ich nicht viel machen. Dasselbe gilt für einen Schauspieler wie Mads Mikkelsen, mit dem ich gern wieder einen Film drehen möchte. Diese Typen besitzen genau jenes Charisma, aus dem Filmstars gemacht sind: Man schaut sie einfach verdammt gern an!

Und wie cool sind Sie selbst?
Ich bin der Coolste von allen! (Lacht.)