Ein komplexer, schöner und langsamer Trip, der den großen Saal verlangt
In atmosphärisch bezaubernden Szenerien auf Tahiti, der bevölkerungsreichsten Insel des Überseegebiets Französisch-Polynesien, entfaltet sich ein in vielen Sinnen unvergleichbarer Polit-Krimi: Die Bedrohung, die an den Hochkommissar Frankreichs De Roller herangetragen wird, ist unsichtbar – angebliche Unterwasseraktivitäten sollen auf neuerliche Atomtests in der Region hindeuten. Das kommende Unheil legt sich wie ein ätherischer Schleier über die Insel, auf der De Roller, ein eleganter wie rätselhafter Sonnenbrillenträger zwischen coolem Kumpel und Neo-Kolonialherr das Sagen hat. Dieser indes lässt sich in Folge ebenso wenig in die Karten blicken wie seine Interessenskonkurrenten, sucht seine diversen guten Kontakte auf, führt Gespräch um Gespräch, verliert sich auch in eigenen Gedankensphären. Halt findet er in diesem Irrgarten scheinbar einzig in der nicht minder geheimnisvollen Shannah.
Es brodelt spürbar in der polynesischen Idylle, die Albert Serra nicht exotisch-voyeuristisch, sondern als selbstbewussten Fiebertraum anlegt, mit jeder neuen Einstellung darauf bedacht, tiefer in Psychen einzudringen, dabei aber umso weniger klar verständlich zu machen. Das Ergebnis ist betörendes Unbehagen, wobei Serras Lust am Enigmatischen nie selbstgefällige Berechnung ist, sondern einem klaren System folgt; sei es durch die sehr spezielle Art, seinen Hauptdarsteller Benoît Magimel – der u. a. vor zwei Jahrzehnten als Schüler Isabelle Hupperts/Erika Kohuts in Die Klavierspielerin glänzte – mit Regieanweisungen direkt ins Ohr zur Höchstleistung zu bringen oder das simultane Filmen mit drei Kameras. Weil das Intuitive trotz allen Perfektionswillens nie verloren geht, entsteht ein Film-Erfahren, das man so schlichtweg kaum findet. Wer sich darauf einlässt, dass nicht jeder aufkommende Handlungsfaden konventionell weiterverfolgt wird und einige der üblichen eigenen Sehgewohnheiten temporär abstellen kann, wird von Pacifiction mit einer schlafwandlerischen Gangsterfilm-Dekonstruktion belohnt. Weil Hochkommissar De Roller nicht nur in dem plötzlich auf dem Festland erscheinenden Kapitän einen Gegenspieler hat, sondern die Zustände im „Paradies“ auch so manchen Inselbewohner zum Aufbegehren inspirieren, schwingt in Serras neuem Film auch eine – natürlich nicht vollends offengelegte – politische Brisanz mit. Dies am deutlichsten und gleichzeitig seltsam tragikomisch dann, wenn der schrullige Haute-Commissaire sich akribisch und gar liebevoll einer „volkstümlichen“ Choreografie annimmt, die wohl touristischen Gästen zum Besten gegeben werden soll.