Auch phantasierte Monster können Realität beanspruchen.
Wiebke hat einen Reiterhof in der Provinz aufgebaut; der beginnt zu florieren, als mit der berittenen Polizei quasi ein Großkunde ihre Dienste in Anspruch nimmt. Eine Pferdestaffel soll das Stresstraining auf ihrem Hof absolvieren, im Zuge dessen stellt sich eines der Tiere als „Steiger“ heraus, also als wenig belastbar. Zur gleichen Zeit adoptiert Wiebke – zusätzlich zu ihrer Adoptivtochter Nikolina, die bereits zur Schule geht – die fünfjährige Raja. Sie holt sie aus Bulgarien, wo einer berufstätigen, alleinerziehenden Frau im Unterschied zu Deutschland eine Adoption gestattet ist. Raja nun sieht mit ihren blonden Zöpfen zwar auf den ersten Blick recht herzig aus, entpuppt sich jedoch rasch als veritabler Teufel – wobei unklar bleibt, wie wörtlich das zu nehmen ist.
Was ein Systemsprenger ist, das hat uns zu Beginn des vergangenen Jahres Nora Fingscheidt mit ihrem gleichnamigen Film beigebracht. Katrin Gebbe (Interview), die mit Pelikanblut ebenfalls ein eigenes Drehbuch inszeniert, scheint diese soziologische Gestalt in der frühkindlich traumatisierten Raja aufzugreifen. Wo aber Fingscheidt am Beispiel der neunjährigen Benni eine Institutionentragödie erzählte, setzt Gebbe die Figur des nicht mehr handhabbaren „bösen“ Kindes in einem Genrekontext ein. Pelikanblut beginnt als Familiendrama und wuchert sodann entschlossen in Richtung Horrorfilm aus – ohne dabei den Boden des psychologisch Plausiblen zu verlassen. Dergestalt, dass sogar die Zuflucht zum Irrationalen, die die Figuren schließlich nehmen, innerhalb des etablierten Wahnsystems begründbar scheint. Manchmal muss man den Teufel eben mit dem Beelzebub austreiben.
Das Schicksal des durchgehenden Gauls fungiert hier als Parallelerzählung. Ein in Panik versetztes Lebewesen lässt sich so leicht nicht wieder beruhigen. Doch während der Umgang mit Pferden den sogenannten „Gnadenschuss“ kennt, werden Menschen, die sich partout nicht eingliedern lassen/wollen, eben weggesperrt. Dass Wiebke sich dagegen sperrt, hat wiederum mit einer eigenen Gewalterfahrung zu tun, von der die Narbe in ihrem Gesicht zeugt, über die sie jedoch nicht spricht. Mit Nina Hoss, die die rätselvolle Mischung von harter Kontrolle und bar liegendem Gefühl traumsicher beherrscht, ist Wiebke ideal besetzt. Hoss verkörpert das Unergründliche, das, worüber geschwiegen werden muss, weil der Zauber sonst nicht wirkt – und allein ihre sture Präsenz sichert dem, was nicht sein darf, die Existenz.