Christian Petzold, Ausnahmekönner des deutschen Kinos, erläutert die Hintergründe seines Trümmer-Melodrams „Phoenix“.
Bald befällt einen das Gefühl, das etwas grundlegend nicht stimmt in diesem Film. Kann ein Mann seine Ehefrau wirklich nicht wiedererkennen, weil sie sich einer Gesichtsoperation unterziehen musste? Könnte er nicht ihre Augen erkennen, ihre Hände, ihre Figur, ihren Geruch? Dieser kann nicht, und es mag der besonderen Situation geschuldet sein, in der die beiden sich befinden: Sie, nach Kriegsende mit zerschossenem Gesicht aus einem Konzentrationslager nach Berlin zurückgekehrt, findet ihren Johnny in einem Lokal mit dem makabren Namen Phoenix. Doch er, der sie an die Gestapo verraten haben soll, sieht in ihr nur eine Doppelgängerin seiner tot geglaubten Nelly und fasst sofort den Entschluss, mit ihrer Hilfe an Nellys Erbe heranzukommen. Sie spielt mit, weil sie ihn liebt und ihr altes Leben zurück will. Er scheint durch den Krieg blind geworden zu sein. Ein Training beginnt, an deren Ende Nelly in rotem Kleid und Pariser Schuhen für die verbliebenen Freunde ihre eigene, unversehrte Rückkehr aus dem Lager fingieren soll.
Nina Hoss und Ronald Zehrfeld, die schon in Christian Petzolds schönem, preisgekröntem Drama Barbara ein Paar bildeten, tun sich sichtlich schwer mit diesem Spiel im Spiel. Je länger man ihnen zuschaut, desto drängender stellt sich die Frage, was zwei der profiliertesten Filmemacher Deutschlands, Petzold und sein kürzlich verstorbener Ko-Autor Harun Farocki, mit ihrer unmöglichen Liebesgeschichte im Grunde erzählen wollten. Vertigo in Trümmerberlin? In einem von Petzolds Lieblingsfilmen verlor sich Jimmy Stewarts Figur, ähnlich verblendet wie Johnny, in einer ebenfalls identitätsbrüchigen Dreiecksgeschichte mit einer scheinbar Toten und deren Inkarnation, hatte aber ganz andere Schuldgefühle und unterlag dem Hitchock’schen Suspense-Zwang. Oder eine Hommage an die Hollywood-Noirs und Cinemascope-Melodramen von Exildeutschen wie Robert Siodmak und Douglas Sirk? Die kontrastreiche, haptische 35mm-Ästhetik des Films und seine narrativen wie stilistischen Nachtschatten fühlen sich zwar so an, als könnte jederzeit Humphrey Bogart um die Ecke biegen. Doch die einzige Figur, die den Zweifel des Zuschauers an der Geschichte zu teilen scheint, gerät schon bald aus dem Blickfeld.
Genre-Anspielungen sind eine Konstante im bisherigen Schaffen Petzolds, ebenso wie weibliche Phantom-Existenzen. Hier aber sollen diese Elemente offenbar eine „unerzählbare“ Geschichte erzählbar machen. Auch Phoenix sieht sich – wie jeder ernst gemeinte Spielfilm über Holocaust, Schuld und Verdrängung – dem Problem gegenüber, dass die zugrunde liegende Realität jede Fiktionalisierung verblassen lässt. Sinn ergibt Petzolds historisches Melodram im Grunde nur, wenn man es im Ganzen als Allegorie auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft begreift. Eine liebesfähige KZ-Überlebende, die zu sich selbst zurückfinden will, kann für andere nichts anderes als ein Gespenst sein, und wenn sie noch so echt wirkt: Sie ist der sinnbildliche Rückspiegel eines herzlosen Systems, das selbst so unfassbar war wie ein Gespenst und doch so schmerzhaft real. Doch sie ist eben ein Rückspiegel, in den niemand schauen will.
Vielleicht ist ja Petzolds Form einer paradoxen Geistergeschichte tatsächlich die einzig mögliche, in der über das innere Vakuum erzählt werden kann, das ein Vernichtungsregime hinterlässt. Wenn Nelly in der effektvollen Schluss-Szene, von Johnny am Klavier begleitet, „Speak low“ von Kurt Weill auf gespenstisch lebendige Weise interpretiert, frieren jedenfalls allen überlebenden Verdrängern regelrecht die Gesichter ein.
In Ihren Filmen verschränken Sie Liebe immer mit Politik, einer geschichtlichen oder sozialen. Warum?
Ich habe mir einmal wirklich so etwas wie einen Plan gemacht, Ende der 1990er Jahre war das, um den nächsten Jahren Struktur zu geben. Ich sagte mir, ich drehe eine Trilogie, die „Gespenster“ heißen wird, und eine Trilogie, die ich „Liebe in Unterdrückungssystemen“ nenne. In Phoenix steckt beides, glaube ich. Es ist ein Film über ein politisch und moralisch hergestelltes Gespenst, und es ist gleichzeitig der fast schon mythologische Versuch, Liebe durch ein Unterdrückungssystem hinweg zu retten.
Dem Film liegt ja der Roman „Le Retour des cendres“ von Hubert Monteilhet zu Grunde …
Ja, aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn der entscheidende Text war ein anderer. Nämlich „Ein Liebesversuch“ von Alexander Kluge, eine Kurzgeschichte, die er 1962 schrieb und die im Vorfeld zu den Frankfurter Auschwitzprozessen erschien. Darin geht es um die fiktive Befragung einer Gruppe von Ärzten, die Experimente an KZ-Häftlingen durchgeführt haben. Die Ärzte wollen testen, ob die Sterilisation durch Röntgenbestrahlung erfolgreich war und wollen deshalb, dass eine Frau noch einmal beschlafen wird. Sie finden heraus, dass die Frau leidenschaftlich in einen Juden verliebt war und der Mann noch am Leben ist. Also bringen sie beide in eine Zelle, damit sie miteinander schlafen. Nichts passiert. So versuchen Ärzte und Wachpersonal, die Liebe von außen zu erzeugen: Champagner, Kerzen, rotes Licht, sie spritzen die beiden Häftlinge mit kaltem Wasser ab, damit das Wärmebedürfnis sie zueinander treibt. Nach einer Woche geben die Ärzte auf, die Versuchspersonen werden erschossen. Alle Schauspieler haben den Text für Phoenix gelesen.
In der Vorbereitung auf Ihre Filme bringen Sie die Schauspieler auch vorab an die Drehorte, zu den Kulissen – um sie zu sensibilisieren?
Ja, durchaus, aber auch mich selber, um ein Gefühl für alles zu bekommen, für diesen Geschichtsraum, in dem wir uns befinden sollen, in dem noch die Aura herrscht von dem, was einmal war. Deswegen bauen wir ganze Wohnungen original nach und achten auf alle Details. Wenn eine Schauspielerin dann barfuß über das Parkett geht, knarrt es, und wir wissen, dass es nach altem Bienenwachs riecht. Das ist eine Sinnlichkeit, die ich wichtig finde, wenn man mit Geschichte umgeht. Dass man sie spürt, körperlich, als fühlte man einen Atem.
Auch Farben spielen dabei eine große Rolle. Auffallenderweise ist der Keller in Phoenix, in dem Nelly wiederauferstehen soll, nicht dunkel oder modrig, sondern hell, aufgeräumt und klar.
Auch früher hatten sie ja Farben, das vergisst man in der distanzierten Ignoranz der Gegenwart, mit der man auf Geschichte blickt, ja oft. Gerade so, als möchte man die Vergangenheit in einen Schaukasten packen, als ob sie uns nichts mehr anginge und das keine echten Menschen waren und alles ist immer in Schwarzweiß. Mein Vater erzählte mir mal, dass der Sommer 1945 der glücklichste seiner Kindheit war. Er hat in den Kriegstrümmern Glück empfunden, weil sie für ihn als Achtjährigen ein Spielplatz waren. Es gab keine Schule, keine Polizisten – das ist doch ein Kinderparadies. Für Phoenix wollte ich, dass das Licht luftig ist. Offene Fenster, durch die der Lärm und das Getrappel der Stadt zu hören sind, so dass man merkt, dass das Leben weitergeht nach der Katastrophe. Denn ein Gespenst wird erst dann zum Gespenst, wenn es von Leben umgeben ist. Wenn alles gespenstisch ist, scheint nichts mehr gespenstisch.
In Phoenix tun alle so, als wäre nach dem Krieg alles schon wieder gut.
In diesem Sinne ist das auch kein Trümmerfilm, und diese Bezeichnung finde ich sowieso seltsam. Die Trümmer sind ja schon negiert. Alle tun tatsächlich so, als gäbe es schon wieder Geld, und die Amerikaner sind da, und man hat Musik, man tanzt, man hat Spaß. Die einzigen Trümmer in dem Film sind ja sie selber. Die, die ihr Trümmersein verdrängt haben, reden nicht darüber. Nelly aber will zurück in der Zeit sein.
„Niemand wird sich für deine Geschichte interessieren“, erklärt Johnny Nelly immer wieder. Das ist ein wirklich erschreckender Satz.
Als wir diese Szene in dem Keller gedreht haben und Ronald Zehrfeld das so sagt, da haben wir alle einen Schock bekommen. Es wurde uns plötzlich klar: Ja, genau so ist es. Niemand interessiert sich für die. Die Menschen wollen leben, die wollen nichts mehr von den Todes-Geschichten hören, die wollen sie nicht einmal wahrnehmen. Das ist gruselig. Wahr ist aber auch, dass wir das ja alle nicht hören wollen. Zudem ist Nelly eine ambivalente Figur. Die Menschen wollen auch deswegen nichts mit ihr zu tun haben, weil sie an ihrer Beschädigung beteiligt waren. Diese Beschädigung überhaupt wahrzunehmen wäre schon so etwas wie ein Eingeständnis von Schuld. Das ist auch typisch Deutsch: Wir bezahlen für Israel, verlieren darüber aber kein Wort. Eine klassische Schmerzensgeld-Lösung, der Versuch, etwas aus der Welt zu schaffen, indem man es bezahlt. Es gibt aber keine Währung, die Schmerzen und Traumata tilgen kann. Das Kino kann Beteiligten dabei helfen, sich gegen die Übergabe eines Schmerzensgeldes zu wehren.
Warum zeigen Sie das Gesicht von Nelly nie, wie es zerstört aussieht?
Voriges Jahr ist von Hans Belting ein Text erschienen mit dem Titel „Faces“, darin schreibt er: „Gesichtsverlust ist Gesellschaftsverlust.“ Ohne dein Gesicht bist du nichts. Niemand kann in dir etwas lesen, du bist ohne Persönlichkeit. Ich wollte aber nicht damit anfangen, ein verlorenes Paradies zu zeigen, das machen Filme viel zu oft. Den Urzustand zu bewerben, über den die Protagonisten sagen: „Dahin möchte ich zurück.“ Man kann den Urzustand nie rekonstruiere. Warum soll ich das in meinem Film versuchen. Kino ist Gegenwart und das, was in diese Gegenwart hineinragt, das was wir spüren, unsere Wünsche, Sentimentalitäten. Es gibt für Nelly keinen idyllischen Ort, sondern der Ort ist sie selbst. Sie will werden, und ihr Wille und ihr Begehren sind das Zentrum.
Nelly ist wie ein Zahnrädchen, das hakt. In all Ihren Filmen stehen solche Menschen, vor allem widerständige Frauen im Mittelpunkt – warum?
Mich interessiert es, wenn etwas nicht passt. Ich bin in einer Reihenhaussiedlung aufgewachsen. Alles gleichförmig, alles funktioniert, das Heizöl wird gemeinsam bestellt, um Geld zu sparen, die Nachbarn stutzen einander die Hecken und streichen im Frühling ihre Zäune. Zu erzählen gab es nichts. Eines Tages kam ein Vertreter für Konfitüre in die Siedlung und nur drei Häuser weiter ist eine Frau mit ihm durchgebrannt, einfach so, über Nacht. Das kam mir wie Kino vor, die gesammelte Heizöl-Bestellung dagegen so, als hätte man Angst, ins Kino zu gehen. Das Kino ist doch der Ort, wo Leute plötzlich in ein fremdes Auto steigen. Wo sie sagen: Ich habe genug. Nelly könnte auch zu Johnny sagen: „Ich bin es“, und ihm alles erklären, ganz naturalistisch. Aber damit würde sie ihn verlieren. Es ist so ähnlich, wie wenn man sich verliebt und man erwartet, dass der andere zu einem irgendwann sagt: „Ich liebe dich“, er das aber nicht tut. Dann fragt man: „Liebst du mich denn?“, und damit ist die Liebe meistens auch schon erledigt. Die Frage ist eine Nötigung. Nelly will erkannt werden, nicht mehr, vor allem aber nicht weniger.
Nicht nur darin erinnert dieser Film stark an Alfred Hitchcocks Vertigo. Ist das eine bewusste Referenz?
Vertigo ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Den trage ich in mir, mit mir herum. Klar ist dieser Film das Größte, das je gedreht worden ist, aber ich frage mich auch: Ist Vertigo nicht zu pervers? Es geht um vertauschte Frauen, um das Pygmalion-Thema, eine Frau zu modellieren, um männliche Projektionen und Neurosen. Ich möchte natürlich nicht jeden Tag damit verbringen, platinblonden Frauen nachzulaufen.
Der Einfluss des amerikanischen Kinos ist in diesem Film sehr groß …
… und was ist das für ein fantastisches Licht! Dieses Licht Hollywoods aus der Zeit zwischen 1940 und 1944 ist ja von deutschen Exilanten gemacht. Was sind das für Abgründe, das ist einfach großartig. Im Film noir stecken immense Erfahrungen von deutschen Exilregisseuren – sie waren oft jüdischer Herkunft oder Linke. In der Vorbereitung haben wir viele Filme angeschaut, zum Beispiel Out of the Past von Jacques Tourneur. Da haben die Augen von Jane Greer und die Augen von Robert Mitchum immer zwei Lichter bekommen und dadurch wurden sie wässrig und tief, wie kleine Seen. Dieses Hell-Dunkel, zwei, die nicht mehr dazu gehören, ein unmögliches Liebespaar auf der Flucht. Sie hintergehen und belügen einander die ganze Zeit, sie erschießen einander sogar. Aber in diesen Augen, da liegt diese Sehnsucht nach unschuldiger Liebe. Das wollte ich auch so machen.
Der Noir als Kino der Nacht, und Nelly fast wie ein Gespenst in der Dunkelheit …
Ganz genau. Ich finde es interessant, wenn man Orte bei Nacht filmt, das belegt alles mit einem Fluch, irgendwie. Nellys Sehnsucht treibt sie in die Nacht, am Tag schläft sie, und auch er arbeitet nachts und schläft tagsüber. Sie sind Menschen der Nacht, sie sind wie verflucht.
Sie haben mit Ihrem Freund Harun Farocki das Drehbuch geschrieben, nach Motiven von Hubert Monteilhets Roman „Le Retour des cendres“, der in Tagebuchform verfasst ist. Was waren die Schwierigkeiten bei der Umsetzung?
Im Roman kann die aus Auschwitz zurückkommende Heldin über sich selbst berichten. Wir haben das gelesen und konnten uns nicht vorstellen, dass Johnnys Ehefrau einen Briefroman schreibt. Wir dachten: Wo ist das deutsche Bürgertum? Na klar, die haben doch ihre Seele an den Nationalsozialismus verkauft. Wie sollte diese Geschichte aber im schicken Bungalow eines VW-Managers stattfinden? Als Harun und ich dann begannen, das Drehbuch zu schreiben, haben wir alle Heimkehrerfilme einfließen lassen, von denen es in Deutschland nicht viele gibt: Der Verlorene mit Peter Lorre etwa, oder auch Deutschland im Jahre Null von Rossellini.
Und das Material des ersten Drehtags, heißt es, hätten Sie danach sofort wieder weggeschmissen. Warum?
Das habe ich auch bei Barbara und bei Yella gemacht. Hm, wenn das jetzt ein Produzent liest, wird mir in Zukunft der erste Drehtag verboten. Für mich ist der aber notwendig. Bei Phoenix hatten wir am ersten Tag die Erschießung von Nelly gedreht, die sie aber überlebt. Ich hatte das Gefühl, das wird ganz toll, wir arbeiten von Barbara direkt weiter. Das Licht war großartig, die Atmosphäre perfekt, ganz still, keine Flugzeuge. Da hatte ich einen ganz klaren Blick, perfekt. Dann sah ich überall die KZ-Kleidung der Erschossenen, und ich bemerkte: Verdammt, das ist genau das, was ich nie wollte. Ich wollte nie sagen: „Komparsen in Wehrmachtsuniform! Jetzt Genickschuss im Gegenlicht!“ Das war ein Moment wie im Reichsbunker. Völlig unbrauchbar. Es gibt einfach keine Ordnung für das Erzählen des Holocausts. Jeder Versuch ist perfide. Dem Ausgelöschten kannst du nicht einfach ein Bild geben.
Heißt das, Sie erlegen sich ein gewisses Bilderverbot auf?
Das ist einfach da. Man kann gewisse Dinge nicht nachempfinden, und sie zu zeigen würde nur Empörung auslösen. Das ist obszön. Baudrillard hat einmal gesagt, Obszönität bedeutet eigentlich, keinen Erzählraum zu haben. Wie Porno. Das ist ja auch keine Erzählung, sondern einfach Metzgerei. So eine Obszönität steckt auch in nachgestellten Nazi-Szenen. Da ist nur die Empörung da.
Kann man denn einen Krimi-Plot mit einer Holocaust-Geschichte verbinden?
Ich liebe Krimis, weil sie sich für einen Moment der Illusion ergeben, alles könnte wieder in Ordnung kommen. Krimis beginnen, wenn eine Tat geschehen ist und die Nachkriegs- und Schwarzmarktzeit ist ja die Krimizeit. Wenn wir das nicht zusammendenken können, dann nur, weil wir darauf abgerichtet wurden, das nicht zu tun. Hätte die Kriminalgeschichte bei Phoenix gesiegt, fände ich das miserabel. Weder die Kriminalgeschichte noch die Liebesgeschichte führen aber letztlich zu einer Lösung.
Über Phoenix sagten Sie, Sie wollten herausfinden, ob man 1945 erzählen kann wie ein Melodram von Douglas Sirk.
Das Tolle an Sirk ist, dass in dem Moment, da etwas zu Ende geht, noch einmal die ganze Grandezza dessen zum Vorschein kommt, was eigentlich vorher da war. So etwas wollte ich im finalen Moment bei Phoenix auch erzielen. Diesen Moment einer ewigen und elendigen Trennung, in dem man gleichzeitig aber auch ganz deutlich spürt, wie tief die Liebe zwischen diesen beiden Menschen gewesen ist, wie leidenschaftlich sie gewesen sein muss. Das hat so eine Intensität und das mag ich am Kino: Im Moment des Erscheinens ist auch schon das Erlöschen inbegriffen.
Ein „unhappy happy end“ also, wie es Sirk für das Melodram definierte?
Absolut. In allen guten Filmen gibt es ein „unhappy happy end“. Ein Abschluss und doch eine Weiterführung.
Am Ende des Films singt Nelly das Lied „Speak Low“ von Kurt Weill. Wie sind Sie darauf gekommen?
Das Lied ist 1943 entstanden und drückt so eine Sehnsucht aus. Den Traum von einer anderen Welt. Um mich durch den Film durchzuhangeln, um nicht Monate lang deprimiert zu sein, sondern weil ich auch Spaß am Leben haben muss, habe ich begonnen, über Kurt Weill zu recherchieren. Da haben wir festgestellt, dass er das Lied für ein Musical geschrieben hat, das später mit Ava Gardner verfilmt worden ist: Venus macht Seitensprüge hieß der Film, und darin geht es wieder um das Pygmalion-Thema. Irgendein Idiot will eine Frau heiraten und kauft zwei Ringe. Dann verabredet er sich mit ihr in einem Museum, ist aber zu früh da und steckt zur Probe einen der Ringe der steinernen Venus-Statue an, die dort steht. Plötzlich wird die zu einem Menschen, weil er sie gerade von einem Fluch befreit hat und sie verliebt sich sofort in den Trottel, seine Angebetete wird zu Stein. Nach ein paar Monaten Beziehung mit ihm merkt sie aber auch, dass er ein Trottel ist und entscheidet sich, auch wieder zu Stein zu werden. In jenem Moment, als sie sich wieder auf den Sockel im Museum stellt, singt sie dieses Lied „Speak Low“. Hier ensteht auch so ein Grandezza-Moment der Erinnerung: Der Moment, in dem sie Mensch wurde, war der Moment der Liebe und die versteinerte Frau sehnt sich nach diesem Moment zurück.
In dieser Hinsicht ist Phoenix auch eine Ménage-à-trois, zwischen zwei Nellys und Johnny.
Vielleicht sogar eine Quadriga, weil auch er längst nicht mehr derselbe ist.