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Quantum of solace – Der ewige Breite

Der ewige Breite

| Jörg Schiffauer |

Seit mehr als vier Jahrzehnten zählt die James Bond-Reihe zu den ertragreichsten Cash Cows der Filmindustrie. Der nächste Einsatz des Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten,„Quantum of Solace“, wird diese Tradition mit Sicherheit fortsetzen. Die literarische Vorlage ist jedoch mittlerweile ziemlich in Vergessenheit geraten. Zeit also für eine Spurensuche.

Ein junger, etwas schüchterner Mann namens Philip Masters tritt seinen Dienst als Beamter in der britischen Kolonie Nassau auf den Bahamas an. Auf dem Flug dorthin verliebt er sich in eine Stewardess, die er vom Fleck weg heiratet. Doch obwohl Masters seiner Frau jeden nur erdenklichen Wunsch erfüllt, beginnt sie sich zu langweilen und betrügt ihn immer wieder. Masters nimmt die Demütigungen seiner Frau zunächst anscheinend hin, doch der unscheinbare Mann entwickelt still und leise einen perfiden Plan, um seine Frau in der feinen Gesellschaft Nassaus völlig zu diskreditieren.

Was nach einem durchaus brauchbaren Plot für ein etwas altmodisches, psychologisches Drama klingt, ist jedoch die Vorlage für das demnächst anlaufende James Bond-Abenteuer Quantum of Solace, den mittlerweile 22. Auftritt des berühmtesten Geheimagenten der Filmgeschichte. Es wird wenig überraschen, dass der von Marc Forster inszenierte Film von der eingangs skizzierten Kurzgeschichte, in der James Bond nur als jene Randfigur vorkommt, der die Geschichte einer unglücklichen Ehe erzählt wird, nicht mehr als den Titel übernimmt (ein Schicksal, dass Quantum of Solace freilich mit einer ganzen Reihe der als Vorlage dienenden Bücher teilt) und Mr. Bond auf wesentlich aktionsreichere Abenteuer schickt (eine Rezension von Quantum of Solace können Sie übrigens auf unserer Website lesen).

Erfolg mit Anlaufschwierigkeiten

In den letzten Jahren hat der Kriminalroman als anerkanntes und respektiertes  literarisches Genre eine unerwartete Renaissance erleben dürfen. Als Ian Fleming 1953 mit Casino Royale den ersten Roman mit der Figur des Agenten James Bond im Mittelpunkt veröffentlichte, konnte er von so einem Umfeld nur träumen, waren doch zu dieser Zeit gerade noch die Bücher Raymond Chandlers als literarische Werke einigermaßen akzeptiert. Der 1908 geborene Fleming besuchte das elitäre Eton College, arbeitete zunächst als Journalist, ehe er im Zweiten Weltkrieg im Nachrichtendienst der Marine jene Welt der Geheimdienste kennen lernte, die er später in seine Bond-Romane einfließen ließ. Der Erfolg war zunächst überschaubar. So verkaufte Fleming die Filmrechte von Casino Royale für magere 6.000 Dollar an den Schauspieler und Regisseur Gregory Ratoff, dessen für das US-Fernsehen produzierte Filmfassung jedoch durchfiel. Obwohl die folgenden drei Bond-Romane Live and Let Die, Moonraker und Diamonds Are Forever durchaus erfolgreich waren, wollte Fleming mit From Russia with Love (1958) die Reihe eigentlich beenden, um wie er selbst meinte „sich endlich ernsthafter Literatur zuwenden zu können“. Doch die Figur James Bond hatte mittlerweile eine so beachtliche Popularität erreicht, dass Ian Fleming nicht umhin kam, umzudenken und seinen Agenten weiterleben zu lassen. Als auch noch John F. Kennedy From Russia with Love als eines seiner Lieblingsbücher bezeichnete, war der Erfolg auch auf dem US-amerikanischen Markt nicht mehr aufzuhalten.

Mittlerweile hatten die beiden Produzenten Harry Saltzman und Albert Broccoli die Rechte an den meisten von Flemings Büchern erworben, 1962 kam mit Dr. No (Regie: Terence Young) die erste filmische Adaption in die Kinos. Obwohl mit dem eher geringen Budget von einer Million Dollar produziert, wurde Dr. No ein durchschlagender finanzieller Erfolg, der Grundstein für eine der phänomenalsten Erfolgsgeschichten der Populärkultur war gelegt. Ein Erfolg, den der geistige Vater Ian Fleming nur ansatzweise miterleben konnte, starb er doch 1964, als mit From Russia with Love gerade einmal der zweite Film angelaufen war.

Last Man Standing

Obwohl Fleming selbst nachrichtendienstliche Erfahrung sammeln konnte, hat die in seinen Romanen entworfene Welt der Geheimdienste eigentlich recht wenig mit realen Vorbildern zu tun, sie ähnelt eher diversen, durch die Populärkultur verbreiteten Bildern und Mythen. Schon die Figur James Bond entspricht so gar nicht der Vorstellung von betont unauffällig operierenden Geheimdienstleuten, sondern ist viel eher die beinahe archetypische Figur des einsamen Helden, der inmitten einer feindlichen Umgebung, stets auf sich allein gestellt, bestehen muss. Als Daniel Craig in Casino Royale (2006) erstmals die Bond-Rolle übernahm, wurde vor allem die physische Präsenz, die Craig in seine Darstellung legte, hervorgehoben, die dazu führte, dass Bond nun seinen Widersacher in erster Linie mit nachhaltigem körperlichem Einsatz gegenübertrat. Das mag für jene Rezipienten, die Bond nur aus den Filmen kennen, angesichts der Flut an technischen Spielereien, mit der die Reihe spätestens zu Beginn der 1980er Jahre überladen worden war, ein wenig überraschend wirken, kommt jedoch der Romanfigur Bond schon sehr nahe. In Flemings Büchern  spielt die physische Komponente stets eine zentrale Rolle, der Held muss auf seine körperlichen Kräfte zurückgreifen, um seine Widersacher besiegen zu können (und auf dem Weg dahin durchaus auch ein gehöriges Maß an physischen Qualen erleiden und überwinden, wie etwa in Casino Royale, Dr. No oder Live and Let Die).  Casino Royale orientierte sich aber auch, was den Plot betrifft, wieder deutlich näher an der literarischen Vorlage. Die phantasiereichen Geschichten der meisten Bond-Filme, voll gestopft mit allerlei Spezialeffekten, stehen  eigentlich im Gegensatz zu den Buchvorlagen mit ihren griffigen, handfesten Erzählungen (so orientieren sich nur die ersten vier Verfilmungen Dr. No, From Russia with Love, Goldfinger und Thunderball mit ihren Plots weitgehend an den Büchern), die Bond wesentlich öfter mit gewöhnlichen Kriminellen konfrontieren (Diamonds Are Forever, Live and Let Die) als mit fast schon comic-haft agierenden Superschurken vom Schlag eines Max Zorin (A View to a Kill, 1985).

Für die ironische Überlegenheit und Abgehobenheit, die seit Roger Moore auf der Leinwand die Bond-Darstellung dominiert, bleibt bei Fleming wenig Platz. Sein Bond entspricht vielmehr dem Typus des stets beherrscht agierenden Briten, für den es in jeder Lebenslage vor allem darum geht, nach außen hin Haltung zu bewahren. Dass der in der britischen Oberschicht verwurzelte Ian Fleming diesen etwas stereotypen Charakterzug seines Helden betont, überrascht wiederum nicht wirklich, sind seine Bond-Romane doch atmosphärisch stark von jenem Geist und jener Haltung geprägt, die in Großbritannien vorherrschten, als das britische Empire noch eine weltumspannende Kolonialmacht und ein politischer Global Player war. So wird James Bond ja auch aus fast jedem Winkel der Erde zu Hilfe gerufen, um die (Welt-)Ordnung wieder herzustellen.

Charakteristisch für Flemings Bücher ist ihre zumeist „filmische“ Struktur. Seine Geschichten sind szenisch aufbereitete, linear ablaufende Erzählungen, an denen jeder Dramaturg des klassischen Hollywood-Kinos seine wahre Freude gehabt hätte. Fleming benützt dabei eine knappe, sehr ökonomische Erzählweise, die stets darauf bedacht ist, die Geschichte so effektiv wie möglich voranzutreiben (Umberto Eco bezeichnete Fleming ein wenig abschätzig als „Ingenieur des Konsumromans“) und nur dann auf Details eingeht, wenn dies für die Narration unabdinglich ist (etwa in der ausführlichen Beschreibung des Kartenspielens in Casino Royale).

Bond als Nebenfigur

Dass es Ian Fleming mit der Absicht, die Bond-Reihe mit From Russia with Love zu beenden und sich anderen Sujets zu widmen, durchaus ernst gemeint haben könnte, lässt sich möglicherweise am besten aus seinen immer wiederkehrenden Versuchen, sich vom Klischee des reinen Kriminalschriftstellers zu lösen, ableiten. Im Rahmen von Flemings Bond-Oeuvre findet sich nämlich eine Reihe von durchaus originell-skurrilen Erzählungen, vornehmlich Kurzgeschichten, die abseits des erprobten Agenten-Milieus angesiedelt sind und in denen die Figur Bond nur als Nebendarsteller agieren darf. Neben der eingangs bereits erwähnten Kurzgeschichte Quantum of Solace sei hier noch Octopussy erwähnt, die Geschichte eines britischen Majors, der in den Wirren am Ende des Zweiten Weltkriegs einen Mord begeht, um sich eines in den Tiroler Bergen verstecktes Nazi-Goldschatzes zu bemächtigen. Noch ein wenig bizarrer geht es in The Hildebrand Rarity zu, in dem ein despotischer Millionär, der seine Mitmenschen demütigt und misshandelt, von seiner Ehefrau mittels eines exotischen Fisches, den sie ihm in den Rachen stopft, erstickt wird.

Am konsequentesten versuchte sich Fleming jedoch in The Spy Who Loved Me von seinem Image zu lösen: Der Roman operiert durchgehend mit einer Ich-Erzählperspektive, als Hauptfigur und Erzähler fungiert dabei eine junge Frau (was für den als ein wenig frauenfeindlich geltenden Fleming wohl keine einfache Übung gewesen sein dürfte) namens Vivienne, die fast die Hälfte des Buchs über ihr turbulent verlaufenes Leben in England berichtet, das sie schließlich in ein abgelegenes Motel in Kanada geführt hat. Dort trifft sie eher zufällig auf zwei Gangster, aus deren Händen sie schließlich von James Bond (der erst im letzten Drittel des Romans erstmals erwähnt wird) gerettet wird. Dem Buch war kein Erfolg beschieden.