Filmkritik

Red Army

| Andreas Ungerböck |
Spektakulärer Dokumentarfilm zu einer spektakulären Sportart

Kein Wunder, dass dieser Film nach seiner Premiere in Cannes 2014 zum Festivalrenner wurde und nun auch regulär ins Kino kommt: Gabe Polsky, Produzent von Werner Herzogs Bad Lieutenant, selbst russischer Abstammung und eher erfolgloser ehemaliger Eishockeyspieler, hat sich ein Stück Sportgeschichte vorgenommen, dass alle, die es erlebt haben, mit großer Freude und zugleich Wehmut erfüllt. Im Fokus von Red Army steht die mutmaßlich beste Eishockey-Mannschaft aller Zeiten, die Einser-Linie von ZSKA Moskau (dem Armee-Klub) und der sowjetischen Nationalmannschaft von Mitte der siebziger bis weit in die achtziger Jahre hinein. Fetisov – Kasatonov; Krutov – Larionov – Makarov, das waren mehr als Eishockeyspieler, eher schon Eis-Zauberer. Mit ausgeklügelten Kombinationen in atemberaubender Geschwindigkeit spielten sie ihre Gegner schwindlig und gewannen alles, was es zu gewinnen gab – alles außer die Olympische Goldmedaille in Lake Placid 1980, die ihnen eine vergleichsweise unerfahrene, junge US-Truppe in einem als „Miracle on Ice“ legendär gewordenen Finale wegschnappte – aber das ist eine andere Geschichte.

Natürlich war dieses Finale mitten im Kalten Krieg auch politisch hoch explosiv und ein Prestigeduell für beide Seiten. Um Politik geht es denn auch sehr viel in Gabe Polskys Film, nicht nur weil mit dem Ende der Sowjetunion auch die sowjetische Sport-Übermacht zerbröselte, weil der legendäre, kürzlich verstorbene Trainer Viktor Tichonov, der die jungen Spieler mit eiserner Disziplin und unerbittlicher Strenge zum Erfolg trieb, vom KGB eingesetzt war, und weil – generell – der Sport eine wichtige propagandistische Funktion hatte. Die Überlegenheit im Sport sollte die Überlegenheit des politischen Systems demonstrieren. Nicht verwunderlich also, dass der Film mit Kaltem Krieg (und einer Ronald Reagan-Rede) beginnt, dass auch andere Politiker zu Wort kommen, und dass der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan ebenso thematisiert wird wie der Fall des Eisernen Vorhangs.

Protagonist des Films ist der wohl beste Verteidiger aller Zeiten, Vyacheslav Fetisov, heute ein charismatischer, mehr als selbstbewusster Geschäftsmann. Wenn er erzählt, dann wird die Legende Wahrheit, wie es bei John Ford so schön heißt, bzw. dann bekommt die Legende auch einige Kratzer ab – vor allem, was seinen eigenen Kampf mit Tichonov und dem Sportministerium betrifft, als er schon längst Angebote aus der NHL hatte. Gabe Polsky kann nicht nur in punkto Interviews aus dem Vollen schöpfen. Er hat phänomenales Material zusammengetragen, und er nützt diesen Vorteil weidlich aus – eine Doku, die hält, was sie verspricht.