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Filmkritik

Rosi, Kurt und Koni

| Reinhard Bradatsch |
Berührende Dokumentation über ein verdrängtes Tabuthema

Nicht dazugehören. Ausgegrenzt sein. Rosi, Kurt und Koni kennen dieses Gefühl. Denn „Du bist abgeschrieben, wenn du nicht lesen oder schreiben kannst“, bringt es Konrad, bei der Eisenbahn als Mechaniker beschäftigt, auf den Punkt.

Hanne Lassl, bislang als Produktionsleiterin (u.a. Das große Museum) tätig, hinterfragt in ihrem Regiedebüt die Selbstverständlichkeit, mit der wir in einer Welt der Sprache und der Schrift leben. Seien es Plakatwände, unzählige Hinweistafeln oder Speisekarten im Restaurant: Unser Leben funktioniert über das geschriebene Wort. Aber wie finden sich jene zurecht, bei denen das Bildungssystem versagt hat? Oder haben sie selbst versagt?

Nicht lesen und nicht schreiben können ist ein Tabu. Nach wie vor. Davon können die drei Protagonisten dieses Films Geschichten erzählen. Dass sie das tun, ist der größte Verdienst von Lassl. Denn die Angst vor Blamage, vorm (unbewussten) Outing gehört bei Analphabeten zum traurigen Alltag. So kann der Kauf eines U-Bahn-Tickets beim Automaten zum gefährlichen Drahtseilakt werden.

Kurt, alleinerziehender Vater eines schulpflichtigen Sohnes, erlebt Diffamierung auf dem vielleicht brutalsten Weg: In trockenem Behördendeutsch wird ihm mitgeteilt, dass er nicht die notwendigen geistigen Kapazitäten hat, um Sebastian im Schulalltag zu unterstützen und ihn adäquat zu erziehen. Wenn die Kamera in der nächsten Einstellung Vater und Sohn beim Schreiben beobachtet – dem vielleicht intimsten Moment des Filmes – offenbart sich die ganze Niederträchtigkeit eines Rechtssystems: Dessen Gesetze orientieren sich an einem normierten Idealbild, das keine Abweichungen duldet. Sebastian muss schließlich in die WG, obwohl Kurt sich nichts zu schulden hat kommen lassen.

Auch Roswitha Wimmer kennt bürokratische Schikanen nur zu gut; hinzu kommt private Enttäuschung: zahlreiche Menschen haben Rosis Schwäche ausgenützt. Erst die Bestellung eines Sachwalters und die damit verbundene Freiheitsbeschränkung wecken die Mitvierzigerin auf: Am Ende des Films wird sie vor einem Publikum einen selbst verfassten Text lesen und Applaus ernten.

Lassl zeigt unmissverständlich das Scheitern der drei am Alltäglichen, gleichzeitig aber auch die Motivation, selbst die Initiative zu ergreifen. Den Optimismus von Rosi, Kurt und Koni verliert sie dabei niemals aus den Augen: In einer Abendschule lernen sie lesen und schreiben – vor allem aber auch, sich so zu akzeptieren, wie sie sind. Das Wichtigste: Die drei kommen nicht zurück in die Gesellschaft, sie waren schon immer da.