Ruben Östlund über seine bitterböse Gesellschaftssatire „Triangle of Sadness“, Schönheitsideale und das Skalpell im Kino.
Herr Östlund, muss man sich Zyniker als glückliche Menschen vorstellen? In der Mode-Show sagt ein Schriftzug: „Zynismus maskiert sich als Optimismus.“
Ursprünglich hatte das Wort Zyniker eine ganz andere Bedeutung als heute. Im antiken Griechenland war das eine Bewegung, die eine kritische Haltung zur Gesellschaft hatte. Sehr beängstigend finde ich die heutige Bedeutung, die mit diesem Spruch auf der Mode-Show im Film zum Ausdruck kommt: „Zynismus maskiert sich als Optimismus.“
Wie sieht diese Maskierung aus?
Schauen Sie sich doch nur dieses ganze „Green Washing“ an, wo sich große Unternehmen mit positiven Werten schmücken. Und die Menschen klicken dazu in sozialen Medien brav mit einem Daumen nach oben. Das ist übelste Real-Satire, die Kunst gar nicht mehr steigern kann. Große gesellschaftliche Fragen, wie die Klimakrise, auf das Individuelle herunter zu brechen, ist der größte Zynismus unserer Zeit. Zu behaupten, man verzichte jetzt mehr aufs Fliegen, ist grotesk. Denn das ändert wenig, für eine Lösung braucht es Beschränkungen auf globaler Ebene.
Als Mode-Fotografin steckt Ihre Frau mitten in dieser Glamour-Industrie …
Meine Frau ist keine Zynikerin, sie verdummt auch keine Menschen. Sie würde nie von nachhaltiger Mode sprechen, weil sie genau weiß, dass so eine Bezeichnung völliger Unsinn ist. Mode wird jedes Frühjahr und jeden Herbst neu in die Läden gebracht, da kann doch niemand von „nachhaltig“ sprechen!
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Verstehen Sie sich als ein Moralist?
Moralisten sind Typen, die anderen immer erklären, was sie falsch machen. Ich zeige nicht gerne mit dem Finger auf andere, ich zeige lieber auf mich selbst. Mit sämtlichen schlechten Eigenschaften und Fehlern meiner Figuren kann ich mich identifizieren! Bei einer Lawine hätte ich wohl auch feige meine Familie verlassen. Als Museumschef hätte ich skrupellos meine Macht missbraucht. Und ich verstehe, wie die alte Frau im Rettungsboot ihre Position gnadenlos für Sex mit einem hübschen Model ausnutzt. Nein, ich bin also kein Moralist! (Lacht.)
Ihr Model ist jung und hübsch und verdient sein Geld damit. Was bedeutet Schönheit für Sie?
Meine Mutter, eine Lehrerin, sagte immer: „Alle Kinder sind schön!“ Aber wenn wir irgendwann die Konkurrenz und unsere Position in der Hierarchie spüren, dann passiert etwas. Wenn eine sehr schöne Person einen Raum betritt, ändert das die ganz Dynamik in diesem Raum. Es lässt sich nicht leugnen, dass es eine objektive Schönheit gibt. Attraktivität ist eine Währung, die man ohne Geld, ohne Abstammung und ohne Ausbildung bekommen kann. Wer aus ärmsten Verhältnissen stammt, für den kann Schönheit der Jackpot zum gesellschaftlichen Aufstieg sein.
Bei Rubens galten einst ganz andere Schönheitsideale als heute …
Dass Übergewicht damals als schön empfunden wurde, hatte sicher auch ökonomische Gründe. Interessant wäre zu sehen, was damals als hässlich empfunden wurde. Ein symmetrisches Gesicht mit richtigen Proportionen wird jedenfalls seit langer Zeit als attraktiv empfunden. Von griechischen Statuen der Antike über alte Gemälde bis heute gibt es wenig Unterschiede im Konzept von Schönheit. Das hat viel mit dem Wunsch zu tun, den eigenen Nachkommen gute Gene weiterzugeben.
Der britische „Guardian“ beschrieb Ihre filmische Methode als „Vorschlaghammer und Skalpell“ – teilen Sie die Einschätzung?
Das ist ein wunderbares Kompliment. Das notiere ich mir gleich einmal! (Lacht.) Zu meinen Idolen gehört Michael Haneke, der steht wirklich für das Skalpell im Kino. Zugleich wollte ich wild und überraschend sein. Ich möchte wegkommen vom Arthouse-Kino, wie es heute aussieht. Mein Konzept war eine wilde, unterhaltsame Achterbahn für Erwachsene.
Die Achterbahn wäre zu schlicht, warfen Ihnen manche Kritiker in Cannes vor. Was sagen Sie denen?
Fuck you! (Lacht.) Wir sagen gerne, die Probleme unserer Gesellschaft wären sehr komplex. Das stimmt aber nicht. Die schlichte Lösung lautet: Beute keine Menschen aus! So einfach ist das, damit wäre das Problem gelöst. Aber wir leben in einer Welt, in der wir die Ausbeutung von Menschen akzeptieren. Und in der wir uns komfortabel in dieser Position eingerichtet haben. Menschen geben nur ungern ihre Privilegien ab. Doch das müssten wir alle gemeinsam und gleichzeitig tun.
Wie fühlen Sie sich mit dieser Einstellung im dekadenten Champagner-Kosmos von Cannes mit Glamour, Bonzen und dicken Yachten? Haben Sie je daran gedacht, die zweite Palme zu verweigern?
Nein, ich möchte jetzt auch noch eine dritte Palme haben! (Lacht.) Für mich ist der Preis Fiktion, das nehme ich nicht allzu
ernst. Cannes bietet eine großartige Bühne, um einen Film wie meinen einem möglichst großen Publikum zu präsentieren. Natürlich ist man glücklich über die bloße Teilnahme und erst recht über eine Auszeichnung. Aber übertrieben ernst kann man das nicht nehmen.
Mit Iris Berben engagieren Sie einen der wenigen deutschen Stars, lassen sie aber nur immer denselben Satz „Ich bin in den Wolken“ sprechen. Was hat es damit auf sich?
Die Figur basiert zu hundert Prozent auf meiner Schwiegermutter. Ich bin sehr glücklich, dass ich Iris für den Film gewinnen konnte, für mich spielt sie diese Rolle absolut fantastisch.
Was wird Ihr nächstes Projekt?
Es geht um einen Langstreckenflug, bei dem gleich nach dem Start das Unterhaltungsprogramm ausfällt. Die Passagiere erwartet ein fünfzehnstündiger Flug ohne jede digitale Ablenkungen. So wird das Flugzeug im Film zum Laboratorium für ein soziologisches Experiment. Der Titel lautet „The Entertainment System is down“.