Auch heuer konnte das SLASH-Filmfestival wieder mit einer erlesenen Auswahl an Genreperlen aufwarten.
Bereits zum 13. Mal flimmerte das SLASH-Festival im Wiener Gartenbau, Filmcasino und Metro über die Leinwände. Das Festival unter der Leitung von Markus Keuschnigg hat sich über die Jahre einen fixen Platz in den Herzen von Filmfans gesichert, die etwas für Horror, Science Fiction und Fantastik übrig haben. Seinen Charme bewies das Festival einmal mehr durch den Fokus auf kleine Genrefilme, welche die Grenzen des guten Geschmacks ausloten und die es oft schwer haben, einen regulären Kinostart zu bekommen. Von thailändischen Monsterfilmen, japanischer Erotik, taiwanesischem Found-Footage-Horror, afrikanischen Western und spanischer Trickfilmkunst war alles dabei, was den etwas abseitigeren Filmgeschmack erfreut.
Die Satire in der Hochkonjunktur
Die Tatsache, dass das SLASH heuer schon zum zweiten Mal den Cannes-Sieger des Jahres akquirieren konnte, zeigt nicht nur, dass der Übergang von so genannter Hochkultur zu trashigem Genrekino oft fließend ist, sondern auch, dass das SLASH schon lange seine ursprüngliche Nische verlassen hat. Dennoch passte Julia Ducournaus Titane, der 2021 die Goldene Palme gewann und im selben Jahr das SLASH eröffnete, wahrscheinlich besser ins Programm als der heurige Triangle of Sadness des Schweden Ruben Östlund. Die Gesellschaftssatire wirkt in ihrer plumpen Kritik an der Welt der Reichen und Schönen fast schon anachronistisch. Außerdem stellt sich die Frage, ob eine Luxusyacht als Symbol für die herrschende Klasse nicht längst überholt ist. Wen derartige Klischees nicht stören, kann sich an den reichen Bonzen erfreuen, die sich nach rauem Seegang ihre Seele aus dem Leib kotzen und Woody Harrelson als dauerbesoffenem Schiffskapitän dabei zuhören, wie er proto-marxistische Kalendersprüche von sich gibt.
Was treffende Gegenwartsdiagnosen betrifft, gingen andere Filme wahrscheinlich mehr ins Mark, etwa die ausgezeichnete norwegische Farce Sick of Myself von Kristoffer Borgli, die ebenfalls in Cannes vertreten war. Der ständige Drang nach Aufmerksamkeit, der durch die toxische Beziehung zu einem angehenden Künstler noch befeuert wird, verleitet Signe (Kristine Kujath Thorp) zu illegalen Tabletten. Der daraus resultierende Hautausschlag bringt sie zwar medial ins Rampenlicht, der körperliche Verfall lässt sich aber, einmal angestoßen, nicht mehr aufhalten. Borgli kombiniert gekonnt Elemente des Body Horror mit beißender Sozialkritik, die einer unerbittlichen Eskalationslogik folgt und nur wenige im Publikum kalt gelassen haben dürfte.
Frauen vor und hinter der Kamera
Überhaupt waren labile Frauenfiguren ein großes Thema beim heurigen SLASH. Im amerikanischen Eröffnungsfilm Resurrection von Andrew Semans brilliert Rebecca Hall als alleinerziehende Mutter, deren Welt durch die Konfrontation mit einem Mann aus ihrer Vergangenheit (Tim Roth) aus den Fugen zu geraten droht. Psychologisch nicht immer ganz glaubwürdig und gegen Ende hin gar zu spekulativ, kann der Film zumindest mit tollen Schauspielerleistungen aufwarten. Das Gefühl der Paranoia, auf das hier abgezielt wird, kam in anderen Filmen aber auf überzeugendere Weise zur Geltung, etwa in Chloe Okunos atmosphärischem Debüt Watcher. Maika Monroe spielt darin eine Schauspielerin, die mit ihrem Ehemann nach Bukarest übersiedelt. Während dieser den ganzen Tag arbeitet, fühlt sie sich bald vom Fenster des gegenüberliegenden Hauses aus beobachtet. Okuno ist mit Watcher ein exzellentes Stück Spannungskino gelungen, das an einem sich abzeichnenden Trend des heurigen Festivals keinen Zweifel ließ: Es gibt immer mehr Frauen, die mit ihren Regieerstlingen in der Welt des Genrekinos für Aufsehen sorgen.
So auch das Filmdebüt der australischen Malerin Del Kathryn Barton (Blaze), das auf unglaublich poetische Weise beschreibt, wie sich ein traumatisiertes Mädchen (Julia Savage) in ihre Fantasiewelt flüchtet und Unterstützung von einem imaginären Drachen bekommt. Bunt, verspielt, und mit viel Liebe zum Detail gestaltet, perfektioniert Blaze einen magischen Realismus, dem man sich zusehend nur allzu gerne aussetzt. Weniger poetisch, aber dafür umso effektiver geht es beim mexikanischen Horrorfilm Huesera von Michelle Garza Cervera zu, einem weiteren Regisseurinnen-Debüt, das in Erinnerung bleiben dürfte. Als es Valeria (Natalia Solián) nach lang gehegtem Wunsch endlich gelingt, schwanger zu werden, fühlt sie sich von der titelgebenden „Knochenfrau“ heimgesucht, einer Gestalt aus der mexikanischen Folklore, die sich unter anderem durch das lautstarke Knacken der Knochen ankündigt. Garza Cervera gelingt mit Huesera nicht nur ein wirkungsvoller Schocker, sondern verpackt darin zugleich auf subtile Weise eine Kritik an traditionellen Moral- und Familienvorstellungen ihres Landes.
Auch die heimische Filmlandschaft konnte den Trend starker weiblicher Spielfilmdebüts bestätigen. Marie Alice Wolfzahns Mater Superior spielt in den siebziger Jahren und erzählt die Geschichte einer Frau (Isabella Händler), die sich als Betreuerin ausgibt, um durch einen neuen Job bei der Baronin Heidenreich (Inge Maux) mehr über ihre Familienherkunft zu erfahren. Der Film verknüpft überzeugend traditionelle Stilmittel der Schauerromantik mit der Aufarbeitung von Österreichs Nazi-Vergangenheit und sorgt somit in mehrerlei Hinsicht für Gänsehaut.
Abseits des Horrorgenres
Aber auch wer prinzipiell wenig mit Horrorfilmen anzufangen weiß, konnte beim heurigen SLASH fündig werden. Etwa beim völlig überdrehten H4Z4RD des belgischen Regisseurs Jonas Govaerts, der komplett in einem Auto gefilmt wurde. Was als harmloser Fahrerdienst beginnt, weitet sich schon bald in ein Entführungsdrama aus, in dem der Autofetischist Noah versucht, seine Tochter wiederzufinden. Temporeich und skurril jagt hier eine aberwitzige Idee die nächste, wobei der eigentlich aus der DJ-Szene bekannte Dimitri „Vegas“ Thivaios in der Hauptrolle überzeugt. Nicht minder virtuos inszeniert (wenn auch deutlich kontemplativer) ist das bildgewaltige Science-Fiction-Epos Vesper des litauisch-französischen Regieduos Kristina Buožytė und Bruno Samper. Hier stachen vor allem die liebevolle Ausstattung sowie das phantasievolle Kreaturen- und Pflanzendesign ins Auge, die das Publikum in eine völlig eigene Welt entführen und ein angenehmes Gegengewicht zum ästhetischen Einerlei vergleichbarer US-Produktionen bildete. Das Gefühl, Vesper zum ersten Mal zu sehen, lässt sich vielleicht nur mit dem Gefühl vergleichen, das ein Comicband von Enki Bilal bei jemandem auslöst, der bisher nur amerikanische Superheldencomics gelesen hat. Man kann nur hoffen, dass durch Vesper das europäische Science-Fiction Kino wieder mehr Aufwind bekommt.
Einen der Höhepunkte hat sich das SLASH aber für den letzten Tag aufgehoben: Die ersten beiden Folgen der Fernsehserie The Kingdom: Exodus (eine von Fans lang ersehnte dritte Staffel) vom dänischen Regie-Exzentriker Lars von Trier erlebten ihre Österreich-Premieren. Abermals geht es um mysteriöse Vorgänge im dänischen Reichskrankenhaus, wobei die Rivalität zwischen Dänen und Schweden, die schon in den ersten Staffeln Thema war, wieder für reichlich Situationskomik sorgt. Die Serie offenbart dabei mehr als einen doppelten Boden, in dem die Ereignisse der Vergangenheit als fiktive Realität einer Fernsehserie entlarvt und so in die neue Handlung integriert werden. Genauso wie beim großen Vorbild Twin Peaks hat sich Lars von Trier 25 Jahre Zeit gelassen, um eine dritte Staffel seiner Kultserie zu drehen. Das Warten hat sich gelohnt.