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Schwarze Milch

Filmkritik

Schwarze Milch

| Andreas Ungerböck |
Uisenma Borchus zweiter Spielfilm führt in der mongolischen Wüste zwei Schwestern zusammen, die lange getrennt waren. Das geht nicht ohne Reibung vonstatten.

Die eine, wohl der Einfachheit halber Wessi genannt, lebt seit langer Zeit in Deutschland. Sie wurde als kleines Kind (über die näheren Umstände, warum das so ist, erfährt man nichts) von ihrer Schwester Ossi getrennt, die weiterhin ein traditionelles nomadisches Leben in der Wüste Gobi in der Mongolei führt. Eines Tages beschließt Wessi, die das offenbar schon öfter angekündigt, aber nie umgesetzt hat, tatsächlich in die Mongolei zu reisen, um die Schwester wiederzutreffen – oder, besser gesagt, erst einmal kennenzulernen. Denn schon bald stellt sich heraus, das die Zusammenkunft der beiden Frauen nicht so einfach und reibungslos funktioniert, wie sie sich das vielleicht vorgestellt haben.

Die 35-jährige mongolisch-deutsche Regisseurin Uisenma Borchu, die auch die Rolle der Wessi spielt, befasst sich in ihrem zweiten Film nach dem mehrfach ausgezeichneten Schau mich nicht so an (2015) mit einem Thema, das nicht unbedingt neu, aber jedenfalls immer aktuell ist: der Situation eines Menschen, der „zwischen den Kulturen“ lebt und eines Tages beschließt, seinen Wurzeln nachzuforschen. Und mehr als das. Denn wie die Regisseurin bei einem Gespräch anlässlich der Berlinale meinte, geht es in ihrem Film nicht vorrangig um den Culture Clash, sondern auch um die Identität der beiden Frauen. Wiewohl sehr herzlich aufgenommen, merkt die emanzipierte junge Deutsche doch bald, dass das Frauenbild in der nomadischen Gesellschaft ein gänzlich anderes ist. Und dass selbst ihre Schwester, eine nach außen hin starke und toughe Frau, die sich den Anforderungen des zum Teil recht harten nomadischen Lebens stellt, mit Wessis Weigerung, sich den starren Traditionen anzupassen, wenig anfangen kann. So wird die Besucherin ein wenig zur „Störenfriedin“, umso mehr, als sie sich – ihre Beziehung zu einem deutschen Mann (Franz Rogowski) zu Beginn des Films lässt sich als eher problematisch interpretieren – zu einem deutlich älteren Nomaden namens Terbish erotisch hingezogen fühlt, der den Einheimischen, weil er allein lebt, ohnehin ein wenig suspekt ist. Immer mehr drehen sich schließlich die Gespräche der beiden Frauen nicht vorrangig um die täglichen Verrichtungen, sondern vor allem um diese Rollenzuschreibung. Ossi, gespielt von Gunsmaa Tsogzol, im realen Leben die Cousine der Filmemacherin, denkt darüber nicht so sehr nach, sie hält ihre Schwester in dieser Hinsicht für etwas überspannt, um es milde auszudrücken. Gleichzeitig hat man das Gefühl, dass Wessis Versuche, die Grenzen auszutesten, die Frauen in der traditionellen Gesellschaft gesetzt sind, bei Ossi allmählich durchaus ein Nachdenken in Gang setzen.

Von der Aussöhnung der Kulturen um jeden Preis und von romantischer Folklore ist Schwarze Milch meilenweit entfernt. Uisenma Borchu wählt einen sehr dokumentarischen, nüchternen und rauen Zugang, der das nomadische Leben nicht verklärt – schon gar nicht in einem zunächst sehr befremdlichen Zwischenfall ungefähr in der Mitte des Films, der das Geschlechterverhältnis noch einmal in ein ganz eigenes Licht rückt. Die Poesie bleibt letztlich einem wunderbaren Gesangsstück vorbehalten, das einmal von den Familienmitgliedern und Freunden in einer Jurte gesungen wird und das am Ende des Films über den Schlusscredits liegt. Ob die Annäherung der beiden Frauen gelingt, liegt letztlich im Ermessen der Betrachterin oder des Betrachters. Sie könnte aber auch eine work in progress sein.