In ihrem mehrfach preisgekrönten Spielfilmdebüt „Das Fräulein“ erzählt die 1973 in Zürich geborene Andrea Štaka mit sparsamsten Mitteln vom Zusammentreffen dreier Emigrantinnen verschiedener Generationen aus Ex-Jugolawien in der Schweiz.
Die Serbin Ruža (Grbavica-Hauptdarstellerin Mirjana Karanoviˇc) ist Ende vierzig, hat sich in 25 Jahren in Zürich „etwas aufgebaut“ und lebt allein. Sie hat sich außer dem Geldverdienen alle Träume abgeschminkt. Mila (Ljubica Joviˇc), eine Angestellte in der von Ruža geleiteten Betriebskantine, kam vor noch längerer Zeit mit ihrer Familie und dem Traum in die Schweiz, eines Tages in ein selbst erbautes Haus an der kroatischen Adria zurückkehren zu können. Die junge bosnische Tramperin Ana (Marija Škariˇciˇc) hat den Krieg miterlebt und ist eben erst in Zürich angekommen. Mit Lebensgier und Fröhlichkeit überspielt sie ihre Ängste und reißt die beiden Älteren aus ihrer Routine. Die Begegnung bewirkt, dass alle drei sich längst überfälligen Fragen stellen. Regisseurin Andrea Štaka stellt sich den Fragen von ray zu ihrem Film.
Das Fräulein hat insofern einen autobiografischen Hintergrund, als Ihre Familie ja aus Bosnien und Kroatien stammt, Sie aber in der Schweiz aufgewachsen sind. Wie haben Sie selbst diese Situation, zwischen den Kulturen zu stehen, erlebt?
Das hat sich über die Jahre sehr verändert. Es hat sehr viel Schönes mit sich gebracht, dass ich zweisprachig aufgewachsen bin, und gleichzeitig war es emotional einfach schwierig, weil ich das Gefühl hatte, ich müsse mich entscheiden, wohin ich gehöre. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das gar nicht geht. Da habe ich auch gemerkt, dass viele Menschen in einer ähnlichen Situation sind wie ich: aus einer Kultur stammen und in einer anderen leben. Das Fräulein war die Idee, nicht nostalgisch damit umzugehen. Alle drei Frauen suchen die Heimat nicht im Land, sondern in sich selbst. Es geht mehr darum, wer sie sind, als woher sie kommen.
Leere spielt in diesem Film eine große Rolle: leere Räume, leere Leben, eine Leere in Form von Abwesenheiten.
Es gibt viele Abwesenheiten im Film. Bei Ruža ist es die Abwesenheit von Gefühlen und auch von Familie und neuen Menschen. Bei Mila ist es die Abwesenheit, dass sie ihrem Mann einmal sagt, was sie will. Und Ana bringt als Figur die jüngste Geschichte Jugoslawiens in die Leben der beiden Frauen, die in der Diaspora zu Hause sind. Sie macht den Krieg, der bei Ruža und Mila abwesend ist, anwesend.
In Ihren Anmerkungen zum Film erwähnen Sie Ivo Andriˇcs Buch „Das Fräulein“. Wie hat dieses Buch den Film beeinflusst?
Die Hauptfigur Ruža ist von diesem Buch inspiriert. Bei Ivo Andriˇcs Gospodjica geht es um eine Frau, die sehr selbstdestruktiv ist. Um ein Versprechen zu erfüllen, unterdrückt sie ihr eigenes Herz. Als ich das Buch vor 20 Jahren gelesen habe, hat mich das sehr fasziniert, diese Frau, die gegen sich handelt, ohne es zu merken. Über die Jahre ist mir diese Figur nie so ganz aus dem Kopf gegangen und ich habe dann in meinem Umfeld gemerkt, dass es sehr viele dieser Frauen gibt. Ruža, Mila und Ana haben alle drei einen sehr selbstdestruktiven Zug. Den habe ich von Andriˇc übernommen.
Sie beschreiben Ihr ursprüngliches Drehbuch als so fragil und verletzlich wie die Figuren selbst. Wie darf man das verstehen?
Die Geschichte ist ja nicht in erster Linie aktionsbetont. Es passieren keine großen Dinge, die die Figuren von außen verändern, sondern es ist eine feine Reise von allen dreien, bei der sie aufeinander zukommen und sich wieder voneinander entfernen. Das Drehbuch war wie ein Puzzle mit vielen Teilen und es hat sehr lange gedauert, bis es gestimmt hat. Ich konnte Szenen unendlich lange hin- und herschieben, auch noch nach dem Schnitt.
Und wie hat die Zusammenarbeit mit Barbara Albert und
Marie Kreutzer funktioniert? Was haben diese beiden als Koautorinnen eingebracht?
Es war eine sehr kreative Zusammenarbeit. Beide sind an einem Punkt zum Drehbuch gestoßen, an dem ich ein Auge von außen gebraucht habe, wo ich allein die Distanz nicht mehr hatte. Mit Barbara habe ich an der Figur von Ana sehr viel gearbeitet, an dieser jungen Frau, die in Zürich von Mann zu Mann und von Gemeinschaft zu Gemeinschaft zieht. Es hat sich alles sehr gut ergeben. Beide haben die Emotionalität und Sensibilität der Geschichte gut verstanden und trotzdem auch eine Distanz gehabt dazu. Die Geschichte braucht ja beides: starke Emotion und auch so eine gewisse Härte, um mit diesen Figuren umzugehen. Da konnten beide sehr viel einbringen. Das war wirklich toll.