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Schwerpunkt Crossing Eastern Europe – Martin Heller im Gespräch

| Roman Scheiber |

In 20 Monaten wird Linz zur Kulturhauptstadt Europas. Wie die Industriestadt sich kulturell entwickeln soll, erläutert Linz09-Intendant Martin Heller.

2009 wird Linz in einen friedlichen Ausnahmezustand geraten. Wie der aussehen wird, dafür ist maßgebend der Basler Martin Heller verantwortlich, Jahrgang 1952, langjähriger Direktor des Museums für Gestaltung Zürich und künstlerischer Direktor der Schweizerischen Landesausstellung Expo.02. Neben umfangreicher Lehr- und Vermittlungstätigkeit und zahlreichen Ausstellungen und Publikationen kuratierte Heller (gemeinsam mit Wolfgang Beilenhoff) 1995 auch eine Schau über Filmplakate. Der Intendant von Linz09 sprach mit ray über Projekte und Plakate, Nachbarplattformen und Nachhaltigkeit, und über Linzer Alleinstellungsmerkmale.

Herr Heller, sind Ihnen in letzter Zeit gelungene Filmplakate aufgefallen?
Nein. Jedes Filmplakat will heute erst einmal wie ein Filmplakat aussehen – das limitiert das Genre auf eine unglaubliche Weise.
Es fällt mir schwer, prägnante Filmplakate zu nennen, außer vielleicht vereinzelt im Autorenfilmbereich. Der Anspruch, das Wesen und die strukturellen Komponenten des Films in eine grafische Sprache zu übersetzen, wie es zum Beispiel bei den berühmten sowjetischen Filmplakaten früher der Fall war, wurde weitgehend aufgegeben. Mit dem Starsystem und der Banalisierung durch universale Codes und Regeln ist das zu Ende. Die Plakate, die man heute findet, dienen nur mehr dazu, Titel und Stars werbewirksam zu transportieren.

Wie gefällt Ihnen die Plakatsujet-Linie des Crossing Europe Festivals?
Sie gefällt mir gut: Für die Bedürfnisse eines Festivals ist diese Linie prägnant und lässt doch Spielraum, die einzelnen Sujets von Jahr zu Jahr zu variieren. Auch das aktuelle Plakat für 2007 ist wieder sehr professionell gemacht. Die Handschrift zieht sich durch, vom Flyer über das Programmheft bis zur Straßenbahnwerbung. Das finde ich ziemlich geglückt.

In Ihrem Mission Statement heißt es, Linz09 sei Teil eines urbanen Entwicklungsprojekts mit den drei Themenbereichen Natur, Industrie und Kultur. Was heißt das?
Da steckt drin, dass wir Linz09 nicht einfach als Kulturfeuerwerk verstehen, sondern dass es bei diesem Projekt auch um Stadtentwicklung geht. Stadt und Bund investieren in Linz und Region mindestens 60 Millionen Euro. Meine Aufgabe ist, bei dieser Investition nicht nur den Output zu bedenken, sondern die Frage der Nachhaltigkeit zu stellen. Linz will weg vom tradierten Image als Stahl- und Industriestadt, hin zur Kulturstadt. Allerdings stimmt das für uns so nicht: Die Industrie gibt es nach wie vor, und gerade sie sorgt für eine prosperierende Wirtschafts- und Kulturentwicklung. Linz vereint in sich also Industrie und Kultur, und die dritte prägende Rolle spielen der Donauraum und die Region – die Natur. Diese Dreier-Formel trifft auf die wenigsten österreichischen oder deutschen Städte zu. Ein Alleinstellungsmerkmal also, das uns davor bewahrt, ausschließlich mit einem neuen Kulturimage zu arbeiten.

Und wie kann man den Wunsch der Nachhaltigkeit konkret umsetzen?
Natürlich ist das schwer. Man muss Nachhaltigkeit von Anfang an zum Thema machen und mitdenken, sogar noch bevor das Programm feststeht. Auch wenn das prekär ist: Ich muss das Fell des Bären verteilen, bevor die Flinte überhaupt geladen ist. Ein weiterer wichtiger Punkt besteht darin, dass Finanzierungen im Sinne struktureller Verbesserungen eingesetzt werden sollten. Wir haben also nicht nur Linz im Jahr 2009, sondern auch Linz im Jahr 2015 im Fokus. Entscheidend ist dabei ein vertieftes Verständnis der Wirtschaft und der Stadt für kulturelle Belange. Mein täglicher Ansporn liegt nicht nur darin, ein Festival zu organisieren, sondern  auch die Qualität zu verbessern. Auf einem guten Weg ist die Stadt ja: Immerhin hat man hier schon 1979 die Ars Electronica und das Ars Electronica Festival gegründet.

Wie sehen Sie das Kulturverständnis der hiesigen Politik?
Der Zugang zu Kultur und das Verständnis dafür ist grundsätzlich gut. Das Vertrauen in meine Person scheint mir gegeben, und dass wir Banalkonzepte wie „Kultur für alle“ definitiv hinter uns lassen müssen, ist jedem bewusst. Wichtiger finde ich die Frage, auf welche Weise denn die Stadt mit Kultur verbunden ist? In Linz gibt es keine gutbürgerliche, kunstsinnige Elite, die in langer Fördertradition steht. Dafür aber manifestiert sich ein hemdsärmeliges, relativ gegenwartsbezogenes Verständnis von Kultur. Für uns heißt das, dass wir starkes Gewicht auf Zeitgenössisches legen werden.

Hat sich das Gegenwartsbezogene aus dem örtlichen Vakuum an Hochkultur entwickelt?
Durchaus. Was zum Beispiel den Vorteil mit sich bringt, dass hier nicht darüber diskutiert werden muss, ob etwas überhaupt Kunst ist oder nicht. Weniger Tradition heißt auch: weniger Rituale, stattdessen vorwärts gehen und etwas realisieren.

Ein konkretes Projekt von Linz09 ist, dass Hubert von Goisern mit einem Konzertschiff die Donau auf und ab fahren soll. Was ist seine Mission?
Die Idee kam ursprünglich von ihm. Hubert von Goisern wird nicht nur als Musiker, sondern als neugieriger und skeptischer Europäer auf die Reise gehen. Er wird sich sozusagen von Linz aus auf der Donau, abseits des Mainstream-Europa, bewegen und auch nach den Gründen fragen, warum ein Land sich als europäisch versteht oder nicht. Ist das Schweizer Starrsinn? Oder die nationale Demenz der Norweger? Zu diesem Thema werden wir im Übrigen drei Länder einladen, die nicht bei der EU sein wollen. Solche Fragen sind es, die auch Hubert antreiben. Natürlich wird seine Reise für uns auch ein gutes Kommunikationstool sein: Es wird eine Kooperation mit dem ORF geben, im Rahmen der Reise wird ein Film entstehen, so eine Art River Movie.

Auf Ihrer Webseite gibt es eine aktive Zone, wo nach dem Unterschied zwischen linz09.at und linz09.info gefragt wurde. Was sagen Sie zu Ihrer kritischen „Nachbarplattform“?
Linz09.info wird privat betrieben. Kritische Foren sind für mich selbstverständlich okay – es gab nie einen Grund, sich dem entgegenzustellen. Gleichzeitig ist die Ähnlichkeit der Adresse natürlich erklärungsbedürftig. In letzter Zeit wurde auf dieser Site der Vorwurf erhoben, wir würden schlecht kommunizieren und mit Informationen hinter dem Berg halten. Das ist  nicht ernst zu nehmen: Wir reden oft über das Projekt, haben Termine bei unterschiedlichsten Interessensgruppen, wo wir Linz09 präsentieren. Von Management-Clubs über die Geistlichkeit bis hin zu Lehrern, um nur einige wenige zu nennen.  Mein Stellvertreter Uli Fuchs und ich nehmen, abgesehen von vielen internationalen Kontakten, Kommunikation auch ganz oft persönlich im Stadtraum wahr.

Vielleicht war ja die mangelnde Kommunikation auf linz09.info gemeint.
Wenn der Betreiber die Kommunikation bei ihm auf der Website gemeint hat, wäre das ein grundsätzlicher Denkfehler. Wir legen natürlich Wert auf unsere eigene Website, haben diese jüngst auch ordentlich gepuscht. Wir gehen nicht in Postingduelle auf einer fremden Website, nur um dort Debatten zu fördern.

Linz09 hat die Patenschaft des European Competition Award übernommen, dotiert also den Hauptpreis des Crossing Europe Festivals. Wird darüber auch debattiert?
Über diese Partnerschaft bin ich sehr froh. Natürlich ruft so etwas sofort Neid hervor, wie immer bei knappen Fördertöpfen. Das stört uns aber nicht, solange wir klare Antworten geben können, warum wir das tun. Und im Fall von Crossing Europe ist das kein Thema. Es kommen Leute wegen Linz09 zu Besuch und werden auf Crossing Europe aufmerksam. Und es kommen Leute wegen Crossing Europe und werden auf uns aufmerksam. Die Kooperation mit Crossing Europe verschafft internationale Aufmerksamkeit vor Ort, wer kommt, sieht sofort, dass sich in der Stadt etwas tut.

Und was werden die Besucher sehen, was sie nicht schon woanders gesehen haben?
Schon jetzt zum Beispiel das radikale Projekt „Schaurausch“, gemeinsam mit dem O.K Centrum für Gegenwartskunst und dem Linzer Cityring, also der Innenstadtvereinigung. Kunst in den Schaufenstern: ein Projekt, bei dem 50 Schaufenster leer geräumt und mit Kunst erfüllt werden. Und plötzlich sieht man Kunst nicht nur im Lentos oder im O.K, sondern im Vorbeigehen auf der Straße, rund um die Uhr. Das zeigt, was wir versuchen werden: Das Versprechen der Stadt mit anderer Währung einzulösen.