Filmkritik

Sitzfleisch

| Ines Ingerle |
Reisefilm, der kein Reisefilm ist

Oma und Opa Weber fahren mit dem Auto von Wien ans Nordkap und nehmen die erwachsenen Enkel Lukas und Lisa mit. Vor der Abreise treffen sie letzte Vorbereitungen: eigens getrocknete Würste werden eingepackt, Reisekataloge durchgegangen, Routen besprochen. Opa Weber, so stellt sich schnell heraus, ist ein klassischer Alt-Wiener, der das Granteln mindestens so gut beherrscht wie das Meidlinger L, gerne raucht und Elche lieber hat als Rentiere. Von Autoraststation zu Autoraststation, von Hotel zu Hotel, auf Fähren und über Grenzen bewegt sich die kleine Reisegruppe, stets beschallt von der ewig gleichen Schlagermusik.

Die Besonderheit der Konstellation: Die interagierende Enkelin Lisa Weber geht mit der beobachtenden Kamerafrau Lisa Weber und der gelassenen Regisseurin Lisa Weber eine Personalunion ein. Irritierend daran findet Opa vor allem, dass Lisa sich mehr für ihn als für die Umgebung oder das Ziel der Reise zu interessieren scheint. („Tu amoi de Landschaft da tun! Hoid ned immer mia den Apparat da…sonst geh i!“). Per se bereits lustige Situationen lässt Weber mit sachten Inszenierungselementen vollends in den Irrwitz driften: etwa, wenn die Truppe frühmorgens auf der Suche nach einem Café verzweifelt durch die Straßen irgendeines Ortes irrt, um sich nach einem harten Schnitt mit Supermarkteinkäufen auf einer Parkbank wiederzufinden.

Oder wenn Opa ein inmitten karger Landschaft stehendes weißes Sofa prüft und für „no guad“ befindet, bevor er mit den Worten „A Wepsn! Hurnviech!“ den Bildrahmen verlässt und Offscreen weiterschimpft („Mi vafoigt a Wepsn! Na schau da’s au! Hurenviech, du lausig’s!“).

Man könnte Sitzfleisch als Reisefilm bezeichnen, doch das wäre nur halb richtig. Vielmehr ist Sitzfleisch nämlich ein augenzwinkerndes Porträt eines seit 47 Jahren verheirateten Paares; eine Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen und Dynamiken; ein Versuch, Generationenkonflikte zu verstehen, und nicht zuletzt wohl auch ein Weg der Filmemacherin, die eigenen Wurzeln besser zu begreifen. Dabei schafft sie es, dem Zuschauer Einblick in eine intime Welt zu gewähren, ohne den Protagonisten ihre Würde zu nehmen.

„Oma, wie hältst du den Opa aus?“, ist eine der wenigen Fragen, die Lisa im Film direkt stellt – und während sich Oma um eine Antwort windet, wird klar: Letztlich berührt Sitzfleisch auch als Film über eine ganz eigene, traurig-schöne Art der liebevollen Akzeptanz.