Die Reihe „Lost Movies“ fischt für die Leinwand des Filmcasinos versteckte
Perlen aus dem Videoregal. ray präsentiert eine davon: Den South-Western „The Three Burials of Melquiades Estrada“ von Tommy Lee Jones.
Einem verstorbenen Freund den letzten Wunsch zu erfüllen, ist unter Cowboys sozusagen eine Frage der Ehre. Wenn dieser Freund von minderqualifiziertem Amtspersonal nachlässig irgendwo eingebuddelt wurde, dann gräbt man ihn halt wieder aus, und macht sich mit ihm auf den Weg dorthin, wo er seine Ruhe zu finden meint. Auch wenn man nur einen schnell hingekritzelten Lageplan dieses Ortes hat. Selbst wenn der Ort jenseits der Grenze liegt, wohin man nur illegal gelangen kann. Umkehren verboten, auch wenn gegen Ende der Reise Zweifel aufkommen, ob es besagten Ort überhaupt gibt.
Wenigstens für Tommy Lee Jones ist so etwas eine Frage der Ehre. Der Western-Aficionado bekam das entsprechende Skript in die Hände und beschloss ohne Umschweife, seine zweite Regiearbeit nach der TV-Produktion The Good Old Boys (1995) daraus zu machen: The Three Burials of Melquiades Estrada. Obwohl der Neo-Western 2005 gleich zwei Preise beim Festival in Cannes verbuchte, schaffte er es nicht in die hiesigen Kinos. Für die Hauptrolle des Vorarbeiters einer texanischen Rinderfarm erhielt Jones den Schauspielerpreis, Autor Guillermo Arriaga bekam jenen für das beste Drehbuch. Wäre Arriaga damals schon für den Oscar nominiert gewesen (wie heuer für Babel), Three Burials müsste wahrscheinlich nicht erst als „Lost Movie“ vom Filmcasino ausgegraben werden, um Breitwand-gerecht auf Leinwand präsentiert zu werden.
Arriaga ist als Stammautor von Alejandro Gonzáles Iñárritu bekannt (Amores Perros, 21 Grams und eben Babel), die verschachtelte Struktur von Three Burials ist dementsprechend kein Wunder. Der Unfall, der zum Tod des Titelhelden führt, wird – ein bei Iñárritu weidlich genutzter Kniff – aus verschiedenen Perspektiven gezeigt. Nicht immer leicht verfolgbare Zeitsprünge verkomplizieren die Handlung (auch das kennen wir aus den Filmen Iñárritus), verdeutlichen aber, wer hier mit wem wie verbandelt ist. Wobei das personale Netzwerk einer kleinen Grenzstadt in Texas naturgemäß dicht gestrickt ist: Hauptfiguren neben Vorarbeiter Pete (Jones) und Melquiades (Julio Cedillo) sind Petes Geliebte (Melissa Leo), sein alter Freund, der Sheriff (Dwight Yoakam), ein Dillo von einem Grenzwachebeamten (Barry Pepper) und dessen reizende Freundin (January Jones). Dem Grenzer wird ein scheinbar stilles Stelldichein mit einem Pornoheft zum Verhängnis (eben: „Neo“-Western), im Zuge des Canossa-Ritts mit Pete über die Berge wird er dafür reichlich starke Schmerzen erleiden müssen.
Wie viel Eastwood und wie viel Peckinpah in diesem Film stecken, mag jeder für sich beurteilen, definitiv einiges an Peckinpah steckt in The Proposition, einem weiteren „Lost Movie“ im Filmcasino (siehe Tipp Seite 58). Bruno Dumonts Horror-Studie Twentynine Palms (Tipp Seite 58) und die gut gelaunte britische Zombie-Parodie Shaun of the Dead komplettieren die Reihe.