Zwei kleine Jungen inszenieren im ländlichen England der frühen Achtziger eine Fortsetzung von Rambo: Garth Jennings entwirft mit „Son of Rambow“ ein Plädoyer für die kindliche Liebe zum Film und die Lust an der Raubkopie.
Eltern haben es nicht leicht, wenn es um die heikle Frage geht, welche Filme man Kindern zumuten kann. Selbst Filmfans, die sich bereits in früher Jugend die härtesten Action- und Horrorkracher gegeben und unbeschadet überstanden haben, mutieren plötzlich zu pazifistischen Gralshütern, wenn es um den Genrekonsum des eigenen Nachwuchses geht. Über dieses Paradox sollte man nachdenken, bevor man sich mit seinem Kind den herrlichen Kinder- und Jugendfilm Son of Rambow anschaut – denn erstens macht der Film vermutlich nur halb so viel Spaß, wenn man die „Inspirationsquelle“ nicht vorher geschaut hat, und zweitens wird jeder 11-Jährige spätestens nach Son of Rambow auch den „Papa“ kennen lernen wollen. Nicht, dass das irgendein Problem wäre: Schon bei seiner Erstaufführung 1983 war Rambo: First Blood der Lieblingsfilm aller 10- bis 13-Jährigen, wahrscheinlich nicht nur in meiner Schule (selig die Zeiten laxer Alterskontrollen in den Kinos).
Bei Will Proudfoot (Bill Milner), dem Helden von Son of Rambow, läuft es etwas anders. Der 11-Jährige wächst Anfang der Achtziger Jahre im ländlichen England auf. Wie seine allein erziehende Mutter gehört er einer fundamentalistischen christlichen Sekte an, die alle Formen moderner Unterhaltung verbietet – ein Drehbuchkniff, den man durchaus als ironisch überspitzte Variante übervorsichtiger Normalo-Eltern verstehen kann. Für Will bedeutet das: keine Popmusik, keine Comics, keine bewegten Bilder. Sein künstlerisches Talent als Cartoon-Zeichner muss der Junge heimlich ausleben. Selbst wenn in der Schule pädagogische Lehrfilme gezeigt werden, muss Will den Raum verlassen. Als er wieder einmal auf dem Schulflur auf das Ende einer Vorführung wartet, macht er die Bekanntschaft des gleichaltrigen Schulrabauken Lee Carter (Will Poulter), der ihn prompt mit einem Flummi bewirft und damit den Grundstein für eine wunderbare Freundschaft legt.
Bereits in dieser ersten Begegnung setzt Regisseur Garth Jennings den popkulturell anspielungsreichen Tonfall für den Rest des Films: Mit der gleichen Geste wie einst Steve McQueen in Papillon schleudert der rebellische Lee seinen Gummiball gegen die Mauern seines ganz persönlichen Gefängnisses. Zugleich erinnert Poulter, der hier sein Kinodebüt gibt, sowohl vom Aussehen, als auch in seinem Temperament an den jungen River Phoenix. Er spielt Lee mit einer bemerkenswert präzise austarierten Mischung aus latenter Aggressivität und kindlicher Verletzbarkeit, wobei stets spürbar bleibt, dass bei ihm das eine untrennbar mit dem anderen zusammenhängt. Lee, der aus einer wohlhabenden Familie stammt und im Gegensatz zu seinem neuen Kumpel überhaupt keine Grenzen und Regeln zu kennen scheint, nimmt Will mit in ein Versteck, wo er für seinen älteren Bruder VHS-Raubkopien großer Kinofilme zieht, die er zuvor mit seiner Videokamera von der Leinwand abgefilmt hat. Hier kommt der verschüchterte, aber sehr wach auf die Welt blickende Junge in den Genuss seines ersten Kinofilms: Rambo. Es ist, wie sollte es anders sein, eine in jeder Hinsicht überwältigende Erfahrung. In einer zauberhaften Sequenz visualisiert Jennings kurz darauf den unkontrollierbaren Bilderstrom, der Wills Gedankenwelt fortan erfüllt – für den Jungen öffnet sich, John Rambo sei Dank, ein völlig neuer, orgiastischer Kosmos, und selten hat man im Kino schönere Bilder für die erwachende Cinephilie eines jungen Menschen gesehen.
Lee erkennt sehr schnell das Talent, die Begeisterungsfähigkeit (und die Kontrollierbarkeit) seines Freundes und weiht ihn in sein großes Projekt ein: eine selbst inszenierte „Fortsetzung“ von Rambo. Wenn die Jungs mit viel Fantasie, großer Leidenschaft und noch größerer Leidensfähigkeit Spezialeffekte improvisieren und Dialogszenen nachspielen, erinnert das natürlich an Michel Gondrys Be Kind Rewind. Beide Filme sind eine enthusiastische Hommage an die Kraft des Kinos, aber anders als der ebenso schöne Be Kind Rewind ist Son of Rambow noch ein bisschen mehr, nämlich die sehr jugendgerecht aufbereitete Coming-of-Age-Geschichte zweier vaterloser Jungen, die durch das Medium Film einen Weg finden, mit ihren Problemen und Ängsten umzugehen – und ja, diesen Problemen auch zu entfliehen: Nicht umsonst war Eskapismus schon immer eine der Hauptattraktionen, die die Menschen ins Kino gezogen hat. Aber auch in seinen zahlreichen, durchaus nostalgischen Bezügen zu popkulturellen Phänomenen der Achtziger Jahre (von New-Wave-Moden und Knutschpartys bis zu Songs von Duran Duran und The Cure) erteilt Garth Jennings allen Formen puritanischer Lust- und Bilderfeindlichkeit eine klare Absage. Nun mögen überbesorgte Eltern trotz allem fragen, weshalb man nicht einen „harmloseren“ Film als Basis für die cinephile Initiation der Jungen gewählt hat. Aber genau das ist vielleicht die zentrale Erkenntnis von Son of Rambow: Garth Jennings, als Jahrgang 1972 selbst ein „Kind Rambos“, weiß, dass die kindliche Liebe zum Film nicht durch die großen Klassiker ausgelöst wird, sondern durch die düsteren Sumpfblüten des Genrekinos.