Es wird metaphysisch: Pete Docters und Kemp Powers‘ neuer Pixar-Hit, ein heißer Oscar-Kandidat, ist vorläufig als Stream zu sehen.
Was ist der Sinn des Lebens? An dieser Frage sind verständlicherweise schon viele gescheitert. Soul, der neue Film aus dem Hause Pixar unter der Regie von Pete Docter und Kemp Powers, gibt eine atemberaubend animierte Antwort: Mit dem Leben verhält es sich ähnlich wie mit dem Jazz: Man muss improvisieren.
Der Held dieser besonderen Geschichte ist der New Yorker Musiklehrer Joe Gardner (im Original gesprochen von Jamie Foxx), der versucht, seinen haltlosen Schülern beizubringen, wie man musiziert. Joe braucht den Job, aber er träumt von einer großen Karriere als gefeierter Jazzpianist. Was für einen Sinn hätte sein Leben sonst?
Just in dem Moment bietet sich ihm die Chance, in der Band der legendären Saxophonistin Dorothea Williams (Angela Bassett) zu spielen. Vor lauter Freude läuft er mit seinem Handy durch die Straßen von Manhattan, um allen zu erzählen, dass sein Traum endlich wahr geworden ist. Da fällt er in einen offenen Gullischacht – und ist tot.
Und als wären wir in dem Klassiker Stairway to Heaven gelandet, befindet sich seine Seele auf einer Rolltreppe direkt ins „Große Jenseits“. Joe weigert sich, sein Schicksal so kurz vor seinem großen Durchbruch zu akzeptieren und schleicht sich stattdessen in das „Große Davorseits“, einer Art Trainingslager für ungeborene Seelen, türkisblaue Flummibälle, die in einer surreal pastellfarbenen Welt herumhüpfen. Ihre Persönlichkeit bekommen sie von Picasso-ähnlichen Strichmännchen namens Jerry zugewiesen, aber sie dürfen nicht auf die Erde reisen, um geboren zu werden, bis sie ihren eigenen „Funken“ finden.
Natürlich sollte Joe überhaupt nicht hier sein. Eine kubistische Seelenzählerin namens Terry (Rachel House), die wie lui aus der Siebziger-Jahre-Zeichentrickserie La Linea aus einer Linie besteht, rennt den Seelen akribisch mit einem Abakus hinterher, um sicherzugehen, dass jede an ihrem richtigen Platz landet. Also gibt sich Joe als Mentor für die junge, aufmüpfige Seele Nr. 22 (eine hämische Tina Fey) aus. Sie hat ihren Funken noch nicht gefunden. Sie weiß genug über die Erde, sagt sie zu Joe, um zu wissen, dass sie nicht dort leben will („Erde ist dämlich“). Letztendlich finden Joe und 22 ihren Weg auf die Erde, aber nicht in der Art – oder Form – die er erwartet hatte.
Soul ist Pixars originellster Film seit langer Zeit sowie der erste der kalifornischen Zeichentrickschmiede mit einem schwarzen Helden und hauptsächlich schwarzen Figuren – zumindest in den Szenen auf der Erde. Das macht ihn noch bemerkenswerter, als er ohnehin schon ist. Aber es ist kaum das erste Mal, dass Pixar sich mit mächtigen philosophischen Themen auseinandersetzt, die bei Erwachsenen mehr Resonanz finden sollten als bei den jüngeren Seelen. Soul erteilt uns eine wertvolle Lektion darüber, wie man Freude am Leben findet – auch wenn es uns enttäuscht.
Und wenn es das tut, dann müssen wir jazzen. Die Musik ist nicht nur Untermalung hier, sondern sie ist die Seele des Ganzen. Trent Reznor und Atticus Ross (The Social Network, Mank) liefern die futuristischen Pieptöne für das „Große Davorseits“ während der Jazzmusiker John Batiste, der Leiter von Stephen Colberts Late-Night-Band, die Persönlichkeit von Joe einfängt. Und während das „Davorseits“ eine Explosion von Formen, Perspektiven und Dimensionen ist, erinnern die fotorealistischen Animationen in der realen Welt an die pulsierenden Bilder von New York City, die uns die Pandemie genommen hat.
Der zweifache Oscar-Preisträger Pete Docter, der Mann, der uns mit Inside Out eine überschwängliche Fabel über den Wert von Traurigkeit geschenkt hat und für die Up -Sequenz verantwortlich ist, die so viele von uns zum Weinen gebracht hat, nimmt Kinder sehr ernst. Wir werden alle mit Träumen geboren, scheint er zu sagen, voller Ideen und Eigenheiten, aber Joes Geschichte beweist, dass wir nie sicher sein können, was unser „Funke“ ist. Und es könnte nicht das sein, was wir denken, dass es ist. Manchmal ist es ein in Fett getränktes Stück Pizza. Und manchmal ist es ein Ahornsamen, der in der Herbstbrise wirbelt.