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Stefan Ruzowitzky – Narziss und Goldmund

Narziss und Goldmund | Interview

Da weinst du fünfmal

| Jakob Dibold |
Stefan Ruzowitzky über seine Hermann-Hesse-Verfilmung „Narziss und Goldmund“

Vorrausichtlich im März nächsten Jahres wird es so weit sein: Stefan Ruzowitzkys Interpretation des Literaturklassikers von Hermann Hesse erreicht die Kinosäle. Im Interview spricht der Filmemacher über den langen Prozess, zeitlose Reize des Stoffes, verschiedene Lebenswege – und über Boygroups.

Die Arbeit an „Narziss und Goldmund“ begann 2014. Hat der Film eine besonders komplizierte Produktionsgeschichte? Das Endergebnis ist auch Ihr erstes selbst geschriebenes Drehbuch seit längerem – war auch dies herausfordernd, hinsichtlich der Herangehensweise mit vielen Rückblenden?
Stefan Ruzowitzkys: Ja, die Produktionsgeschichte ist durchaus kompliziert, weil es eben ein großer, hoch budgetierter Film ist. Das macht es immer kompliziert. Je kleiner, je weniger Budget und je weniger finanzielle Interessen, desto lockerer; wenn dann Viele zahlen, dann fühlt sich auch jeder dazu berufen beziehungsweise verpflichtet, ein bisschen mitzureden. Bezüglich des Drehbuchs: nein. Die Rückblenden waren von Anfang an die Grundidee. Ich habe einige andere Drehbuchversuche gelesen – es gibt seit Jahrzehnten Versuche, das zu machen, Volker Schlöndorff und ich weiß nicht, wer das alles mal versucht hat. Und mir kam vor, dass ein Hauptproblem der Umstand ist, dass im Buch Narziss eigentlich nur ganz am Anfang und ganz am Ende da ist. Dadurch ist es natürlich schwer, diese große Freundschaft zu erzählen, wenn du die beiden nie zusammen siehst. Durch die Rückblendentechnik habe ich Narziss ständig präsent. Ich versuche, die Authentizität meines Buches zu wahren und keine faulen Kompromisse einzugehen. Aber man möchte auch nicht sagen, alles was man geschrieben hat, war göttlich und jetzt kommen irgendwelche Trottel und machen das kaputt, so ist es ja nicht. Man sieht dann natürlich auch, wie gewisse Dinge vom Rezipienten anders verstanden, anders gelesen werden. Manches musst du ändern, weil es vielleicht richtig gemeint ist, aber so, wie es im Buch steht, von anderen nicht verstanden wird. Das ist immer ein langer Prozess, bei dem sehr viele Leute mitreden.

Eine Literaturverfilmung, noch dazu eines sehr bekannten Stoffes – da muss man diesem ja eine gewisse Zeitlosigkeit attestieren – worin liegt die? Die Geschichte spielt ja doch immerhin im Mittelalter.
Stefan Ruzowitzkys: Die Geschichte spielt im Mittelalter, ja, doch selbst bei Hesse bleibt unbestimmt, wann und wo genau. Es ist zwar vieles angelehnt an Biografisches, aber es sind dann eben die Interpretatoren, die zum Beispiel sagen, Meister Niklas sei Tilman Riemenschneider oder so. Aber Hesse wird sich schon etwas dabei gedacht haben, dass er eben kein Datum und keinen Ort angibt. Das haben wir auch so gehalten. Die Idee war jetzt auch nicht, dass ich mein Bild des Spätmittelalters auf die Leinwand bringe, sondern Hesses sehr romantisierende Sicht dessen. Das ist schon etwas anderes. Ohne mich jetzt herausreden zu wollen, aber ich habe eben nicht irgendeine Geschichte auf die Leinwand gebracht, sondern versucht, in jeder Beziehung den Geist einer literarischen Vorlage umzusetzen – wenn auch mit mutigen Veränderungen.

Wie zentral waren dann die gängigen Interpretationen der Figur des Narziss einerseits – Stichworte Vater, Gott, Askese, Lehre –, und des Goldmund – Stichworte Mutter, Kunst, Lebemann, Triebhaftes?
Stefan Ruzowitzkys:
Das ist schon die Essenz, diese Lebenswege zu verhandeln: der eine sehr extrovertiert, Kunst, Frauen…, der andere ganz introvertiert, er bleibt im Kloster, stellt sich nicht dem Leben, der Realität; und am Schluss wird das ja auch diskutiert. Diese Essenz muss drinnen sein, das ist klar. Die großen Veränderungen, die ich gemacht habe, betreffen wie gesagt die Struktur. Und, was ich gemacht habe, war, die Frauenfiguren stärker zu zeichnen, als das bei Hesse der Fall ist. Ja, es verlieben sich immer noch alle in Goldmund, aber sie sind dann in diesen unterschiedlichen Beziehungen eigentlich immer auf eine Weise die Stärkeren. Es ist jetzt nicht nur so, dass alle Frauen, auf die er trifft, sich ihm seufzend darbieten, sondern die haben alle ein Interesse und sind einfach in dem Sinn modern, dass sie selbstbewusste, starke Frauen sind.

Aber dann geht es schon auch um eine gewisse Auseinandersetzung mit strenger Religiosität, oder?
Stefan Ruzowitzkys:
Religiosität… nein, würde ich nicht als das Thema sehen. Narziss fragt sich im Buch – und auch bei mir im Film – angesichts des Lebens von Goldmund, der eben alle Höhen und Tiefen durchgemacht hat, viel mit Frauen erlebt hat, der jemanden umgebracht hat, ein Kind gezeugt hat… – ob das nicht doch das bessere Leben ist im Gegensatz zu seinem, der er nur in der Studierstube gesessen ist. Ob es nicht besser ist, dass man sich dem Leben stellt, Fehler macht und dafür büßt, als sozusagen auf der sicheren Seite, nur in der Kirche zu bleiben. Ich würde es also nicht in erster Linie als eine Auseinandersetzung mit der Religion sehen, sondern eher als Auseinandersetzung mit dem Lebensentwurf des Intellektuellen, sich eben nicht den Dingen zu stellen, sondern lieber zu sagen: Ich gehe nicht raus, sondern ich lese darüber. Oder schaue mir einen guten Film zu dem Thema an. Und der Intellektuelle im Mittelalter ist nun mal ein Mann der Kirche.

Ich möchte kurz etwas vorlesen, wahrscheinlich erkennen Sie es:
It’s tearin’ up my heart when I’m with you
But when we are apart, I feel it too
And no matter what I do, I feel the pain
With or without you
Ja. (Lacht.)

*NSYNC, „Tearin’ up my Heart“. Beim zugehörigen Musik­video führten Sie Regie, vor 22 Jahren. Fühlt man sich nach so vielen Jahren auch manchmal schon als eine Art „Meister“, mit so viel Erfahrung?
Stefan Ruzowitzkys:
So als Altmeister? (Lacht.) Nein, ich meine, Erfahrung habe ich schon. Handwerklich gesehen, im mittelalterlichen Sinne bin ich ein Meister, der weiß, was er tut, der im Budget bleibt, im Zeitplan bleibt, weiß, was technisch möglich ist und damit umgehen kann – wobei es immer noch tausend Sachen zu lernen gibt, jetzt hier zum Beispiel bei Hinterland machen wir gerade etwas völlig Neues, was hierzulande noch nie so gemacht wurde –, das ist der sicherlich der Fall. Man muss nur aufpassen, dass man über die handwerkliche Brillanz nicht so ein bisschen das Herzblut verliert. Es ist ja oft so, dass die Erstlingswerke eine spezielle Kraft haben, und es einem später schwerfällt, diese wieder zu generieren. Denn die Erfahrung ist natürlich auch ein Hund, sie kann einen auch hindern, weil man dann vielleicht sagt, „Das mache ich nicht, weil da weiß ich schon, das geht nicht, und da weiß ich schon, da ist die Gefahr“ und so weiter, und sich selbst sehr einengt. Bei deinem ersten Film weißt du das alles nicht, du machst einfach. Wenn du Pech hast, wird es ein Desaster. Aber bei mir war es super, weil ich Glück gehabt habe. Das versucht man sich zu bewahren. Sidney Lumet hat einmal gesagt, wenn er mit seinen Schauspielern probt, sind die am Anfang super und im Lauf der Arbeit werden sie immer schlechter. Denn dann wird es Routine, es ist nicht mehr diese Frische dabei. Nur wenn man dann lange genug probt, wird es einmal so gut, wie es auch ganz am Anfang nicht war. Das gilt, glaube ich, für uns alle: Am Anfang schöpfst du aus Frische, Naivität, Begeisterung heraus eine Qualität, und die verlierst du dann, wenn du dazulernst. Wenn du allerdings lange genug dazulernst, lange genug dranbleibst, dann wirst du irgendwann einmal wirklich, wirklich gut. Und wenn ich jetzt höre, der neue Film von Scorsese soll der beste sein, den er überhaupt je gemacht hat, dann hat er das vielleicht geschafft: am Schluss nicht nur noch ausgebufft sich selbst zu zitieren, sondern all das zu bündeln, was er in den vergangenen Jahrzehnten gelernt hat.

Schon in diesem Musikvideo von *NSYNC werden quasi fünf junge Goldmunds präsentiert, die von Lebenslust getrieben äußerst dramatisch ihre Emotionen artikulieren – um also von dem Kulturphänomen Boy­group noch eine Brücke zu schlagen: Inwiefern wollten Sie auch das Thema „Männerfreundschaft“ verhandeln?
Stefan Ruzowitzkys: (Lacht.) Es ist natürlich ein großes Thema, ja. Im Buch wie im Film gibt es ja auch eine gewisse Homoerotik. Goldmund ist der große Frauenschwarm, und es ist ziemlich offensichtlich, dass Narziss, wenn er sich denn Gefühle oder Sexualität erlauben würde, wahrscheinlich schwul wäre, und wenn, dann wahrscheinlich am liebsten etwas mit Goldmund haben würde. Es ist keine schwule Liebesgeschichte. Aber es ist das, was in Männerfreundschaften schon mitunter vorkommen kann, dass sich ein „bro“ vielleicht ein bisschen mehr wünschen würde als der andere. Heutzutage ist das ja auch ein offeneres Thema, weil Homosexualität nicht mehr so stigmatisiert ist wie vor ein paar Jahrzehnten. Wenn es jetzt um den Bezug zu Boygroups geht: Auch diese haben sehr strategisch bewusst auch immer ein homoerotisches Element drin, es gibt in ihrer öffentlichen Präsentation andauernd Berührungen und Umarmungen. Und mittlerweile weiß man ja, dass in vielen Boygroups ein, zwei dabei waren, die sich dann später als homosexuell geoutet haben. Offensichtlich war das etwas, das den weiblichen Fans auch gefallen hat. Solch einen homoerotischen Touch habe ich bei diesem Video und bei anderen schon sehr bewusst mitspielen lassen.

Zuletzt die obligatorische Frage: Wird Stefan Ruzowitzky eher eine Zeit lang ins Kloster gehen oder eher einen Roman schreiben? Das ließe sich übrigens auch gut kombinieren.
Stefan Ruzowitzkys:
(Lacht.) Ja, das ist dasselbe! Aber diesbezüglich bin ich schon eher Goldmund, jemand, der die Reize von außen braucht, um das dann im stillen Kämmerlein zu verarbeiten. Bei mir ist es so, oder ich bilde mir zumindest ein, dass ich das Beste aus beiden Welten habe: Als Drehbuchautor eine klassische Narziss-Existenz, wo alles nur im Kopf passiert, und als Regisseur Goldmund in Reinkultur – du hast den ganzen Tag mit Leuten zu tun, du erschaffst Welten und es ist alles immer irre emotional und groß und aufregend, jeden Tag zwölf Stunden lang. Diese beiden Seiten ergänzen sich in meinem Arbeitsleben ganz gut.

Das Medium Film ist also der beste Mittelweg?
Stefan Ruzowitzkys: Für mich definitiv, ja. Ich würde mir nichts anderes wünschen. Mit Film kannst du einerseits Welten erschaffen – gerade bei einem Film wie Narziss und Goldmund sieht man es das besonders, weil es zwar Mittelalter ist, aber ein sehr spezifisches Mittelalter; wir haben viel mit Farben experimentiert und versucht, eben nicht so ein 08/15-, schon tausend mal gesehenes Mittelalter hinzustellen. Der andere Aspekt daran ist – und das ist wieder der Narziss in mir –, dass ich, der ich eher kein extrovertierter, emotionaler Mensch bin und dies sicherlich ein bisschen über Filme kanalisieren kann: In meinen Filmen versuche ich immer, meinen Figuren das große Gefühl zuzuschreiben, was ich in meinem eigenen Leben stets versuche, zu verbergen oder eben nicht ganz so deutlich auszuspielen. Meine Figuren hingegen kippen da voll hinein, die kann man ja auch alles erleben lassen, was man sich selbst vielleicht nicht traut. Emotion hat ja auch sehr viel damit zu tun, dass man sich Sachen traut, beziehungsweise ist es meine Theorie, dass man Kunst überhaupt und Film im Besonderen als eine Form genießt, ein emotionales Erlebnis käuflich zu erwerben. Du weinst zu einer schönen Musik oder weil der Film so berührend ist, und du fürchtest dich im Kino, und du lachst, und du kriegst all diese starken Emotionen, die du im normalen Leben zwischen Wäschewaschen und Ins- Büro-Gehen so selten hast. Du denkst dir: „jetzt möchte ich mal wieder eine richtige Emotion haben, ich gehe ich ins Kino!“ Und ja, bei diesem Film, Narziss und Goldmund, verspreche ich: Da weinst du mindestens fünfmal, weil das alles so berührend ist und so schön und so traurig. Das sehe ich durchaus auch als eine legitime Aufgabe von Kunst und Kino. Die tollen Filme, sind die, die uns emotional berühren. Wenn man dich fragt, welchen Film du super fandest, dann sind das in der Regel die, bei denen du geheult hast oder dich gefürchtet hast oder bei denen du irre gelacht hast – wo du also ein ganz starkes Gefühl für deine zehn Euro bekommen hast.