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Still Alice

Filmkritik

Still Alice

| Alexandra Seitz |
Behutsame Annäherung an einen neuen Feind, oder: Ein Film über eine Krankheit kann nicht lustig sein.

Kann ja mal vorkommen, dass einem ein Wort entfällt. Es ist natürlich ein wenig peinlich, wenn das coram publico passiert, aber die Welt geht auch dann nicht unter, wenn der berühmten Linguistin vor versammelter Fachkollegenschaft der Ausdruck „Spracherwerb“ nicht einfallen will. Mit den Wahrnehmungsstörungen, die kurz darauf einsetzen, dem für Sekunden/Minuten aus-der-Raumzeit-Fallen, verhält es sich da schon anders. Die 50-jährige New Yorker Professorin Alice Howland ist beunruhigt, geht zum Arzt und erhält die Diagnose Alzheimer; sie leidet an der vergleichsweise seltenen, erblich bedingten Form der Demenzerkrankung, an deren tragischem Verlauf das allerdings nichts ändert.

Dass da jemand in den besten Jahren, in der Blüte seines Lebens, sozusagen bei vollem Bewusstsein und lebendigen Leibs der Gehirnfäule erliegt – eben dieser Umstand ermöglicht es Richard Glatzer und Wash Westmoreland in ihrem Film Still Alice der Krankheit jenseits bereits etablierter Klischees näher zu kommen. „Kennzeichnend für die Erkrankung ist der langsam fortschreitende Untergang von Nervenzellen und Nervenzellkontakten“ heißt es auf der Website der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Trockene Worte, die Julianne Moore in der Rolle Alice Howlands mit Leben füllt. Für ihre Darstellung einer Frau, die sich allmählich selbst abhanden kommt, wurde Moore bereits mit zahlreichen Preisen, darunter dem Golden Globe, ausgezeichnet. Ihr Spiel ist gefühlvoll und nuanciert, es hält einen Film zusammen, der das Auseinanderdriften der Welt eines Individuums zeigt, in der am Ende nur noch dieses nicht mehr funktionierende Individuum übrig bleibt. Dem langsamen Verlöschen der Hauptfigur stehen die zunehmend überforderten Angehörigen und Freunde gegenüber. Denn keineswegs nebenher erzählt Still Alice ja auch die Geschichte einer Familie, die mit dem in ihrer Mitte sich ausbreitenden Schwarzen Loch umzugehen versuchen muss.

In ihrer Adaption von Lisa Genovas 2009 erschienenem, gleichnamigem Roman dringen Glatzer und Westmoreland zudem in den ebenso befremdlichen wie erschütternd virulenten Bereich des metaphorischen Potenzials von Krankheiten vor und zeigen Alzheimer als soziales Stigma. Niemand wird über die Demenz eine Oper schreiben wie Puccini mit „La Bohème“ über die Schwindsucht. Und tatsächlich sagt Alice einmal: „I wish I had cancer.“ Nicht nur das ist zum Heulen.