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Take Shelter

Take Shelter

Apokalypse und Rationalität

| Michael Pekler |

„Take Shelter“, das neue, preisgekrönte Werk des Regisseurs und Drehbuchautors Jeff Nichols, vereint meisterhaft Endzeit-Drama und Paranoia-Thriller.

Wer verstört ist, will nicht gestört werden. Der Mann mit dem beigefarbenen Hemd steht vor seiner weiß gepinselten Garage und starrt nach oben. Seltsam dunkle Wolken sind aufgezogen, und die ersten Tropfen klatschen auf die Erde und seine offene Hand. So kann er nicht nur beobachten, sondern muss er am eigenen Leib spüren, was da vom Himmel kommt.

Gerade so als könne er sich von dem Erlebten reinwaschen, sieht man ihn in der nächsten Einstellung unter der Dusche stehen. In der Küche sitzen seine Frau und seine kleine Tochter beim Frühstück. Als der Mann ins Zimmer tritt, versucht er, sich am Gespräch zu beteiligen, doch der Eindruck des Gesehenen hat seine Spuren hinterlassen. Als er vor das Haus tritt, um zur Arbeit zu fahren, ist der Himmel blau.

Damit ist die grundsätzliche Dichotomie dieses Films bereits nach wenigen Minuten vorgegeben: Take Shelter ist ein Film über einen Mann und dessen Verhältnis zur Welt, der er nicht mehr trauen kann; ein Film über falsche und echte Wahrnehmung und somit über Angst, Paranoia und die damit einhergehende Frage nach dem Vertrauen in diese Außenwelt. Take Shelter erzählt aber auch die Geschichte eines Mannes, der in der Art und Weise, wie er mit diesen Ängsten umgeht, völlig normal scheint; und der nach einer logischen Erklärung für die apokalyptischen Bilder sucht, die auf ihn einprasseln wie die gelben, zähflüssigen Tropfen vom Himmel. Er sucht die Ursache für diese Visionen, die er mit einem nahenden, alles zerstörenden Sturm in Verbindung setzt, in seinem Kopf. Und er tut das, was viele in seiner Situation tun würden: Curtis gräbt sich ein.

Dieses Eingraben ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn Curtis baut hinter seinem Haus, wo sein Grundstück nahtlos in die weite Graslandschaft Ohios übergeht, einen unterirdischen Schutzraum – genauer gesagt, er baut einen bereits vorhandenen aus. Das ist ein nur scheinbar unwichtiges Detail, das aber in Summe mit vielen anderen die Stärke und die Faszination dieses Films ausmacht. Denn Curtis findet auf seinem eigenen Grund somit bereits einen Nährboden für seine Ängste vor, und nur so kann das, was Sicherheit bieten soll, in der Folge ins Gegenteil umschlagen. Mit einer Stabtaschenlampe steigt er zunächst in den Bunker hinab, erforscht die Möglichkeit der Inbetriebnahme und macht sich mit obsessiver Professionalität an die Umsetzung seines Plans. Der Bunker soll ihn und seine Familie schützen, wenn der befürchtete Sturm übers Land zieht und seine Albträume, die ihn in regelmäßigen Abständen heimsuchen, wahr werden. Dass sie wahr werden, daran lässt Regisseur und Autor Jeff Nichols von Anfang an keine Zweifel, wohl aber an den Wahrheitskriterien selbst.

Curtis ist ein einfacher Mann. Er arbeitet als Maschinist bei einer Firma, die in der Gegend Tiefenbohrungen durchführt. „You’ve got a good life, Curtis“, sagt sein Kollege zu ihm, und dass das als großes Kompliment zu verstehen sei. Meistens sieht man ihn bei der Arbeit neben einer riesigen Schraube stehen, die sich in die Erde dreht – nur einer der zahlreichen symbolischen Verweise, die Nichols völlig unaufdringlich inszeniert und sich gerade deshalb im Bewusstsein festsetzen: Wie die Rotation der Schraube bezieht auch der befürchtete Tornado seine zerstörerische Kraft aus einer spiralförmigen Bewegung, die Curtis anscheinend den Verstand raubt. Seine Frau, die sich hauptsächlich um die gehörlose Tochter kümmert, trägt mit Näharbeiten zum bescheidenen Familieneinkommen bei. Manchmal sieht man, wie die Nadel unaufhörlich in die Tiefe des Stoffes stößt.

Für ein Kleid bekommt sie einmal von einer Nachbarin ein paar Dollar bar auf die Hand, während Curtis bei seiner Bank einen riskanten Kredit aufnimmt, um seinen Schutzraum zu finanzieren. Doch zu diesen realen und zugleich metaphorischen Bohrungen kommen noch jene in Curtis’ Psyche. Offensichtlich sind das die Fragen der Ärzte, die Curtis konsultiert, und jene seiner Frau, die von ihrem Mann eine Erklärung für sein sonderbares Verhalten verlangt. Die am stärksten quälende Frage richtet aber Curtis an sich selbst.

Bodenständiges Halluzinationskino

Wenngleich man Take Shelter als Paranoia-Thriller etikettieren kann, unterläuft Jeff Nichols als Autor und als Regisseur auf subtile Weise die entsprechenden Topoi. Der Suspense, anfänglich noch ein Verharren in einem Zustand latenter Unsicherheit, weicht relativ rasch verstörenden Einschüben, die unmittelbar als Traumsequenzen ausgewiesen sind – spätestens wenn das Mobiliar im Wohnzimmer in der Luft schwebt und Curtis mit seiner kleinen Tochter furchtsam in einer Ecke kauert. Nichols interessiert sich in der Folge jedoch nicht dafür, die Intensität dieser albtraumhaften Bilder in genreüblicher Weise zu steigern und daraus einen Mehrwert zu generieren, sondern konzentriert sich auf Curtis’ Suche nach der möglichen Ursache, die als Krankheitsbild vielleicht in seine Familiengeschichte zurückreicht. Derart erzeugt Take Shelter weniger eine Spannung, als eine Anspannung; und dem entsprechend beim Zuschauer weniger eine Gespanntheit auf das Kommende, als eine permanente Angespanntheit.

Dass Nichols, der in Interviews wiederholt von einer Affinität zu Regisseuren wie Hitchcock, Kubrick und Spielberg erzählt, sich einer erprobten Filmsprache bedient, gereicht Take Shelter unbedingt zu Vorteil. Doch im Gegensatz zu Klassikern des Halluzinations-Kinos wie The Shining (1980) bleibt Nichols – der himmlischen Bedrohung zum Trotz – immer bodenständig. Während vergleichbare Paranoiafilme der vergangenen Jahre wie etwa M. Night Shyamalans The Happening, The Stepford Wives, The Forgotten oder zuletzt Christopher Nolans Inception stets die trügerische Wahrnehmung als solche ins Zentrum stellen und daraus ein mehr oder weniger ausgeklügeltes postmodernes Puzzlespiel kreieren, bringt Nichols einen neuen Realismus ins Genrekino ein; einen Realismus, der unmittelbar dem sozialen Umfeld der Personen und der Landschaft, durch die sie sich bewegen, geschuldet ist.

Wie den digitalen Effekten zum Trotz, mit denen sich in Curtis’ Visionen der Himmel verdunkelt und sämtliche Schattierungen zwischen Hellgrau und Schwarz aufweist, erfasst die Kamera immer wieder seine unmittelbare Umgebung: die sich im leichten Wind wiegenden hohen Bäume, die unglaubliche Weite der Felder, den Schmutz auf seiner Arbeitshose, die Blässe seiner Frau. Es ist kein Realismus, der Curtis’ Halluzinationen entgegensteht, sondern der diesen überhaupt erst ihre Wirkkraft verleiht. Auch die sozialen Einflüsse sind deutlich greifbar: Die für ein Hörimplantat nötige Versicherung droht mit Curtis’ Kündigung wegzufallen, die Ratenzahlungen des Kredits sind kaum leistbar, das Verhältnis zu den Arbeitskollegen ist nachhaltig gestört.

Cinemascope-Format

Bereits in seinem vor mittlerweile fünf Jahren entstandenen Debütfilm Shotgun Stories – ebenfalls mit dem ausdrucksstarken Michael Shannon in der Hauptrolle –, einem im ländlichen Arkansas spielenden Rachedrama, bewies Nichols ein auffälliges Gespür für die Lebensumstände, unter denen Menschen zu dem werden, was sie sind. Dass in Shotgun Stories die Fehde zwischen verfeindeten Halbbrüdern mit nahezu alttestamentarischer Wucht ausgetragen wird und am Ende zwei Männern das Leben kostet, ist nicht nur einer Vorliebe für das Genrekino geschuldet, mit der Nichols eine westerntypische Gewaltspirale auf eine gesichts- und namenlose Kleinstadt überträgt. Es ist auch das Resultat einer inneren Getriebenheit dieser Männer, die aus den äußeren Umständen, von Arbeitslosigkeit über Spielsucht bis zur erzwungenen Langeweile, resultiert.

Wie Shotgun Stories ist auch Take Shelter im Cinemascope-Format gedreht, und stärker noch als in seinem modernen Western forciert Nichols in seinem apokalyptischen Thriller eine aus der Breite der Leinwand erwachsende Bildgewaltigkeit. Je mehr sich die Anzeichen für den nahenden Sturm verdichten, je näher mit dem Tornado die Stunde der Wahrheit und der Erkenntnis rückt, desto kleiner und verletzbarer werden die Figuren auf der Leinwand. Als ob die unendliche Weite des Himmels die kleine Familie unter die Erde zwingen wollte.

In Terrence Malicks The Tree of Life gibt es das Bild eines Vogelschwarms, der in ständig sich ändernder Formation wellenartig über den Himmel rollt. Und wie bei Malick sieht Jessica Chastain auch in Take Shelter als zerbrechlich wirkende Ehefrau der Gewalt der Natur entgegen. Während die Vögel bei Malick jedoch am Horizont verschwinden, klatschen sie in Take Shelter tot auf die Erde.