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The Jesus Rolls

DVD/Blu-ray

„That creep can roll, man!“

| Jörg Becker |
The Jesus Rolls (USA 2019, von und mit John Turturro) ist ebenso ein Spin-off der „Dude-Story“ von 1998 wie ein satirisches Remake eines ehemaligen anarcho-erotischen Skandalfilms. Reichlich gaga, zumindest skurril.

The Big Lebowski (Joel und Ethan Coen, 1998) muss das Stichwort gewesen sein, das Produktionsvertrauen geschaffen, also geholfen hatte, The Jesus Rolls auf die Bahn zu bringen. Ende der 90er waren „The Dude“ (Jeff Bridges) und sein Freund Walter (John Goodman), der Slacker und der Kriegsveteran, recht eigendenkerisch und dubiose Ansichten erörternd tätig, und seither gilt „the Dudeism“ als Welthaltung, ein State of mind von geradezu überirdischer Coolness. Aus der chandleresken Story dieses legendären Coen-Brothers-Films ragt ein irres, unvergessliches Intermezzo heraus – der von Gitarrenmusik der „Gipsy Kings“ grundierte Auftritt eines Mannes in violettem Bowling-Overall und Haarnetz: „Jesus Quintana“, gespielt von John Turturro, als puerto ricanisches Bowling-Ass und gockelhafter Aufschneider, ein Kult-Charakter, dem nach zwanzig Jahren eine Wiederbelebung zuteil geworden ist. Das „Lebowski-Jesus-Halloween-Costume for Men“ (lila Overall, Haarnetz, schwarzer Bowling-Handschuh) soll angeblich immer noch zu kaufen sein.

„Nobody fucks with the Jesus.“
„Fucking Quintana, that creep can roll, man!“ („The Dude“ / Jeff Bridges) – „Yeah, but he’s a pervert, Dude.“ (Walter Sobchak / John Goodman) – – „Yeah.“ (Dude) – „No! He’s a sex offender with a record. He served six months in Chino for exposing himself to an eight-year-old.“ – „Oh!“ – Und nach einem Szenenwechsel von der Bowlingbahn zu einer Überschautotale auf eine Vorstadtsiedlung fährt Walter (Off) fort: „When he moved to Hollywood, he had to go door-to-door to tell everyone he was a pederast.“ – „What’s a pederast, Walter?“ (Donny / Steve Buscemi) – „Shut the fuck up, Donny.“

Jesus Quintana: „You ready to be fucked, man? I see you rolled your way into the semis. Dios mio, man. Liam and me, we’re gonna fuck you up.“

„You said it, man. Nobody fucks with the Jesus.“

Provokant leckt der Superbowler mit dem provokanten Hüftschwung die Kugel an, haut alle Zehne weg. Jesus’ Probleme als „Sex Offender“ erklärt Walter in der Szene während dessen Bowling-Performance: Er habe wegen Exhibitionismus gegenüber einem Kind im Knast gesessen. Die Delikte hebt Christopher Walken in seinem Mini-Auftritt als Gefängnisdirektor eingangs des Films dem Insassen zum Abschied nochmal ins Gedächtnis, nicht ohne dessen Verdienste als Bowling crack im Team der schwarzen Schafe zu würdigen. Mit drei Haftentlassungen verschiedener Figuren setzt The Jesus Rolls, der sich auch als ein lose gereihtes Roadmovie betrachten lässt, immer wieder neu an, macht Halt an Stationen zu Pointen, für deren Verständnis es viel guten Willen braucht, zumindest einen Sinn für absurden Humor.

Stranden am Straßenrand
Nachdem Jesus mit Kumpel Petey (Bobby Cannavale – in Woody Allens Blue Jasmine hatte er als Gingers Verlobter den Prolo gegeben, vertreten auch in Scorseses The Irishman und Edward Nortons Motherless Brooklyn), der vor dem Anstaltstor auf ihn gewartet hatte, sogleich ein „muscle car“ gestohlen hat, tauscht man immer wieder das Vehikel aus. Mal eignet man sich einen Rolls Royce an, während der Chauffeur durch eine Pinkelpause absorbiert ist, um auf dessen komfortabler Rückbank die sexualtherapeutischen Übungen mit Marie (Audrey Tautou, die ihre verträumte Amélie-Aura hier in der Rolle einer gutherzig-patenten Prostituierten hinter sich lässt) fortzusetzen („Ich schlafe mit jedem, und ich betrüge niemanden“), mal wechselt man zu einem Vintage car (Plymouth Fury), drückt sich dann in die Konservenbüchse eines Smart, um zuletzt wieder, ohne es zu wissen, in dem inzwischen umgespritzten Imponierschlitten vom Anfang zu landen, dessen Vorderachse man angesägt hatte. Eine Handlung im engeren Sinne ist nicht auszumachen, was auch eine Chance hätte sein können. Schließlich stranden die drei, deren Ménage à trois der Film in Impressionen eine Zeitlang verfolgte, als Anhalter am Straßenrand, vor malerischem Ausblick auf einen See und bewaldete Berge, bis die Einstellung von Kameramann Frederick Elmes, der schon Blue Velvet, Wild at Heart und Broken Flowers aufgenommen hatte, stillsteht, und die Beliebigkeit dieses Endes kommt nicht einmal überraschend.

Les Valseuses / Die Ausgebufften
John Turturro, der auch das Drehbuch schrieb und seine kuriose Bowler-Figur hier als Hauptrolle fortsetzte, legte die neuen Jesus-Abenteuer als Remake von Bertrand Bliers Regiedebüt von 1974, Les Valseuses (Die Ausgebufften), an, das, seinerzeit zum Skandalfilm avanciert, unter der Rubrik „Erotik-Satire“ rangierte, die einem wohl für anarchistisch geltenden Herumtreiben zweier Tagediebe – gespielt von Patrick Dewaere und dem noch nicht vollschlanken und steuerlich in Russland veranlagten Gérard Depardieu – und ihren Sexerlebnissen und derben Sprüchen und Praktiken folgt. In einem leeren Zugabteil belästigen die beiden eine stillende Mutter und bewegen sie durch Geld dazu, ihre Brust statt dem Baby Dewaere anzubieten. Turturro spielt auch auf diese Szene an. Neben dem Auftritt Christopher Walkens strahlt die Präsenz von Susan Sarandon als Ex-Häftling schauspielerische Klasse ab; sie verkörpert eine Frau, die vom Leben nichts mehr erwartet und sich nach einem Dreier mit Jesus und Petey erschießt, eine Rolle, die Jeanne Moreau in der Vorlage übernommen hatte. Vor fast 50 Jahren sollte vieles davon schockieren, gesellschaftliche Konventionen aushebeln, Tabus brechen – mit den veränderten Rezeptionsbedingungen jedoch haben sich inzwischen auch die Kriterien dafür gewandelt, was als rebellisch gilt und was einfach von einem Übermaß an genitalfixiertem Machismo kontaminiert ist, der doch etwas überlebt wirkt, so dass man es ähnlich empfinden könnte wie der Schriftsteller Ian McEwan seine Rückschau auf England unter der Thatcher-Regierung beschrieb, „ [it] leaves me with a nasty taste“.