Anti-Charmeure im Safe-Space: ein Remake zum 50-jährigen Jubiläum eines schwulen Bühnen- und Filmklassikers.
1968 erwartete niemand, dass ein Off-Broadway-Stück über eine eskalierende Geburtstagsparty schwuler Freunde ein Erfolg werden würde. Mehr als tausend Aufführungen später galt Mart Crowleys „The Boys in the Band“ als Wendepunkt in der Darstellung schwulen Lebens auf der Bühne, das es bis dato schlicht nicht gegeben hatte. 1970 adaptierte William Friedkin den Stoff für das Kino und schuf so auch eine filmische Repräsentation. Zum 50. Jubiläum des Originals inszenierte Regisseur und Schauspieler Joe Mantello „The Boys in the Band“ auf der Bühne, Ryan Murphy verpflichtete ihn und das Ensemble, darunter Jim Parsons, Zachary Quinto, Matt Bomer und Tuc Watkins, für seine Netflix-Produktion.
In Plot, Setting und Dialogen hält sich The Boys in the Band 2020 minutiös an das Stück und an Friedkins Verfilmung. Michael (Parsons) schmeißt in seinem stylischen Upper East Side-Appartment eine Geburtstagsparty für seinen Freund Harold (Quinto). Die geladenen (und ungeladenen) Gäste trudeln nach und nach ein. Die Ensemble-Dynamik und die Art, wie sich die schwule Clique insgesamt, vor allem aber Michael und Harold mit sprachlicher Eloquenz duellieren, ist zunächst äußerst vergnüglich.
„Beware the hostile fag. When he’s sober, he’s dangerous. When he drinks, he’s lethal“ – so wie Harold seinen Freund Michael beschreibt, kippt aber mit steigendem Pegel auch die Stimmung. Ähnlich wie in Sally Porters The Party entfalten sich die zwischenmenschlichen Abgründe subtil, bis schließlich ein tiefer Graben zwischen allen Beteiligten klafft, der, frei nach Nietzsche, ungnädig zurück starrt. Einerseits geht es um das Verleugnen der eigenen, weil gesellschaftlich geächteten, homosexuellen Identität und den damit einhergehenden Selbsthass. Andererseits hadern hier Menschen mit der Angst vor Einsamkeit und Alter oder mit Untreue, Eifersucht und Liebeskummer.
Zwischen Original und Neuauflage liegen aber 50 Jahre Schwulenbewegung und gesellschaftlicher Wandel. 1968 war es schwierig, Schauspieler zu finden, die Homosexuelle verkörpern. 2020 besteht der Cast aus offen mit ihrer sexuellen Orientierung umgehenden Künstlern. Selbsthass und Verleugnung dürften glücklicherweise heute weniger ausgeprägt sein als damals, zumindest in der westlich-urbanen Mittel- bis Oberschicht, weshalb The Boys in the Band wie aus der Zeit gefallen wirkt. Als Momentaufnahme bietet der Film starke darstellerische Leistungen und scharfzüngige Dialoge. Erst in der zweiten Hälfte verwandelt sich die Schaulust in das zwanghafte Beobachten eines Massenscrashs. Charme hat das nicht unbedingt, wie Geburtstagskind Harold auch über Michaels ätzendes Gebaren gegenüber seinen Freunden anmerkt. Es versprüht vielmehr eine Art Anticharme, dem sich für die Dauer des Films nur schwer widerstehen lässt.