Die Fremde im Zug
Michael McCauleys (Liam Neeson) Leben verläuft in wirklich geregelten Bahnen. Er bewohnt ein schmuckes Einfamilienhaus am Rand von New York, die Ehe mit seiner Frau Karen ist auch nach vielen Jahren noch glücklich, sein Sohn schickt sich an, aufs College zu gehen. Auch die tägliche Fahrt mit dem Vorortezug in sein Büro nach Manhattan, wo er als Versicherungsvertreter arbeitet, ist zur Routine geworden, McCauley kennt deshalb auch die meisten seiner Pendlerkollegen schon recht gut. Doch eines Tages scheint das alles mit einem Schlag auseinander zu brechen – Michael McCauley wird mitgeteilt, dass er im Rahmen der üblichen Rationalisierungsmaßnahmen entlassen wird. Für einen Mann von knapp sechzig eine Katastrophe, die er vorerst seiner Familie verschweigt. Als er sich am Ende dieses Tages wie üblich in den Zug setzt, um nach Hause zu fahren, steht McCauley immer noch unter dem Eindruck dieser Schocknachricht. Doch es soll noch schlimmer kommen, als die harmlos beginnende Plauderei mit einer Frau (Vera Farmiga), die er scheinbar zufällig trifft, eine unerwartete Wendung nimmt. Die mysteriöse Unbekannte macht Michael McCauley nämlich ein ebenso verlockendes wie merkwürdiges Angebot. Im Zug soll sich nämlich ein Passagier befinden, den McCauley mittels einiger sehr vager Hinweise finden und identifizieren soll, bevor er seine heimatliche Station erreicht. Niemand würde dabei zu Schaden kommen, auf McCauley warten nach erfolgreicher Erledigung 100.000 Dollar Belohnung. Der ist naturgemäß skeptisch, doch weil er in seiner Lage das Geld gut brauchen kann, lässt er sich auf die Sache ein. Eine fatale Entscheidung, denn natürlich stellt sich die Angelegenheit als nicht harmlos dar und Michael McCauley findet sich bald inmitten einer perfiden Verschwörung wider, durch die zahlreiche Leben bedroht sind. Da trifft es sich gut, dass McCauley vor seiner Zeit in der Versicherungsbranche eine veritable Karriere als Cop absolvieren konnte – der versierte Ermittler nimmt den Wettlauf gegen die Zeit auf.
Liam Neeson hat 2008 mit seiner Rolle in dem Action-Thriller Taken einen ebenso erstaunlichen wie erfolgreichen zweiten Karriereweg eingeschlagen. Der prononcierte Charakterdarsteller – eine Qualität, die er unlängst in der Rolle des Whistleblowers Mark Felt erneut unter Beweis gestellt hat – prügelt und schießt sich seitdem in einschlägigen Produktionen als ein wenig in die Jahr gekommener aber immer noch höchst schlagkräftiger Actionheld durchs Geschehen. The Commuter weicht zunächst ein wenig von dieser Schiene ab, präsentiert sich die Inszenierung von Jaume Collet-Serra – der schon mehrfach mit Liam Neeson in Sachen Action zusammengearbeitet hat – zunächst als Thriller mit psychologischen Untertönen und bedächtig aufgebauten Spannungsbögen. Doch damit ist spätestens nach der ersten Hälfte Schluss, die Auseinandersetzungen des Protagonisten mit seinen Widersachern spielen sich zunehmend auf rein physischer Ebene ab. Das narrative Tempo wird von hier ab permanent hochgehalten, was dazu führt, dass dem Zuschauer keine Atempause bleibt, um über einige dramaturgische Unwägbarkeiten überhaupt nachzudenken. Die umspielen Liam Neeson und sein Regisseur Collett-Serra aber ohnehin mit einer Mischung aus routinierter Nonchalance, geradliniger Action und ein paar augenzwinkernden Verweisen auf Klassiker wie etwa Kubricks Spartacus, womit The Commuter eine in geregelten, schön vorhersehbaren Bahnen verlaufende Genre-Arbeit bleibt.