Richard Gere bittet zu Tisch: In dem abgründigen Familiendrama The Dinner von Oren Moverman geht es zunehmend heiß zur Sache – nur zum Essen kommt dabei keiner.
Eigentlich sind sie nicht wirklich zum Essen gekommen. Paul (Steve Coogan) hatte sowieso keine Lust und sitzt im Grunde nur seiner Frau Claire (Laura Linney) zuliebe am Tisch. Sein älterer Bruder Stan (Richard Gere) dagegen, ein erfolgreicher Politiker, der das Abendessen initiiert und obendrein den Tisch im exklusiven Nobelrestaurant besorgt hat, will lieber reden, was wiederum seine Gattin Katelyn (Rebecca Hall), für keine gute Idee hält. Mitgekommen ist aber auch sie trotzdem, denn irgendetwas, so die Prämisse, scheint hier im Argen zu liegen. Was genau, soll sich noch zeigen, denn immerhin gilt es zunächst einmal, den ausgewählten Aperitif zu genießen.
Und dieser Moment der schwelenden Spannung dauert in Oven Movermans The Dinner zunächst einmal eine ganze Weile. Basierend auf dem 2009 erschienenen und bereits zweifach (in Holland und in Italien) verfilmten Bestseller des Niederländers Herman Koch, der die Handlung seines Roman an dem Muster eines siebengängigen Luxusmenüs orientierte, bleibt auch Moverman in seiner Inszenierung dem vorgegebenen Menüplan treu – mit für den Film zum Teil unbequemen Folgen. Denn bis der wahre Grund für das interfamiliäre Krisentreffen endlich auf dem Tisch liegt, ist der Hauptgang längst serviert und die Geduld der Zuschauer nicht wenig strapaziert. Und trotzdem gelingt es diesem nicht immer leicht bekömmlichen Drama im Verlauf des Abends einen zunehmend fesselnden Sog ausüben, dem man sich am Ende nur schwer entziehen kann. Der Grund dafür liegt in dem Unglück, das die Familien überschattet, genauer gesagt: in dem Verbrechen, das die halbwüchsigen Söhne der Ehepaare begangen haben, und der sich daraufhin zumindest für Stan zwingend stellenden Frage, wie sich die Eltern – derzeit die einzigen Wissenden von der Tragödie – in dieser Situation verhalten sollen.
Bereits vor acht Jahren hatte sich Moverman in seinem Debütfilm The Messenger dem Thema Verdrängung angenommen, in dem er auf eindringliche Weise von dem Schicksal eines Kriegsveteranen erzählte, der heil aus dem Irakkrieg zurückkehrt und daraufhin dazu verpflichtet wird, den Angehörigen von gefallenen Soldaten die Todesnachrichten zu überbringen. Diesmal dagegen scheint es ihm eher ganz konkret um die Strategien zu gehen, derer wir uns bedienen, um das Leben nach der Katastrophe weiterhin lebenswert erscheinen zu lassen. Es geht um Vertuschung, um Lügen und darum, was passiert, wenn man sich selbst und den anderen schon viel zu lange etwas vorgemacht hat. Movermann zelebriert das vertrackte Dilemma, in dem sich seine Protagonisten befinden, nach allen Regeln der Gesprächsdramatik und es sind vor allem seine hervorragenden Schauspieler, die diesen Film tragen.
Für Richard Gere, der sich in den letzten Jahren in mehreren kleineren, aber dafür umso feineren Rollen neu erfunden zu haben scheint, ist es bereits die zweite Zusammenarbeit mit dem vielversprechenden Regisseur: In Time Out Of Mind (2014) spielte er einen Mann, der nach einem Schicksalsschlag auf der Straße lebt. Hier ist er zwar wieder ganz der Gentleman, aber auch derjenige, der sich dafür ausspricht, die Jungen für ihre Taten büßen zu lassen, koste es, was es wolle, während sich Laura Linneys auf den ersten Blick am bodenständigsten wirkende Claire im Laufe der zunehmend hitzigen Diskussion im Namen der Liebe eher als eine Art Monster entpuppt. Dazwischen steht und fällt der Schlagabtausch mit Paul, einem von sich selbst und dem Leben enttäuschten Ex-Lehrer, der uns auch aus dem Off pausenlos an seinen Ansichten und Gedanken teilhaben lässt. Das kann man sympathisch finden oder einfach nur nervig, aber in beiden Fällen führt es zumindest dazu, dass man dem im Schatten seines Erfolgsbruders stehenden Historiker stets die größte Aufmerksamkeit schenkt. Coogan spielt diesen vermeintlichen Versagertypen mit genau der richtigen Mischung aus Empathie und Selbsthass, so dass seine Figur nicht zuletzt auch angesichts der verschachtelten, mit Rückblenden und Traumsequenzen versetzten Erzählstruktur, eine gewisse Eigendynamik entwickelt.
Moverman selbst hat für seinen Film nach der Premiere auf der heurigen Berlinale viel Kritik einstecken müssen. Und es mag sein, dass The Dinner streckenweise zu flach, zu geschwätzig oder sonst in irgendeiner Weise unbefriedigend ausgefallen ist. Aber allein die Kraft, Relevanz und Präzision, die das Krisengespräch in seinen stürmischsten Momenten immer wieder hervorbringt, machen The Dinner zu einem sehenswerten Ereignis. Und wenn man die Figuren nach sieben mehr oder weniger schmackhaften Gängen irgendwann satt hat, ist auch der Film schließlich wieder ganz bei sich angekommen.