Steven Soderbergh arbeitet sich mit dem eigenartigen Nachkriegs-Noir „The Good German“ an Vorbildern wie „Casablanca“ von Michael Curtiz ab – Cate Blanchett brilliert als Femme fatale.
Was kann das bedeuten? Inserts der Namen von Cate Blanchett, George Clooney und Tobey Maguire wackeln auf 4:3-formatigen, in Wochenschau-Stil gehaltenen Schwarzweißbildern des zerbombten Berlins. Weit offene, dennoch ausdruckslose Augen Schlange stehender Menschen starren frontal ins Publikum. Ein Film beginnt, dessen Handlung einem Nachkriegs-Klassiker entnommen sein könnte, und der von der Halbschattenbelichtung über altmodische Kamerafahrten bis zur Halbtotalen in jeder einzelnen Szene von sich zu behaupten scheint: „Ich bin ein Noir! (Und zwar ein besserer Noir als jeder, den ihr aus den Vierziger Jahren kennt!)“
The Good German sieht aus, als hätten sich ein Regisseur und ein paar Hollywoodstars samt Crew in die Zeitmaschine gesetzt, um sechzig Jahre früher einen Film zu drehen. Man meint ein Original vor sich zu haben, in das die Gesichter der heutigen Stars hineinretuschiert wurden. Ein Eindruck, der nur zum Teil täuscht: Soderbergh hat tatsächlich eigenes Drehmaterial, Archivmaterial alter Noirs und Dokumentarfilm-Footage in sagenhafter Feinabstimmung so schwer unterscheidbar ineinander remixt, dass es der Zuschauer beim einmaligen Ansehen kaum bemerken kann. Aber etwas verrät die heutige Perspektive auf die Geschichte deutlich: Dialoge, von denen Bogie & Bacall Zeit ihrer Karriere nur träumen konnten.
Resteverwertung
Was also kann das bedeuten? Wollte Steven Soderbergh sich einen teuren Jux machen? Casablanca übertreffen? Mit einem alten Genre spielen? Oder wollte er gar ein neues Genre begründen, dem Theoretiker zum Beispiel den Namen fake fiction geben könnten?
Ironisch sei der Film ganz und gar nicht gemeint, sagt Steven Soderbergh bei der Berlinale-Pressekonferenz im Hyatt Hotel am Marlene-Dietrich-Platz (Mehr davon erzählt er im Interview). Cate Blanchett sitzt daneben, wird von den meisten Anwesenden einfach nur angehimmelt. „Was fühlten Sie, als Sie zum zweiten Mal für den Oscar nominiert wurden?“, fragt eine Journalistin. „Ich bin zum dritten Mal nominiert“, sagt sie und lächelt mild. Für The Good German ist Blanchett nicht nominiert, und Bären hat sie auch keinen gekriegt, obwohl sie nicht nur brillant die Femme fatale gibt, sondern (in der Originalversion mit akkuratem deutschen Akzent) auch Sätze hauchen darf wie: „You can never really get out of Berlin.“
Aus Berlin herauszukommen ist gerade jenes Bedürfnis, das Blanchetts Figur Lena Brandt am stärksten antreibt. Wir schreiben den Sommer 1945, die Potsdamer Friedenskonferenz steht an, die Resteverwertung durch die Siegermächte soll in vernünftige Bahnen gelenkt werden. Als US-Presseoffizier darüber berichten soll Jake Geismer (Clooney) – der „embedded journalist“ wird von seinem Fahrer Tully (Maguire) allerdings nicht nur schnurstracks auf die sektorengeteilte Spielwiese raffgieriger Kriegsgewinnler, sondern auch zu seiner ehemaligen Geliebten Lena geführt.
Begehrt, von den Russen und von den Amerikanern (aber auch von den Schergen der Nazis), sind NS-Wissenschafter und ihre Unterlagen. Besonders begehrt: der ehemalige Sekretär jenes NS-Ingenieurs, der für die Umsetzung der deutschen Atomwaffenpläne zuständig war, samt der in seinem Besitz befindlichen Baupläne für die global ganz besonders begehrte Atomrakete. Dieser Mann trägt den Namen Emile Brandt, wird von seiner Ehegattin Lena versteckt und stellt eine Art lebendes McGuffin dar: Den ganzen Film über sind alle hinter ihm her.
Propeller im Regen
Dass Soderbergh, Clooney und Drehbuchautor Paul Attanasio auch die heutige US-Außenpolitik und den Irak thematisieren wollten, lässt sich aus The Good German nur schwer herauslesen: Noirs von Der dritte Mann bis zu Raymond-Chandler-Adaptionen werden rauf und runter zitiert, die politische Implikation fällt kaum einmal aus dem historischen Rahmen. Die verregnete Schlussszene, in der Lena ein Propellerflugzeug besteigt, ist der formal deutlichste Hinweis auf Casablanca, zeigt aber immerhin, wie ein Good German anno 1949 nicht hätte enden dürfen. Dass die einen Schuld auf sich geladen haben, um zu überleben, andere daraus Kapital schlagen und wieder andere ihre Einflusssphäre vergrößern wollen, bleibt als Moral der Geschichte ebenso Zitat wie die handwerklich perfekt ineinander gefügten Stücke aus dem Noir-Setzkasten. Dennoch: Gemessen an der Fallhöhe, auf die sich Soderbergh und seine Kollaborateure mit dem Projekt begeben haben, ist das kühl vorgetragene Kunststück zumindest in artistischer Hinsicht gelungen – auch US-Kritikern zum Trotz, die Soderbergh Selbstvergleiche mit Michael Curtiz übel nehmen (dazu siehe ebenfalls Interview).
Kubrick im Kleinen
Trotz seiner Mainstreamerfolge (Out of Sight, 1998, und vor allem Ocean’s Eleven bis demnächst Thirteen) und seines oscargekrönten Episodendramas Traffic (2000) ist Soderbergh stets ein Taschenspieler des Kinos geblieben. Neuere Filme wie das nervöse Hollywood-Personalbeobachtungsvideo Full Frontal (2002) oder das Science-Fiction-Remake von Andrei Tarkowskis Solaris im selben Jahr sind nicht weit von seinen experimentellen Arbeiten Anfang der 90er Jahre entfernt (die er sich nach seinem überraschenden Cannes-Erfolg Sex, Lies and Videotape leistete). Trotzdem billigen Kritiker seinen Inszenierungen kaum eine erkennbare Handschrift zu. Doch sich mit jeden Film (abseits der Herstellung stärker kommerziell geprägter Filme wie Out of Sight oder Erin Brockovich, 2000) neu zu erfinden, oder mindestens mittels Fingerübung einem Genre einen neuen Aspekt abzutrotzen (siehe die kleine, aber feine Gangster-Etüde The Limey, 1999), ist auch eine Handschrift: Kubrick im Kleinen, könnte man sagen. Man darf noch immer gespannt sein auf neue Soderbergh-Projekte – zum Beispiel auf seinen Che-Guevara-Film, der nächstes Jahr mit Benicio del Toro in der Hauptrolle unter dem Titel Guerilla in die Kinos kommen soll.