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The Handmaiden

Geheimnisse und Lügen

| Pamela Jahn |
Nach seinem Hollywood-Debüt mit dem von Hitchcock inspirierten Thriller „Stoker“ (2013) kehrt Park Chan-wook nun mit einem historischen Sittenstück in die Heimat zurück: Sein Film „The Handmaiden“ erzählt mit betörenden Bildern von Täuschung und Betrug und einer lesbischen Liebe im japanisch besetzten Korea der dreißiger Jahre.

Der Plan klingt zunächst so einfach wie genial: Die junge Koreanerin Sookee (Kim Tae-ri), die sich ihren Lebensunterhalt mit Kleingaunereien verdient, wird von dem Berufsbetrüger Count Fujiwara (Ha Jung-woo) angeheuert, um als Dienstmädchen ins Haus der wohlhabenden Japanerin Lady Hideko (Kim Min-hee) eingeschleust zu werden. Dort soll Sookee helfen, die Bande zwischen dem falschen Grafen und der schönen, reichen Erbin zu knüpfen, damit er Hideko verführen und sich schließlich an ihrem Nachlass vergreifen kann. Womit Fujiwara allerdings nicht gerechnet hat, ist die unerwartete Zuneigung, die sich langsam zwischen Herrin und Dienerin entwickelt und sein Vorhaben zu zerstören droht. Zudem hat es auch Hidekos bibliophiler Onkel Kouzuki (Cho Jin-woong), unter dessen Dach sie lebt, auf das Vermögen seiner untergebenen Nichte abgesehen, um weiterhin seiner Leidenschaft, dem Sammeln und Handeln mit erotischen Büchern, nachgehen zu können. Und auch er braucht Hideko an seiner Seite, nicht zuletzt um sie bei seinen regelmäßigen zwielichtigen Herrenabenden als Vorlese-Dame zu präsentieren. Bei einer derart explosiven Mischung aus dunklen Geheimnissen, Intrigen und Offenbarungen verwundert es kaum, dass die Geschichte, die einst als harmloser Krimi begann, bald  in ein undurchsichtiges und nicht selten erotisches Sittenspiel umschlägt, in dem längst nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint und niemand unschuldig ist.

Park Chan-wook erzählt seinen neuen Film The Handmaiden (Ah-ga-ssi, wie der koreanische Originaltitel lautet) aus verschiedenen Perspektiven und in drei Akten, von denen einer kunstfertiger als der nächste inszeniert ist. Doch wie bei allen Filmen des südkoreanischen Regisseurs gehen Bildprächtigkeit und Stilwille auch hier stets mit der emotionalen Verstrickung seiner Figuren einher. In opulenten Räumen, gefilmt durch Schlüssellöcher und hinter verschlossenen Türen rückt er diesmal jedoch keine bluttriefendes Abenteuer von Schuld und Sühne ins hübsche Bild, sondern konzentriert sich stattdessen auf die Umsetzung eines streng formal arrangierten, wenn auch symbolisch ausgeschmückten Mosaiks der Täuschung und des Betrugs, in dem Blicke tödlicher sind als jede Gewalt. Aber auch wenn The Handmaiden der literarischen Vorlage – dem Roman Fingersmith von Sarah Waters – abgesehen vom Schauplatz auffällig treu bleibt und damit nicht annähernd so brutal daher kommt wie seine bisher größten Kinoerfolge Oldboy oder Thirst, lässt der Film trotzdem kaum Zeit zur Ruhe: Im illustren Zusammenspiel von erotischen Energien, zahlreichen versteckten, mitunter düsteren Anspielungen und einem subtilen Humor, der sich aus dem doppelbödigen Spiel der Figuren ergibt, beweist der heute 53-jährige Ausnahmeregisseur einmal mehr, dass er mit zunehmendem Alter nicht zwangsläufig sanfter, sondern lediglich stets versierter und handwerklich geschickter zu werden gedenkt.

Park Chan-wook im Gespräch über seine neue Regiearbeit:

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein koreanischer Regisseur einen britischen historischen Kriminalroman mit explizit homoerotischem Unterton verfilmt. Was hat Sie an Sarah Waters Buch so fasziniert, dass Sie die Geschichte unbedingt auf die Leinwand bringen wollten?

Es stimmt, dass das Thema Homosexualität vom koreanischen Mainstream-Kino bisher gemieden wurde. Im Vergleich zu den Europäern sind wir da längst noch nicht so weit. In der Hinsicht ist unser Kino noch immer sehr konservativ. Und das, obwohl es keine offizielle Zensur gibt, die das Thema verbieten würde. Dennoch herrscht eine Art allgemeines Einverständnis darüber, dass derartige Angelegenheiten nicht so gern in der Öffentlichkeit diskutiert werden, oder anders gesagt: dass es den Leuten unangenehm sei, sich damit zu beschäftigen. Also lässt man besser die Finger davon. Mich persönlich dagegen hat die Geschichte überrascht und fasziniert zugleich, zum einen diese lebhafte, sehr detaillierte Art des Schreibens, aber natürlich auch die zwei Hauptfiguren und deren Lebendigkeit, ihre Individualität und ihre Leidenschaft. Doch obwohl das Thema Homosexualität ein Schlüsselelement des Romans ist, heißt das nicht, dass ich zwangsläufig die Absicht hatte, einen Film darüber zu machen. Ebenso wenig sollte es ein Film werden, der sich mit dem Thema Kolonialismus an sich beschäftigt. Mir ging es vielmehr darum, eine Geschichte zu erzählen, in der es um Menschen geht, die sich in dieser Zeit, in diesem speziellen Umfeld bewegen. Und deshalb war es mir auch wichtig, dass der Film die homoerotische Romanze zwischen Sookee und Hideko als etwas völlig normales beschreibt, als einen Teil des Lebens, ohne dabei in irgendeiner Weise wertend zu sein.

Was die Darstellung von Gewalt im Kino angeht, die in Ihren Filmen ebenfalls immer eine Rolle spielt, scheint das südkoreanische Publikum dagegen überraschend aufgeschlossen.

Solange sich die Gewalt im Rahmen einer heterosexuellen Beziehung abspielt, wird sie vom Publikum tatsächlich viel eher toleriert, weil das etwas ist, was sie kennen. Außerdem ist Gewalt im Kino ja kein Phänomen meiner Filme allein, sie wird immer wieder auf der Leinwand gezeigt. Darauf sind die Zuschauer mittlerweile konditioniert.

Im Vergleich zu Ihren früheren Filmen, wie etwa Ihrer berühmten Rache-Trilogie,  scheinen Sie diesmal jedoch geradezu zurückhaltend.

In meinen Filmen gehen Liebe, Gewalt, Schuld und Vergeltung immer mehr oder weniger Hand in Hand, das heißt, Gewalt und Vergeltung müssen nicht automatisch die Hauptmotive sein. Es geht mir vielmehr darum, die psychologischen Beweggründe zu untersuchen, die dahinter stecken. Als ich das Buch von Sarah Walters zum ersten Mal las, fand ich es zunächst einfach nur ungemein spannend und unterhaltsam. Und wie gesagt, die Tatsache, dass die Handlung homoerotische oder mitunter auch düstere Elemente enthält, war in dem Moment Nebensache. Was mich viel mehr gereizt hat, waren die Vielfältigkeit und Dynamik der Handlung und die verschiedenen Teile dieses wunderbaren Puzzles, das sich im Laufe des Geschehens ständig verändert.

„The Handmaiden“ besticht neben der sich raffiniert entwickelnden Story mit oft fast magisch anmutenden Bildkompositionen. Was macht Ihren visuellen Stil aus?

Ich bin nicht mit dem Vorhaben an die Sache herangegangen, unbedingt einen „schönen“ Film zu drehen. Ich habe einfach versucht, die Figuren und ihre Emotionen in einer möglichst genauen Art und Weise darzustellen. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, dass ein solches Vorhaben dem Ganzen auch eine gewisse ästhetische Qualität abverlangt, allein um bestimmten Elementen innerhalb der Geschichte den nötigen Raum zu geben. Nehmen Sie beispielsweise das Haus von Hidekos Onkel Kouzuki. Er hat sich ein eigenes kleines Königreich geschaffen, in dem er seine Nichte auf ganz spezielle Weise großzieht. Das opulente Anwesen vereint westliche und japanische Einflüsse und Stile wortwörtlich unter einem Dach. Und wenn jemand wie Kouzuki die Schönheit in der Kunst sucht, was immer diese Kunst auch sein mag, dann verlangt die Darstellung eben auch nach einer gewissen Eleganz im Hinblick auf die Umgebung, in der sich die Figuren bewegen. Nichtsdestotrotz hat das Ganze zugleich auch eine hässliche Seite, denn selbst wenn Kouzuki auf den ersten Blick die hohen Künste verehrt, gilt seine unmittelbare Leidenschaft letztendlich vor allem einer Kunst, die schmutzig und pornographisch ist.

Die männliche Sexualität scheint in dem Fall auf Sadismus und Misogynie ausgerichtet, während die Frauen eine wahre Liebe zueinander entwickeln. Ist The Handmaiden“ Ihrer Ansicht nach ein feministischer Film?

Das war mein Anliegen, aber ob mir das tatsächlich gelungen ist, kann ich selbst schlecht beurteilen – das zu bewerten, bleibt dem Publikum überlassen.

Wie würden Sie Liebe für sich persönlich definieren?

Liebe heißt, sich den eigenen Gefühlen hinzugeben, sich von seinen Emotionen leiten zu lassen, anstatt jeden Schritt, den man tut, zu kalkulieren oder analysieren. Sich einfach gleiten zu lassen, egal in welche Richtung. Im Film kommt dieses Gefühl in dem Augenblick zum Ausdruck, als Hideko versucht, sich zu erhängen, dann aber von Sookee gerettet wird, die ihr zu Hilfe eilt. In dem Moment verwirft Sookee ihren ursprünglichen Plan, Hideko zu bestehlen. Sie vergisst ihre eigentliche Mission und ist stattdessen ihren Gefühlen gegenüber ehrlich. Das Problem mit Täuschung und Betrug ist, dass daran immer irgendwie Schuldgefühle gekoppelt sind und für die zwei Frauen im Film bedeutet das, dass sie jede für sich ein Geheimnis voreinander haben, und je länger sie dieses Geheimnis verstecken müssen, umso größer werden die Schuldgefühle. Insgeheim hoffen sie beide, dass die andere zuerst mit der Wahrheit rausrückt, aber dann entlädt sich  die Spannung in demselben Moment, was in dem Fall nahezu einer Explosion von Leidenschaft, Verlangen und Schuldgefühlen gleich kommt. Das ist der Augenblick der Wahrheit – und der wahren Liebe.

Der Roman von Sarah Waters spielt im viktorianischen England. Sie haben sich die Geschichte zu Eigen gemacht, indem Sie die Handlung ins japanisch besetzte Korea der dreißiger Jahre verlegt haben. Warum ausgerechnet in diese Zeit?

Das Buch enthält eine Reihe von Ideen, die eingebettet sind in eine Handlung, die an ein bestimmtes gesellschaftliches System gekoppelt ist – in dem Fall ein Klassensystem. Gleichzeitig ist es eine Gesellschaft, in der das Konzept der Irrenanstalt bereits Fuß gefasst hatte, was ebenfalls entscheidend für die Handlung ist. Dies waren also zwei Faktoren, von denen ich glaubte, dass sie für die Adaption des Romans unbedingt notwendig waren, sonst hätte das Ganze von Anfang an nicht funktioniert. Das heißt, um den Schauplatz nach Korea zu verlegen, musste ich mir zunächst Gedanken machen, wann diese beiden Faktoren dort überhaupt gegeben waren, und da blieb im Grunde nur die Zeit der japanischen Besetzung in den dreißiger Jahren, in der Korea zugleich eine Phase der Modernisierung und Verwestlichung durchlebte. Trotzdem basierte die Gesellschaft nach wie vor auf einem Klassensystem, dass sich in den Köpfen der Menschen fest eingeschrieben hatte. Aber ganz abgesehen von diesen vorlagebedingen Schlüsselelementen, bietet das koreanische Setting dem Publikum auch die Möglichkeit, ganz allgemein über das Prinzip und die Auswirkungen des Kolonialismus auf die Gesellschaft nachzudenken. Seit der japanischen Besetzung im frühen 20. Jahrhundert, gab es in der koreanischen Oberschicht stets das Phänomen der Verdrängung oder Verleugnung der eigenen Identität zugunsten der japanischen Kultur. Und das ist mitunter bis heute so, nur dass die Leute jetzt nicht mehr den Japanern nacheifern, sondern den Amerikanern.

The Handmaiden“ ist der erste Film seit Ihrem Hollywood-Debüt vor vier Jahren. Hat diese Erfahrung, in Amerika zu drehen, auch einen Einfluss auf Ihre persönliche Arbeitsweise gehabt?

Lediglich in der Hinsicht, dass ich nicht mehr so viele Takes mache wie früher, nachdem ich gesehen habe, wie schnell man in Hollywood arbeitet. Das hat natürlich alles seine Vor- und Nachteile, was den kreativen Prozess des Filmemachens angeht, aber ich denke, letztendlich zahlt sich Effizienz auch im Kino aus.