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The Homesman

Wahn, Weib, Westen

| Alexandra Seitz |
Eine Hintergrundgeschichte, keine Fußnote: Vom hohen Preis der Landnahme erzählt Tommy Lee Jones in seinem Western „The Homesman“.

Nichts ist der Western ohne Pferde oder Cowboys. Weniger aber noch als nichts wäre der Western ohne die patente Farmersgattin, das Saloongirl mit dem goldenen Herzen, die Lehrerin aus dem Osten, die Matriarchin, die Bosslady, die Kaktusblüte. Kurz: die Frau. Es mag zwar der Western ein Macho-Genre sein, aber das Machistische braucht das Weibliche, um zur Geltung zu kommen. Wird sie nicht vom bewundernden Blick des schwachen Weibes bezeugt, geht die heroische Geste des toughen Mannsbildes ins Leere und sein kriegerischer Ruf verhallt wirkungslos in der Weite der Prärie, wenn sie, die Frau, nicht die Ohren spitzt und auf ihn lauscht. Um der Frau willen wird oftmals gerettet, gerächt und geschützt, um sie drehen sich nicht selten die Kämpfe der Männer. Der eine will, was der andere hat, was der wiederum nicht hergeben will – dabei fallen Ehre, Land und Frau dann gern mal in eins.

Im Westerngenre stellt die weibliche Figur sicher, dass die männliche nicht ausschließlich als jener gewalttätige Rohling wahrgenommen wird, als den seine Aktionen ihn erscheinen lassen. Die Frauenfigur ermöglicht der Männerfigur den Ausdruck von Gefühlen und gibt ihr damit die Gelegenheit, (Mit-)Menschlichkeit und soziale Fähigkeiten zu beweisen. Ihre Funktion im Narrativ ist die einer Andockstelle für das Romantische, doch das Romantische hat – wie so oft auch hier – mit der Wirklichkeit nur sehr wenig zu tun, denn im gegebenen Kontext der US-amerikanischen Ursprungserzählung „Western“ repräsentiert die Frau zuvörderst ein kostbares materielles Gut. Als Trägerin der Fruchtbarkeit ist sie im Zuge von Landnahme, Unterwerfung, Zivilisierung ebenso unabdingbar wie das Vieh und die Saat, die in den Wilden Westen geschleppt werden. Denn wozu auch sollte Adam auf göttlichen Befehl hin sich die Erde untertan machen (Gen 1,28), wozu die Schweiß treibende Anstrengung der Urbarmachung auf sich nehmen, wenn es ihm sodann an der Eva mangelt, die seinen Sohn gebärt, den Erben vermittelt und solcherart die Weitergabe seines Besitzes sicher stellt?

Insofern ist es alles andere als trivial, dass der Wahnsinn der drei Frauen, der die Geschichte von The Homesman ins Rollen bringt, seine Wurzel in Sachverhalten hat, die in enger Relation mit Fruchtbarkeit, Zeugungskraft und Fortpflanzung stehen. Tommy Lee Jones – der hier den 1988 erschienenen, gleichnamigen Roman von Glendon Swarthout verfilmt – zeigt die Ereignisse, über die die Siedlerinnen Arabella Sours, Gro Svendsen und Theoline Belknapp ihren Verstand verloren haben, in unvermittelt ins Geschehen einbrechenden Rückblenden. Wie überhaupt seinem Inszenierungsstil etwas Ruppiges, Raues anhaftet, welches das grobschlächtig Unbehauene, das den erzählten Raum prägt, ebenso widerspiegelt wie die Freiheit des Erzählers, spontan drauflos zu fabulieren und seine Geschichte Haken schlagen zu lassen.

Arabella, Gro und Theoline also. Der einen sterben innerhalb kürzester Zeit alle Kinder an der Diphtherie, die andere wird über lange Jahre von ihrem Mann missachtet und misshandelt, die dritte verkraftet nicht den Seuchentod des Viehs und die Miss­ernte. All diese Umstände sind, davon lässt sich ausgehen, ganz normale Bestandteile des Alltagslebens an der Frontier, und auch die Frauen erscheinen nicht wie deplatzierte Prinzessinnen, ungeeignet für den Überlebenskampf im Wilden Westen. Nur fordert dieser Kampf ums Überleben eben seinen Tribut, und die Frauen können ihn nicht (mehr) zahlen; und weil irre Weiber in der um 1850 vergleichsweise primitiven Gesellschaft des jungfräulichen Territoriums Nebraska (noch) keinen Platz haben, müssen sie weg, zurück in den Osten, dorthin, wo elaboriertere Strukturen sich bereits etabliert haben und man sich um sie kümmern kann. Doch keiner wagt, die beschwerliche Reise auf sich zu nehmen. Keiner außer der patenten Mary Bee Cuddy, die sehr gut ihren Mann stehen kann und doch selber gern einen hätte. Sie heuert Begleitschutz an in Gestalt von George Briggs, eines Grantscherbens mit zweifelhafter Moral, und macht sich auf den Weg.
Nachdrücklich trägt sich Vollblut-Texaner Tommy Lee Jones mit seiner nach The Three Burials of Melquiades Estrada (2005) zweiten Kinofilmregie ins Westerngenre ein. The Homesman lebt von der großen Geste ebenso wie von den leisen Schwingungen, vom Gespür für die erhabene Schönheit der Landschaft ebenso wie vom Vermögen, widersprüchliche und komplexe Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Zuvörderst aber überzeugt der Film mit seinem augenscheinlichen Interesse an jenen Brüchen und Störungen, die die Realität des Wilden Westens bestimmten. Das beginnt mit den vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten in den Wahnsinn getriebenen drei Frauen, setzt sich fort mit der in kein Rollenklischee passenden Heldin Mary Bee Cuddy und hört mit der Figur des mütterliche Instinkte entwickelnden George Briggs noch lange nicht auf. Ganz und gar nicht alltäglich ist, was Tommy Lee Jones aus der alltäglichen Verzweiflung folgert, die seiner Geschichte zugrunde liegt, und ganz und gar nicht alltäglich ist, wie er diese Folgerungen in Szene setzt. Ein Frauenwestern insofern, als er das Schicksal der Frauen im Westen ernsthaft in den Blick nimmt. Ein Western aber auch, der sich darüber hinaus wagemutig der menschlichen Schwäche und des existenziellen Scheiterns annimmt. Der Mitgefühl für das Unheldische aufbringt und wahrhaftig bleibt, wo Lügen so viel einfacher wäre.