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The Lobster

Filmkritik

The Lobster

| Roman Scheiber |
Liebe in Zeiten der Singlebörsenseuche

Die außergewöhnlichen, zum Denken anregenden Filme des Atheners Yorgos Lanthimos gehen von einer surrealen Situation aus und spielen diese staubtrocken durch, während einzelne Charaktere aus dem Rahmen fallen. Das war so in seiner imposanten Zwangsneurosen-Familienstudie Kynodontas (Dogtooth), mit der er 2009 senkrecht in den Olymp des gegenwärtigen Autorenkinos aufstieg, das war so in der nicht minder bösen und hochmodernen Moritat Alpeis (Alps, 2011), deren Protagonisten Tote lebendig werden lassen. Und es gilt auch für Lanthimos’ ersten mit internationalen Stars gedrehten Paarungsfilm The Lobster.

Das Leben in Lanthimos-Filmen ist ein Spiel des Lebens, und die Spieler versuchen, den für sie vorgesehenen Platz einzunehmen. Der Reiz für die Zuschauenden speist sich regelmäßig daraus, die Regeln des jeweiligen Rollenspiels erst etappenweise erfassen zu können (ob damit metaphorisch auch die Regeln gemeint sein könnten, welche der griechischen Bevölkerung seit einiger Zeit aufgezwungen werden, mag jeder für sich beurteilen). Kaum kennt man sich einigermaßen aus, passiert freilich nicht Vorgesehenes, entwickeln die Figuren ein Eigenleben, und laufen die Dinge also unvermeidlich aus dem Ruder, was wiederum den Witz, der diesen Tragikomödien von vorn- herein innewohnt, weiter einschwärzt und pervertiert.

In der dystopischen Parallelwelt von The Lobster müssen Menschen als Paare leben. Wer seinen Lebensmenschen nicht findet, kommt in ein Single-Resort, wer ihn auch dort innerhalb einer vorgeschriebenen Frist nicht findet, wird in ein Tier verwandelt. David (der kongenial unterspielende Colin Farrell) zum Beispiel möchte in diesem Fall ein Hummer werden. Ein strenges Regime herrscht auf dieser penibel überwachten Horror-Datingplattform, wie stets bei Lanthimos: Ritueller Geschlechtsverkehr mit dem rituell zugewiesenen Partner ist quasi obligatorisch, Masturbatoren dagegen werden drastisch abgestraft. Und denen, die keinen Partner abkriegen, droht überhaupt die Vogelfreiheit.

Egal jedoch, was man über diesen bitterbösen, zärtlichen, soziopsychologisch radikalen Verkupplungsprotestfilm erzählt: Wer ihn nicht selbst sieht, glaubt es nicht. Die Online Film Critics Society hat ihn zum „besten Nicht-US-Film“ des Jahres 2015 gewählt. Erfreulich, dass Yorgos Lanthimos nicht mehr von den bescheidenen Fördermitteln seines Heimatlandes abhängig ist; spannend zu beobachten wird sein, ob er auch populäre Filme hinbekommt, ohne seine hochoriginelle Autorenposition aufgeben zu müssen.